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Sebastian Pfütze

, Asia Briefing mit Ramachandra Guha: Indiens Weg der Modernisierung

Indien erfährt einen massiven gesellschaftlichen Wandel mit einer jungen und aufstrebenden Bevölkerung. Der Aufbau einer liberalen Demokratie und einer toleranten Gesellschaft in diesem äußerst vielfältigen Land ist aber kein linearer Weg, sondern geprägt von Fortschritten und Rückschritten, so der Historiker Ramachandra Guha am 24. April im Asia Briefing in Berlin.

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Im Rahmen der Berliner Asien-Pazifik-Wochen sprach der Autor des Bestsellers "India after Gandhi", über "Indiens Weg der Modernisierung". Anhand Mahatma Gandhis vier Idealen von Freiheit - Demokratie, soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt und wirtschaftliche Unabhängigkeit - zog er eine Bilanz der Errungenschaften und Misserfolge seines Landes.

Stabiles Demokratiesystem mit Hang zur „election-only“ Nation

In der westlichen Welt galt Indien lange Zeit aufgrund seiner ethnischen, religiösen Vielfalt und kastenmäßigen Zerklüftungen als schwer regierbar. Entgegen dieser Prognose, hat sich aber über die letzten 70 Jahre in Indien ein stabiles demokratisches System entwickelt, das gerechte und freie Wahlen für die gesamte indische Bevölkerung gewährleistet, auch für unterprivilegierte und weniger gebildete Gruppen.

Dies sei eine der größten Errungenschaften des Landes in seiner noch jungen Geschichte, unterstrich Guha. Dies gelte insbesondere, wenn man sich die schwierige Ausgangslage des Landes bei seiner Gründung vor 70 Jahren vor Augen führt

Wäre Indien im Jahre 1947 ein Startup gewesen, nicht einmal der kühnste Investor hätte in das Unternehmen investiert.
Ramachandra Guha, 2018

Aufgrund der kurzen Wahlperioden läuft das politische Indien aber auch Gefahr eine „election-only“ Demokratie zu werden, merkte Guha an.

Kastensystem verliert langsam aber spürbar an Bedeutung

Das Kastensystem in Indien verliert langsam aber spürbar an Bedeutung. Guha verdeutlichte dies anhand konkreter Beispiele. Zwar seien Angehörige von niedrigen Kasten und Frauen noch immer, vor allem in ländlichen Regionen, unterschiedlichen Formen der Diskriminierungen ausgesetzt. Dennoch sei zu beobachten, dass eine allmähliche Entkopplung zwischen Kaste und Beruf sowie Familie und arrangierten Heiraten in der indischen Gesellschaft stattfinde. Dieser langsame, aber spürbare Fortschritt sei eine Realität, findet aber in der Öffentlichkeit, auch in Indien, oftmals zu wenig Bedeutung, so Guha.

2. Bild: Murali Nair (Senior Project Manager, BSt) und Ramachandra Guha (Autor und indischer Historiker)

Nationalistische Tendenzen nehmen zu

Als einer der gegenwärtig größten Herausforderungen bezeichnete Guha die zunehmend nationalistischen Bewegungen in seinem Land. Das Streben nach einer monolithischen nationalen und kulturellen Identität werde derzeit durch die Regierung Modi und die Führungsriege der Bharatiya Janata Party (BJP) verstärkt. Der Historiker wertete diese Entwicklung als Rückschritt seines Landes und warnte davor, einen ähnlichen Weg wie das Nachbarland Pakistan einzuschlagen. Einen nachhaltigen Fortschritt werde es ohne pluralistischen Ansatz nicht geben, so Guha.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist auch bedingt erfolgreich

Auch wirtschaftlich habe Indien zwei große Schwächen. Erstens stehe das Land vor der großen Herausforderung Wachstum basierend auf neu geschaffenen Arbeitsplätzen zu generieren („jobless growth“). Zweitens, nehmen die Umweltprobleme in indischen Städten besorgniserregende Ausnahme an, die sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. .

Angesichts dieser Herausforderungen soll und muss Indien nicht das Ziel anstreben, eine globale Supermacht zu werden. Stattdessen sollte das Land, das in ethnischer, sprachlicher und religiöser Hinsicht so vielfältig ist, sich den internen Problemen stellen, schlussfolgerte Guha am Ende seiner Rede.

Ein Interview mit dem Redner finden Sie hier.