Ein Mann wird in einem Krankenbett von zwei Mitarbeiterinnen eines Krankenhauses geschoben.

Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich

In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.

Eine Reduzierung der Klinikanzahl würde zu einer besseren medizinischen Versorgung der Patienten in Deutschland führen. In unserer neuen Studie weisen führende Krankenhausexperten darauf hin, dass viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland zu klein sind und oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung verfügen, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1.400 Kliniken vermeiden. Ebenso gingen damit eine bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bessere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte einher.

Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) ist in unserem Auftrag der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert. Dazu gehören beispielsweise eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichend Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung.

Update April 2020

Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie erreichten uns zahlreiche Fragen und Nachrichten zu unserer Studie, auf die wir gerne eingehen möchten.

Patientensicherheit im Fokus

"Die Neuordnung der Krankenhauslandschaft ist eine Frage der Patientensicherheit und muss vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern."

Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Eine primäre Orientierung an Fahrzeiten ginge dagegen in die falsche Richtung. "Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden", so Mohn weiter. 

Für die Studie haben die führenden deutschen Krankenhausexperten in einem ersten Schritt ein Zielbild für Deutschland entwickelt, das sich an den benannten Qualitätskriterien orientiert. Im Anschluss berechnete das IGES in einer Simulation erstmals, wie sich eine verpflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde. Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist.

14 statt 38 Krankenhäuser - Modellregion Köln/Leverkusen

Wie die Simulation zeigt, könnte die Region mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern eine bessere Versorgung bieten, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten. Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen. Nur diese Kliniken in der Region verfügen überhaupt über die technische Ausstattung, um Herzinfarktpatienten angemessen zu behandeln.

"Das Ergebnis, dass in der betrachteten Region eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte der Kliniken zu einer Verbesserung der Versorgung führen würde, klingt zunächst drastisch", sagt der internationale Krankenhausexperte Uwe Preusker. An vielen Stellen lägen der Berechnung jedoch eher zurückhaltende Annahmen zugrunde, so zum Beispiel bei der medizinisch erforderlichen Leistungsmenge oder der Verweildauer im Krankenhaus. "Beide liegen in vergleichbaren Ländern deutlich niedriger", erklärt Preusker. Wenn man sich am internationalen Standard orientieren würde, müsste man einen deutlich konsequenteren Umstrukturierungsprozess einleiten, so der Experte.

Blick ins Ausland zeigt Potenzial für eine Verringerung

Tatsächlich zeigt der Blick ins Ausland, dass es Potenzial für eine Verringerung der Klinikanzahl gibt. Deutschland weist im internationalen Vergleich im Durchschnitt mehr medizinisches Personal pro Einwohner auf als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient. Diese paradoxe Situation liegt daran, dass in der Bundesrepublik viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt werden als im Ausland. Wie Untersuchungen ergaben, müssten rund ein Viertel der heute in deutschen Kliniken behandelten Fälle nicht stationär versorgt werden.

Zwar ist die konkrete Ausgestaltung der umliegenden ambulanten Strukturen noch offen, trotzdem belegen die Erkenntnisse der Studie, dass es zur Konzentration im Kliniksektor keine Alternative gibt. Zum einen kann eine Qualitätssteigerung nur gelingen, wenn sowohl die Patienten als auch die medizinischen und pflegerischen Fachkräfte in größeren, spezialisierten Kliniken mit mehr Fällen zusammengeführt werden. Auf der anderen Seite wird gut ausgebildetes Personal auch in Zukunft knapp sein. Nur durch die Bündelung könnten Krankenhäuser der Regelversorgung in allen zentralen Abteilungen jederzeit die entsprechende fachärztliche und pflegerische Kompetenz vorhalten. 

Ergänzung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie dominiert derzeit alle Bereiche unseres Lebens. Die Krise fordert die gesamte Gesellschaft und vor allem unser Gesundheitssystem in außergewöhnlicher Dimension. So müssen gerade sehr spezielle Behandlungsplätze mit Beatmungsgeräten in unvorhersehbarer Größenordnung aufgebaut werden, die im Regelbetrieb weder benötigt werden noch betreut werden können. Im Sommer 2019 haben wir einen Vorschlag gemacht, wie sich die Qualität der stationären Versorgung im Regelbetrieb durch einen Umbau der Krankenhauslandschaft verbessern ließe: Weniger, aber dafür besser ausgestattete und stärker spezialisierte Kliniken – das war und ist unser Zielbild.  

Jedes Krankenhaus sollte mit der erforderlichen Medizintechnik, aber vor allem mit hinreichend verfügbarem, qualifiziertem Personal ausgestattet sein. Fakt ist aber, dass es schon heute nicht genug Ärzte und Pflegekräfte gibt, um alle vorhandenen Krankenhäuser bedarfsgerecht zu besetzen. Gerade in außergewöhnlichen Belastungssituationen wie jetzt können wir es uns nicht leisten, die knappen Ressourcen auf viele Kliniken so aufzuteilen, dass Fachabteilungen nur unzureichend einsatzfähig sind. Insbesondere zum Fachkräftemangel in der Pflege haben wir bereits zahlreiche Vorschläge erarbeitet. 

Im Sinne der Versorgungsqualität sollten daher die schwierigen Fälle in spezialisierten Kliniken von erfahrenem Personal in eingespielten Prozessen behandelt werden – wie es aktuell in der Corona-Pandemie erforderlich ist. Unser Vorschlag beinhaltet daher keineswegs die Reduzierung von Intensivbetten. Die Krankenhäuser sollten sich vielmehr auf die Fälle konzentrieren, die eine stationäre Behandlung tatsächlich benötigen. Das gelingt zumal in der jetzigen Situation umso besser, je mehr Leistungen, die ambulant erbracht werden könnten, auch dort erfolgen. Daher halten wir es für richtig und notwendig, ambulante Versorgungsangebote zu stärken. Hier können vor allem interdisziplinäre Versorgungszentren einen wertvollen Beitrag zur wohnortnahen Versorgung leisten.

Bei der Gestaltung der Versorgungsstrukturen sollten außergewöhnliche Ereignisse einbezogen werden. Doch im Mittelpunkt hat immer die Qualität der bedarfsgerechten Versorgung im Regelbetrieb zu stehen. Ein Gesundheitswesen muss in der Lage sein, nach Bewältigung der akuten Krise die bestmögliche Versorgung von Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten zu gewährleisten. Gleiches gilt für die zunehmende Zahl der Menschen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen. Bei der Krankenhausplanung empfiehlt es sich, neben dem verfügbaren Fachpersonal auch den demografischen Wandel sowie die Digitalisierung in der Medizin zu berücksichtigen. 

In einer Situation, in der sowohl Wissenschaft wie Politik auf Sicht fahren und kaum länger als von Woche zu Woche agieren können, ist es viel zu früh, um aus einer unvorhersehbaren Krise grundlegende Schlussfolgerungen für die künftige Krankenhausstruktur abzuleiten. Erst im Rückblick wird deutlich werden, welche Konsequenzen aus der Corona-Pandemie für die (Neu-)Ausrichtung unserer Versorgungslandschaft, ambulant wie stationär, zu ziehen sind. Jetzt geht es einzig und allein darum, die Pandemie zu verlangsamen und die an Covid-19 erkrankten Menschen bestmöglich zu versorgen.