An jedem 28. September, dem Geburtstag des Meisters Kong Zi vor über 2.550 Jahren, machen sich zehntausende Chinesen noch vor Sonnenaufgang auf den Weg in die Tempel. Sie werden Räucherstäbchen anzünden, den Tänzern bei ihren vom Ritus und alten Melodien streng geregelten Bewegungen zuschauen. Und hinterher werden sie von zufrieden lächelnden Statuen des strengen Weisen erzählen. Seit Jahrtausenden ist der spirituelle Kontakt zu den Ahnen, zu Geistern, Drachen und anderem Unsichtbaren Teil des chinesischen Alltags. Da können auch Statuen lächeln. Aber warum sollte das Lächeln des im Westen als Konfuzius bekannten Staatsphilosophen heute ein zufriedenes sein?
Grenzen des Wachstums
China und Indien in Partnerschaft wären auf dem asiatischen wie globalen Parkett unschlagbar. So schätzt unser Autor und Asienexperte Johannes von Dohnanyi das Potenzial beider Länder ein. Doch wie steht es um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern? Eine Bestandsaufnahme des Gestern und Heute. Und ein Ausblick in die Zukunft.
Seit 1978 strebt China nach mehr
Zwar steht, nach den fernöstlichen Wirren des 20. Jahrhunderts, in denen er von allen Seiten bekämpft wurde, seine Lehre wieder hoch im Kurs. Bildung, so wichtig für die meritokratische Gesellschaftsordnung des Konfuzius, wird überall gefördert. Respekt gilt wieder als Tugend. Doch ausgerechnet im Geburtsland des Weisen steht es schlecht um das Streben nach Gerechtigkeit, dieser wichtigsten vom Herrscher verlangten Eigenschaft für die Harmonie in der Gesellschaft.
Dabei schien im Winter 1978, nach dem ersten Besuch des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas in Singapur, vieles auf gutem Wege. Deng Xiao Ping wollte das wirtschaftsliberale Erfolgsrezept des autoritär geführten Inselstaats kopieren: Denn "egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist – Hauptsache, sie frisst Mäuse." Über die für Singapur so wichtige konfuzianische Gerechtigkeit verloren der Vorsitzende und seine Nachfolger kein Wort. Den ersten Sonderwirtschaftszonen im südlichen Guangdong gab Deng zwei Jahre später nur eines mit auf den Weg: "Es ist herrlich, reich zu sein." Es war der Auftakt zu einer beispiellosen Rekordjagd, in deren Verlauf China die Spielregeln weit über den asiatischen Kontinent hinaus veränderte.
Diktat statt Partnerschaft
Das "Jahrhundert der Demütigung" durch die im kantonesischen Dialekt "Gweilo" genannten "rothaarigen grünäugigen Teufel" aus dem Westen mag beendet sein. Vergessen aber ist nichts. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mag nicht länger Juniorpartner der Großmächte, die Werkbank der westlichen Industrienationen sein. Ob im industriellen High-Tech-Bereich, bei den Wissenschaften oder der Forschung: China strebt in die oberste Liga – und ist dabei fest entschlossen, den Entwicklungsvorsprung gegenüber seinen regionalen Konkurrenten zu verteidigen.
Weil China zur Durchsetzung seiner Interessen inzwischen aber auch vor militärischem Muskelspiel nicht zurückschreckt, wirken die Kooperationseinladungen Beijings auf die Bewohner der chinesischen "Hinterhöfe" – von Südkorea bis Taiwan, von Südostasien über Indien bis hin nach Westasien – immer öfter wie ein schlecht kaschiertes Diktat.
