Liz Mohn am Rednerpult.

Zeitenwende on tour in Gütersloh: 350 Jugendliche diskutierten mit Expert:innen

Dreizehn, vierzehn Mal hat Christoph Heusgen in ganz Deutschland Station gemacht mit der Veranstaltung "Zeitenwende on tour". Der Nachmittag am Montag in Gütersloh war trotzdem eine Premiere für den Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Denn diesmal diskutierten der Diplomat und Matthias Meis, Geschäftsführer des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung, nicht mit lebenserfahrenen Fachleuten – sondern mit 350 Schülerinnen und Schülern aus dem Kreis Gütersloh. Die Moderation hatte Claus Kleber übernommen – fachkundig und hartnäckig nachfragend wie in den besten Zeiten als Anchorman des Heute Journals.

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Matthias Meis

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"Sie sind die Säulen der Zukunft", rief Liz Mohn den Jugendlichen in ihrer Begrüßung zu. Dem von ihr gegründeten Liz Mohn Center, aber auch ihr selbst, sei es wichtig, den Jugendlichen eine Stimme zu geben. "Wir leben in einer zerrissenen Welt", erinnerte sie. "Die jungen Menschen haben Ängste, die wir ernst nehmen müssen."

Das war das Stichwort für Claus Kleber. "Ich habe die Zeitenwende nach dem Mauerfall erlebt, als wir alle dachten, die Welt würde nun immer friedlicher werden", erzählte er. Und wandte sich dann direkt an die Jugendlichen.  "Was bedeutet die ,Zeitenwende‘ für euch?", wollte er von den beiden Jugendlichen Sina Rustemeier und Viron Lykopoulos, die neben Matthias Meis, Christoph Heusgen und Johannes Winkel, dem Vorsitzenden der Jungen Union, in der Talk-Runde Platz genommen hatten. Der Begriff der "Zeitenwende" habe nur wenig Strahlkraft für sie, stellten beide klar. "Ich denke an die Jugendlichen in der Ukraine und was sie erleben müssen", sagte Sina Rustemeier, "Ich war mit so etwas bisher noch nicht konfrontiert. Wir müssen einfach mehr an die Menschen denken." Und Viron Lykopoulos stellte klar: "Ich habe das nicht als Zeitenwende wahrgenommen. Wir Jugendlichen erleben seit Corona eine Dauerkrise. Was ich fühle, ist weniger Kriegsangst, sondern viel mehr Erschöpfung."

Verteidigungsfähigkeit darf nicht nur auf dem Papier stehen

Ob nicht am Kriegsausbruch in gewisser Weise beide Seiten eine Mitschuld haben, wollte einer der Schüler wissen. Normalerweise argumentiere er als Diplomat nicht in den Kategorien "schwarz" und "weiß" - im Fall des Angriffs auf die Ukraine sei das aber anders, stellte Heusgen klar. "Russland trägt die Schuld. Putin will das imperiale Russland. Er ist verantwortlich." Aber wie schützt man sich vor einem Angriff? Wie weist man den russischen Präsidenten in die Schranken? Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union, und der erste Jahrgang, für den die einstige Wehrpflicht nicht mehr galt, stellt klar: "Langfristig ist es für unsere Gesellschaft wichtig, dass die Verteidigungsfähigkeit nicht nur auf dem Papier steht, weil Verträge – wie wir sehen – gebrochen werden." So wollte Viron Lykopoulos das nicht stehen lassen. "Die Wehrhaftigkeit hängt nicht von der Wehrpflicht ab. Menschen, die ihr Land verteidigen, tun das nicht, weil sie einberufen werden, sondern weil sie sich dazu berufen fühlen." Auch Heusgen steht einer allgemeinen Wehrpflicht mehr als skeptisch gegenüber. Von vielen Fachleuten habe er sich überzeugen lassen, dass die Wehrpflicht für die Bundeswehr nicht praktikabel sei. Er regte stattdessen das Modell an, dass Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier ins Spiel gebracht hatte. Der hatte für ein soziales Pflichtjahr geworben – ein Modell, das in der Gesellschaft auf viel Sympathie stößt, wie eine Umfrage des Liz Mohn Centers kürzlich gezeigt hatte. "Darüber muss man tatsächlich nachdenken", sagte Heusgen, "das könnte auch den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken."

Von links: Connor Eusterfelhaus, Johannes Winkel (Junge Union), Sina Rustemeier, Matthias Meis (Geschäftsführer Liz Mohn Center), Liz Mohn (Präsidentin Liz Mohn Center), Claus Kleber (Moderator), Viron Lykopoulos, Christoph Heusgen (Vorsitz Münchner Sicherheitskonferenz), Lena-Sophie Weiß

Deutschland im Gesamtgefüge der Welt betrachten

Allerdings reiche es nicht, Deutschland nur isoliert zu betrachten. "Deutschland, zumal als Exportnation, funktioniert nur, wenn auch die Welt funktioniert", ergänzte Matthias Meis, Geschäftsführer des Liz Mohn Centers. "Wir müssen Sensoren entwickeln, damit wir früh genug erkennen, dass etwas nicht funktioniert und dann darauf reagieren."

Ohnehin reiche es keinesfalls, nur in die Verteidigung zu investieren. "Wir müssen auch mehr Geld in die Bildung stecken. Die Schulen brauchen mehr Geld, die Politik muss etwas gegen den Mangel an Lehrkräften tun", forderte der Gütersloher Schüler Connor Eusterfelhaus. Auch der Lehrplan selbst müsse sich allerdings ändern. "Wir brauchen mehr Platz für aktuelle Diskussionen." Die Schule in ihrer jetzigen Form biete zwar das Gerüst, um im Leben zurechtzukommen. Das allein reiche aber nicht. Claus Kleber hakte nach. "Was fehlt? Was würde sich ändern, wenn ihr mitbestimmen könntet? Wenn es ein Wahlrecht ab 16 Jahren gäbe?" "Zumindest würden sich die Politiker dann mehr für uns interessieren", mutmaßt Lena-Sophie Weiß. Und das wäre schonmal ein kräftiger Schritt nach vorn. Sie habe in den vergangenen Jahren begriffen, "dass man sich nicht zu sicher sein darf. Das Leben kommt ungeplant. Ich habe gelernt, dass wir viel angreifbarer sind, als ich bisher gedacht habe."

Noch eins haben die Teilnehmer:innen der „Zeitenwende on tour“ in Gütersloh mitgenommen. "Wir brauchen mehr Debatten über aktuelle Fragen und Krisen – auch und erst recht in den Schulen."