Das Initiativrecht, also die Möglichkeit, Gesetzesvorschläge und Ideen auf die politische Tagesordnung zu setzen, ist in Demokratien elementar. Parlamente beraten, die Öffentlichkeit diskutiert, Gesetze werden erlassen und umgesetzt. Agenda-Initiativen verleihen Bürger:innen das Recht, Themen für die Behandlung im Parlament und für die Verabschiedung eines Gesetzes vorzuschlagen. Weltweit führen immer mehr Länder dieses Instrument ein — Finnland und Lettland etwa mit großem Erfolg. Seit 2012 gibt es mit der Europäischen Bürgerinitiative ein solches Verfahren sogar auf EU-Ebene. Die Praxis zeigt, ob Umweltschutz, Daseinsvorsorge oder Bürgerrechte: Mit Agenda-Initiativen können Bürger:innen Themen setzen, Diskurse anstoßen und Politik gestalten. Das stärkt auch die Demokratie als Ganzes.
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Agenda-Initiativen stärken die Demokratie
Agenda-Setting ist in Demokratien von zentraler Bedeutung. Welche Themen schaffen es auf die Tagesordnung? Welche Ideen haben die Chance, zu einem Gesetz zu werden? Ob Umweltschutz, Daseinsvorsorge, Bürgerrechte: Mit Agenda-Initiativen können Bürger:innen die Tagesordnung mitgestalten.
Agenda-Initiativen verleihen Wahlberechtigten das Recht, Themen für die Behandlung im Parlament und für die Verabschiedung eines Gesetzes vorzuschlagen. Das Parlament ist verpflichtet, darauf zu reagieren. Weltweit führen immer mehr Länder dieses Instrument ein. Mit Finnland und Lettland haben zwei europäische Länder vorgemacht, wie es erfolgreich sein kann. In Finnland wurde etwa die Privatisierung der Wasserwirtschaft verhindert, in Lettland sogar die Verfassung geändert — hier ist jetzt die offene, nicht geheime Wahl des Präsidenten durch das Parlament möglich. Seit 2012 gibt es mit der Europäischen Bürgerinitiative ein solches Verfahren sogar auf EU-Ebene.
70% der lettischen Bevölkerung nutzen die Onlineplattform der lettischen Initiativen. 83% der finnischen Wählerschaft sind der Ansicht, dass das Instrument die Demokratie in Finnland verbessert hat: Die Praxis zeigt, dass erfolgreiche Agenda-Initiativen die Akzeptanz und das Vertrauen in das politische System stärken.
Drei Agenda-Initiativen im Vergleich
Erfolge:
Lettland: 2.113 eingereichte Initiativen, 84 davon haben das Quorum erreicht, 50 wurden umgesetzt. 70% der Wählerschaft haben bisher die Website der Initiative besucht. Die Initiative zur offenen parlamentarischen Wahl des lettischen Präsidenten führte zu einer Verfassungsänderung.
Finnland: Über 1.200 eingereichte Initiativen; 62 haben das Quorum erreicht, vier wurden umgesetzt. 83% der finnischen Wählerschaft sagen, dass die Agenda-Initiativen die Demokratie in Finnland verbessern. Die Initiative zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen war die erste erfolgreiche Initiative — 167.000 Unterschriften.
EU: In 10 Jahren haben über 14 Millionen EU-Bürger:innen an Europäischen Bürgerinitiativen (EBI) teilgenommen. Acht Initiativen haben das Quorum erreicht, dreien wird konkrete Wirkung zugesprochen. Die EBI Right to Water hat zu einer Neufassung der Trinkwasserrichtlinie geführt.
Jahr der Einführung
Lettland: 2011
Finnland: 2012
EU: 2012
Eingereichte Initiativen seit Einführung (Stand 2022)
Lettland: 2.317
Finnland: 1.367
EU: 88
Mitmachalter (Stand Januar 2023)
Lettland:16
Finnland: 18
EU:16
Themen-Vielfalt
In Lettland stechen keine Themen hervor. Sie reichen vom Verbot von Gentechnik über bessere Impfpolitik bis hin zu lokalen Themen (Wiederbelebung des lettischen Operettentheaters).
