Text von Jens Poggenpohl für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 1/2015. Gekürzte Fassung.
Design für die Welt: Kuckucksuhrenfabrik
Die Globalisierung vereinheitlicht das Design, heißt es. Zwei einheimische Traditionsmarken glauben das nicht. Sie wollen unverkennbar deutsch bleiben – und müssen sich gerade deshalb verändern. Zu Besuch bei Mercedes-Benz in Stuttgart und einer Kuckucksuhrenmanufaktur im Schwarzwald.
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Vom Schwarzwald in die Welt
Triberg im Schwarzwald: 400.000 Besucher aus mehr als 60 Ländern haben im vergangenen Jahr hier Halt gemacht, und das spiegelt sich im Straßenbild. Bemalte Fassaden, es blinkt, wohin man blickt. Über dem Eingang zum "Haus der 1.000 Uhren" tummeln sich die drei "Tribären", man heißt den Gast in sieben Sprachen willkommen, und das Schaufenster von "Oli's Schnitzstube" verspricht "Quality to normal prizes". Fast wie eine etwas übertriebene Selbstparodie.
Dass es auch zurückhaltender geht, beweist ein unscheinbares Haus im Nachbarort Schonach. Auf dem Fußabtreter vor dem Eingang zur Firma Rombach & Haas ("Romba") prangt das Wort "Heimat" rot auf grünem Grund. Wie alt die Werkbänke und Vitrinen sind, wissen nur die Holzwürmer. Der Boden, das ist sicher, stammt aus dem Jahr 1894, als "Romba" gegründet wurde. An der Wand im vielleicht 20 Quadratmeter großen Verkaufsraum drängeln sich Uhren – große, kleine, in allen Farben und vor allem: in allen Formen.
Wer den handgeschnitzten Vogel im "Eiche rustikal"-Farbton wünscht, findet ihn hier auch. Doch was ins Auge fällt, sind Designs, die weit entfernt vom Klischee sind: Den Typ "vogelfrei", bei dem der Kuckuck nicht im, sondern über einem schlicht rechteckigen Gehäuse platziert ist, gibt es unter anderem in rot und weiß, das Modell daneben erlaubt durch ein Sichtfenster Einblick in sein Innenleben. Auf einer weiteren Variante prangt ein Hirschkopf mit aufsteckbarem Geweih. Und die Serie "Kuckuck bunt" ist unter anderem in Pink zu haben.
In dieser erschlagenden Vielfalt sitzt Ingolf Haas und berichtet von der Revolution, die seine Frau Conny und er vor einem knappen Jahrzehnt angezettelt haben. Damals steckte die Kuckucksuhr in ihrer bislang schwersten Krise. Zuvor war das Geschäftsmodell so simpel und verlässlich gewesen, dass Haas es in zwei Worten zusammenfassen kann: "der Amerikaner". Seit den Fünfzigerjahren hatten die in Deutschland stationierten GIs einen Narren an den Uhren gefressen. Der Dollar war mehr als drei D-Mark wert, die Soldaten schickten den Lieben daheim Uhren im halben Dutzend. Die Stückzahlen gingen in die Millionen, auch, weil sie die günstigste Uhr war und daher in vielen Büros hing. Dies veränderte sich zwar durch das Quarzwerk, dafür zog der Tourismus an: Schwarzwaldmädel, Schwarzwaldklinik, später die Wiedervereinigung machten Gedanken über eine neue Formensprache überflüssig.
Vom Kitsch zum Kult
Als Conny und Ingolf Haas die Firmenleitung 1996 übernahmen, galt nach wie vor: Zwei Drittel der Uhren gingen in die USA, der Rest verteilte sich auf Touristen aus aller Welt. Dann kam der 11. September 2001, "und der Amerikaner war weg." Wenig später gingen zwei der größten Uhrenhersteller pleite. Bei Romba schlug die Krise erst mit Verzögerung ein. Aber 2004 stand auch hier die Schicksalsfrage im Raum: Wollen die Leute überhaupt noch eine Uhr, die man aufziehen muss? Gibt es Käufer, die jünger als 50 sind? Und falls ja: wo? "Wir hatten keine Ahnung von Marketing, hatten die Kunden ja geerbt", erinnert sich Ingolf Haas. Aber sie wussten: Wir müssen den Käuferkuchen wieder vergrößern.
Also stellten sie die Kuckucksuhr buchstäblich auf den Kopf. Eine schlichte Rautenform war die erste Uhr der neuen Generation, mit der sich Romba 2006 präsentierte und neben Verblüffung auch "endlose Angriffe" erntete. Haas weiß noch, wie auf einer Messe in Freiburg ein Kunde an seinen Stand mit den pinkfarbenen Modellen kam und ihn auf gut Badisch beschimpfte: "Ihr spinnet!" Irgendwann aber sei ihm klar geworden, dass eine derart starke emotionale Besetzung für eine Marke doch ein gutes Zeichen sein müsse.
Das Design verändern
Heute bleiben zwei von drei Uhren, die Familie Haas verkauft, in Deutschland. Dass die jüngere Generation der eigenen Kultur anders, neugieriger und unverkrampfter begegnet, spielt ihnen dabei in die Karten. Der Künstler Stefan Strumbel ist so einer: Mit grellbunten Schnitzereien versehene Kuckucksuhr-Skulpturen zählen zu seinen Spezialitäten. Eine davon, auf der in einer Sprechblase "What the fuck is Heimat?" zu lesen war, gelangte als Geschenk zu Karl Lagerfeld, der sich 2009 mit ihr ablichten ließ – der Ritterschlag für den 35-Jährigen. Demnächst wird Strumbel im Rahmen des Projekts "Atelier Schwarzwald" in Schonach eine 13,50 Meter hohe Skulptur mit einer sechs Meter hohen Kuckucksuhr errichten.
Mut zur Veränderung
Ingolf Haas ist heute frei von Existenzängsten. 2007 war das noch anders. Als plötzlich Imitationen der Schwarzwälder Kuckucksuhr den Markt überschwemmten, stand er "kurz vor einer Herzattacke". Doch die Quarzuhrwerke, die in den Imitaten eingebaut waren, funktionierten nach wenigen Monaten nicht mehr. Die Konkurrenz ging pleite. "Du musst hart arbeiten, du musst dich verändern, aber ein bisschen Glück brauchst du auch", sagt Ingolf Haas, bevor seine Frau Conny noch eine letzte Anekdote des Kuckucks-Clans erzählt. Ende 2013 kam eine Kundin in den Showroom, um ein Weihnachtsgeschenk für ihren Mann in Auftrag zu geben: im modernen Design, mit einem schwarzen Gehäuse, einem roten Hirschen und einem goldenen Geweih. Als sie die Sonderanfertigung abholte, enthüllte sie, weshalb es unbedingt eine Uhr in den deutschen Nationalfarben sein musste: Sie sei die Ehefrau von Joachim Löw. Irgendwie passt das perfekt: Auch der deutsche Fußball sieht ja nicht mehr aus wie vor 20 Jahren. Zum Glück.