Die Strategie der Bundesregierung
Die Bundesregierung setzt seit vielen Jahren auf eine Strategie des schrittweisen Wandels. Im Rahmen des 2011 initiierten deutsch-chinesischen Dialogs finden regelmäßige Regierungskonsultationen statt. Auf der Tagesordnung stehen dabei neben Wirtschaftsthemen auch der Rechtsstaatsdialog, in begrenztem Ausmaß auch die Frage der Menschenrechte sowie die Suche nach gemeinsamen Antworten auf globale Krisen und Konflikte. In einzelnen Bereichen wie etwa Fragen des Umweltschutzes, Energie, Gesundheit oder Infrastruktur wollen Berlin und Beijing in Zukunft auch mit Drittstaaten zusammenarbeiten. Afghanistan ist der erste Versuch einer solchen trilateralen Kooperation.
Chinas Erfolg, Deutschlands Mahnungen
Mit einem Volumen von über 160 Milliarden Euro im Jahr 2015 ist Deutschland in wenigen Jahrzehnten zum wichtigsten Handelspartner Chinas in Europa aufgestiegen. In den vergangenen 16 Jahren haben sich die deutschen Exporte nach China nahezu verachtfacht. Umgekehrt ist das Land Deutschlands größter Wirtschaftspartner in Asien. Die Importe aus China stiegen im Jahr 2015 auf fast 80 Milliarden Euro. Mehr als 5.000 deutsche Unternehmen wirtschaften in der Volksrepublik. Die wachsende ökonomische Verflechtung der beiden auf ihren jeweiligen Kontinenten größten Volkswirtschaften macht die Arbeit an den Problemzonen dabei umso dringlicher.
"Wichtig ist immer wieder, dass unsere Unternehmen und auch unsere Projekte ein sicheres Rechtsumfeld haben", mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihres Chinabesuchs im April 2016 noch einmal an. Dass die Gastgeber auf diesen wie auch auf Hinweise auf die Menschenrechtsproblematik kaum reagieren würden, wussten die Deutschen schon vorher. Aus chinesischer Sicht gibt es zu ihrer repressiven Politik keine Alternative.
Fast 600 Milliardäre
Einerseits sind die ökonomischen Erfolge der Volksrepublik spektakulär: Seit 1980 hat sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen mehr als verzehnfacht. Allein in den letzten 18 Jahren wurden laut Regierung "über 600 Millionen Menschen aus der Armut befreit". Etwa 350 Millionen Chinesen gehören zur neuen Mittelschicht. Im vergangenen Jahr zählte China 596 Dollar-Milliardäre – mehr als jedes andere Land. Auf der anderen Seite haben diese Erfolge auch enormen sozialen Sprengstoff geschaffen. Zunehmend verlangt die Gesellschaft nach Gerechtigkeit.
Wohlstandskluft, Landflucht, Überalterung
Erst 35 Jahre nach den 1978 blutig niedergeschlagenen Protesten auf dem Tian’anmen-Platz in Beijing und nach mehreren Wellen verbotener Streiks und Proteste im ganzen Land erklärte Präsident Xi Jinping der Korruption den Krieg. Da kontrollierte das oberste Prozent der Bevölkerung schon mehr als ein Drittel des gesamten Volksvermögens. Einige spektakuläre Korruptionsprozesse endeten mit drastischen Strafen – gegen die wachsende Wohlstandskluft halfen sie nicht. Dem untersten Viertel der Gesellschaft steht weiterhin nur ein Prozent des Vermögens zur Verfügung. Die Landflucht hält an, obwohl schon heute viele der über 275 Millionen Wanderarbeiter unterbeschäftigt sind. Und was die demographische Entwicklung angeht: Der Gesellschaft droht eine rapide Überalterung. 2050 werden etwa sechs Prozent der 1,3 Milliarden Chinesen und fast jede zehnte Chinesin über 80 Jahre alt sein. Indien wird China bald als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen.
Der Rivale Indien wächst
Zwei Drittel der 1,3 Milliarden Inder sind jünger als 35 Jahre. China weiß, dass Indien auf Jahre hinaus die wirtschaftlich und sozial dynamischere Gesellschaft bleiben wird. China tut sich schwer mit…
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