Daniela Schwarzer

Daniela Schwarzer: "Wir erleben wirkliche Umbrüche"

Deutschland, Europa und die Welt sind im Krisenmodus. Zwei Flugstunden von Berlin schlagen seit Februar 2022 Bomben ein, Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf der Flucht. Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel haben das Land und die israelische Bevölkerung im Mark erschüttert und Hoffnung auf Stabilität in der Region zerstört. Sie haben auch zu wachsendem, teils gewaltsamen Antisemitismus und zu steigender Muslimfeindlichkeit in westlichen Gesellschaften geführt. Die geopolitische Ordnung, die Deutschland und Europa einen vergleichsweise stabilen Rahmen gegeben hat, erodiert immer weiter und wir sehen immer deutlicher, wie tief internationale Entwicklungen in unsere Gesellschaften hineinwirken. Was können wir tun, um hinter dieser Zeitenwende einen Weg in die Zukunft zu erkennen? Darüber haben wir mit unserer Vorständin Daniela Schwarzer gesprochen.

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Jochen Arntz
Vice President Media Relations

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"Unsere größte Herausforderung liegt darin, unsere Demokratie, für die uns so viele bewundern, zu stärken", sagt Schwarzer. Demokratiefeindliche Kräfte seien mit vielfältigen Mitteln dabei, Demokratie und Zusammenhalt zu untergraben. "Ihnen gegenüber eine starke Vision von einem demokratischen und zukunftsgewandten Europa zu entwickeln, ist eine der wichtigsten Gestaltungsaufgaben.“ Wie das gelingen kann, beschreibt Daniela Schwarzer in ihrem neuen Buch „Krisenzeit. Sicherheit, Wirtschaft, Zusammenhalt. Was Deutschland jetzt tun muss."  

Wann hatten Sie die Idee zu Ihrem neuen Buch?  

Daniela Schwarzer: Die Idee kam mir, als sich 2022 kurz nach Beginn von Russlands Angriffs auf die Ukraine abzeichnete, wie gravierend die Folgen des Krieges für Europa, die Welt und auch für Deutschland sein würden. Zunächst konzentrierte sich die politische Diskussion auf Verteidigungsfragen. Ich wollte analysieren, wie die Entwicklungen im Bereich der Sicherheit, der Energieversorgung und der Entwicklung unseres Wirtschaftsmodells zusammenhängen – und wie unsere Demokratie damit umgeht. Wie bei allen Krisen auf unserem Kontinent in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ist eine besonders drängende Frage, ob die Entwicklungen Europa auseinandertreiben oder enger zusammenbringen. Deutschland braucht die EU, offene Volkswirtschaften und eine belastbare Ordnung aufgrund seiner internationalen Offenheit und seiner Rohstoffarmut besonders, deshalb wirken sich die europäischen und globalen Erschütterungen auf uns auch sehr stark aus. Wir erleben wirkliche Umbrüche. Mir geht es darum, dass wir diese nicht wegreden, sondern uns anders aufstellen, um uns im globalen Wettbewerb mit unserem Wirtschafts-, Gesellschafts- und Demokratiemodell zu behaupten. 

Haben Sie damit gerechnet, dass in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts die Weltordnung so aus den Fugen gerät?

Daniela Schwarzer: Über Chinas globale Machtstrategie und Russlands Imperialismus in der europäischen Nachbarschaft habe ich mir seit längerem keine Illusionen gemacht. Sowohl Xi Jinping als auch Wladimir Putin haben seit Jahren formuliert, welche Ziele sie verfolgen. Ich nehme das, was autoritäre Herrscher ankündigen, grundsätzlich erst einmal ernst, denn sie haben oft die Skrupellosigkeit und die Machtinstrumente, um ihre Ziele zu verfolgen. Im meinem 2021 erschienenen Buch über die Frage, wie Europa sich zwischen China und den USA behaupten kann, verweise ich deutlich auf die Gefahr, dass Russland weiter in der europäischen Nachbarschaft – auch militärisch in der Ukraine – interveniert. Mit welcher menschenverachtenden Brutalität dies geschehen würde, hatte ich nicht erwartet. China als Risikofaktor habe ich seit einer Weile im Blick: Peking hat die Ziele seiner globalen Machtstrategie seit Jahren formuliert und Xi hat die Voraussetzungen für ihre Umsetzung durch seine Machtzementierung verbessert. Was mich überrascht hat, war, wie rasch nach Russlands Angriff auf die Ukraine die westliche Dominanz der Weltordnung in Frage gestellt wurde und wie sie Schritt für Schritt verblasst. Ihren jüngsten verheerenden Bruch sehen wir im Nahen Osten, wo Israel fast genau auf den Tag 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg zum Ziel eines brutalen Großangriffs der Terrororganisation Hamas wurde. Nach dem israelischen Gegenschlag sehen wir, dass sich eine humanitäre Katastrophe im Gazastreifen entwickelt. International geht es jetzt darum, einen regionalen Flächenbrand zu verhindern. 

In Ihrem Buch suchen Sie nach Lösungen. Was müssen wir tun, um die Zukunft besser zu gestalten, als die Gegenwart, die wir erleben? 

Daniela Schwarzer: Wir sollten verstehen, dass wir als Europäer:innen künftig viel mehr Verantwortung für uns selbst übernehmen müssen. Das Modell, dass wir unsere Sicherheit an die USA outsourcen, billige Energie aus Russland einkaufen und davon ausgehen, dass China für Kernwachstumsbranchen unser größter Absatzmarkt bleibt, ist vorbei. Damit wir vorankommen und unsere Zukunft in Europa und weltweit mitgestalten können, müssen wir bei uns selbst anfangen: Deutschland ist einerseits ein sehr attraktives Land, hat gleichzeitig aber einen großen Investitions- und Modernisierungsrückstand, der sich an vielen Stellen zeigt und rächt. Das betrifft unter anderem gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung, den öffentlichen Sektor oder auch die Rahmenbedingungen für Unternehmen. Im technologischen Bereich müssen wir deutlich wettbewerbsfähiger werden. Unsere größte Herausforderung liegt aber darin, unsere Demokratie zu stärken, für die uns so viele bewundern. Wir haben uns seit Ende des Zweiten Weltkriegs darauf verlassen, dass sie stark ist, nicht nur bei uns im Land, sondern auch in der EU. Jetzt sehen wir, dass illiberale und demokratiefeindliche Kräfte auf dem Vormarsch sind und mit vielfältigen Mitteln Demokratie und Zusammenhalt untergraben. Ihnen gegenüber eine starke Vision von einem demokratischen, zukunftszugewandten und gestaltungsfähigen Europa zu entwickeln, das die Bürgerinnen und Bürger einbezieht, das technologischen Fortschritt für und nicht gegen die offene Gesellschaft einsetzt, ist eine große und sehr wichtige Gestaltungsaufgabe.