Krisensituationen sind für die Europäische Union nichts Unbekanntes. Seit Jahren befindet sie sich in diesem Modus: von der Eurokrise über die Probleme in der Migrationspolitik bis hin zur Covid-Pandemie. Für alle diese Herausforderungen wurden bisher Lösungen gefunden. In der aktuellen Lage ist eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben notwendig, was für viele politische Verantwortliche auf dem Friedenskontinent Europa beunruhigend ist. Zudem leidet Europa an einem Mangel an Führung, sodass Konfliktbeteiligte eher den Dialog mit Russland, der Türkei oder China suchen, aber nicht mit der EU.
Europa à la Carte – plakativ repräsentiert durch das Schengen-Abkommen oder den Euro – hat in der Vergangenheit gut funktioniert und sollte als Prinzip bei der Weiterentwicklung der EU deshalb stark berücksichtigt werden. Für die europäische Integration des Balkans und der Türkei brauchen wir kreative Lösungen. Eine Expansion der EU sollte aber unabdingbar mit einer Transformation der Institutionen einhergehen.
Es gibt kein Analyse-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Europäische Union muss nachhalten und umsetzen, was sie verspricht, sonst droht eine wachsende Unglaubwürdigkeit nach innen und außen. Dafür braucht es international wettbewerbsfähige Institutionen und Personal sowie ein transparentes System von Belohnungen und Sanktionen bei der Umsetzung strategischer Projekte. Nur dann kann die EU zu einem geopolitischen Akteur werden, statt zu einem Subjekt der Geopolitik.
Die tektonischen Platten der Weltordnung verschieben sich weiter und der Westen, insbesondere Europa, erlebt einen relativen Abstieg, da sich andere Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika dynamischer entwickeln. Der Westen kann die internationalen Regeln nicht mehr im Alleingang bestimmen. Stattdessen muss er sich aktiv an den notwendigen Veränderungsprozessen beteiligen, oder riskieren, von anderen Akteuren überholt zu werden.
Die aktuelle Weltlage ist von gravierenden Umbrüchen und Unsicherheiten geprägt. Es braucht eine aktualisierte Weltordnung, die diesen Entwicklungen gerecht wird. Die EU verfügt über enorme Soft-Power und zwischen China und der EU besteht eine lange, konfliktfreie Geschichte.
In der Vergangenheit zeichnete sich der westliche Imperialismus durch ein einseitiges Ordnungs- und Führungsprinzip aus. Der Westen muss lernen, einen ausbalancierteren Führungsstil für die Neuordnung der Welt zu entwickeln.
Zwar erfordert die Neuordnung der Welt eine Reform der internationalen Organisationen, aber nicht unbedingt der internationalen Rechtsordnung. Eine Neuinterpretation ist hier ausreichend. Besonders das Prinzip der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten bedarf einer Anpassung. Bestehende Organisationen spiegeln nicht die heutigen Realitäten wider – das gilt sowohl für die internationalen Machtverhältnisse als auch für die politisch systematische Unterrepräsentation der Jugend, national wie international.
Europa hat größere Schwierigkeiten als andere Weltregionen, mit den Ambivalenzen umzugehen, die aus den globalen Veränderungen resultieren. Aufstrebende Länder gehen größere Risiken ein und erzielen dadurch höhere Gewinne. Der Abstand zwischen Europa und den aufstrebenden sowie führenden Nationen und Regionen ist nicht unüberwindbar. Mit Anstrengung und Anpassung können wir wieder aufholen.