In Finnland dominieren die Themenbereiche Gesundheit, Wohlfahrt und Wohnungswesen & Bürgerliche Freiheiten, Bürgerrechte sowie Recht und Ordnung.
Auf europäischer Ebene dominieren Tier– und Umweltschutzthemen — besonders bei den erfolgreichen Initiativen.
Agenda-Initiativen – Lettland und Finnland zeigen wie ́s geht
Lettland und Finnland zeigen, wie Agenda-Initiativen die politische Landschaft bereichern können. Ob das Verbot der Luchsjagd oder die Neuregelung des Mutterschutzes: Bürger:innen können die politische Tagesordnung mitbestimmen. Und die Demokratie verbessern. 2.213 Initiativen in Lettland, 64% wurden umgesetzt. 1.200 Initiativen in Finnland: 83% der Finnen sind der Ansicht, dass ihre Agenda-Initiative die Demokratie verbessert hat. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. In Finnland wird über erfolgreiche Initiativen nicht nur im Parlament abgestimmt — sie müssen vor Ablauf einer Legislaturperiode behandelt werden und genießen deshalb Vorrang vor anderen Themen. In Lettland arbeitet das Parlament eng mit der überparteilichen NGO ManaBalls.lv zusammen, die eine digitale Online-Sammelplattform bereitstellt, Bürgerinitiativen rechtlich wie praktisch berät und bei der Kommunikation hilft. In beiden Ländern können Unterschriften problemlos digital gesammelt werden.
Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) hingegen ist weitgehend unbekannt, wird bislang nicht breit genutzt und führt kaum zu öffentlichen Diskussionen. Klar: Sie steht vor ganz anderen Herausforderungen als nationale Instrumente. 24 unterschiedliche Amtssprachen, die geographische Distanz und das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit stellen große Hürden dar. Aber es fehlt auch an echter Wirkung, an Erfolgsgeschichten, die motivieren. Die Handhabbarkeit der EBI wurde zwar verbessert, es ist aber immer noch relativ schwer, digital für Unterstützung zu werben. Die Folge: Die EBI ist (noch) eher ein Instrument für die organisierte Zivilgesellschaft.
Die Praxis zeigt: Agenda-Initiativen können Bürger:innen ermöglichen, Themen zu setzen, Diskurse anzustoßen und Politik zu gestalten. Dafür müssen sie leicht zugänglich sein. Idealerweise werden Bürger:innen bei der Organisation unterstützt. Erfolgreiche Initiativen sind digital. Und zu guter Letzt ist ein klares Bekenntnis der politischen Entscheider:innen, auch durch die Umsetzung von Initiativen, unabdingbar für den Erfolg.
Agenda-Initiativen im Internet
Die Online-Plattform der finnischen Agenda-Initiative
Die Online-Plattform der lettischen Agenda-Initiative
Die EU-Online-Plattform zur Europäischen Bürgerinitiative
Message to go:
Autoren
Christian Huesmann
christian.huesmann@bertelsmann-stiftung.de
Carsten Berg
berg@citizens-initiative.eu
Weiterführende Literatur
Christensen, Henrik Serup; Karjalainen, Marija; Setälä, Maija (2017): ‘Finnish Citizens’ Initiatives – Towards Inclusive Agenda-Setting?’; published in Scandinavian Political Studies, December 2017, Abruf: 03.10.2022
Eumans (2021): YouGov Survey anlässlich des Europatages, Europe Day: The YouGov Survey
Impressum
Demokratie und Zusammenhalt
© Mai 2023 Bertelsmann Stiftung
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Verantwortlich:
Dr. Dominik Hierlemann, Prof. Dr. Robert Vehrkamp, Anna Renkamp
Titelbild: © istockphoto.com / nazarkru, muzzza, PeterPencil
Die Reihe shortcut präsentiert und diskutiert interessante Ansätze, Methoden und Projekte zur Lösung demokratischer Herausforderungen in einem komprimierten und anschaulichen Format. Das Projekt New Democracy der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht es in unregelmäßigen Abständen.