Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens Premierministerin Theresa May diskutieren während des G-20-Gipfels 2017 in Hamburg.

Polarisierte Politik verhindert langfristiges Regieren

Es ist vertrackt: Trotz zahlreicher politischer Herausforderungen sind immer weniger Industriestaaten in der Lage, Probleme konstruktiv anzugehen. Schlimmer noch: Ob Trump, Erdogan, Orban oder Szydło – die Unabhängigkeit von Parlament, Justiz und Medien scheint für rechtspopulistische Regierungen nicht viel zu zählen. Dafür schüren sie gezielt Stimmung gegen Minderheiten und andere Staaten. Mit Partnern wie diesen wird internationale Kooperation künftig noch schwieriger.

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Dr. Christof Schiller
Senior Project Manager
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Dr. Daniel Schraad-Tischler
Director

Soziale Ungleichheit, Flüchtlingsfrage, Klimawandel, die Langzeitfolgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise und internationaler Terrorismus – zahlreiche Probleme fordern die Industriestaaten heraus. Mit Trump in den USA, Erdogan in der Türkei, Orban in Ungarn und Szydło in Polen regieren Rechtspopulisten, die eine stramm nationalistische Agenda verfolgen. In Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Frankreich beeinflussten rechtspopulistische Parteien zuletzt erheblich den Ton in Wahlkämpfen, Innen- und Außenpolitik. Politik langfristig auszurichten und gemeinsam verlässlich zu gestalten, wird angesichts dieser starken Polarisierung immer schwieriger. Auch bei Fragen, die fundamentale Grundwerte der Demokratie und den Rechtsstaat betreffen, driftet die Staatengemeinschaft auseinander. Das zeigen unsere Sustainable Governance Indicators (SGI) 2017. Die Studie bewertet anhand von 136 Indikatoren, wie Regierungen in den 28 EU- und den 35 OECD-Staaten handeln und ob und wie sie Reformen anpacken. Der Untersuchungszeitraum reichte von November 2015 bis November 2016.

Politische Leistungsfähigkeit: Kluft zwischen den Staaten nimmt zu

Die meisten OECD- und EU-Länder konnten sich zuletzt zwar von den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 erholen. Das gilt insbesondere für die einstigen "Krisenländer", in denen die wirtschaftspolitischen Strukturreformen der letzten Jahre zu wirken beginnen.

Länderübergreifend eher geringe Fortschritte gibt es jedoch bei der Frage, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt langfristig gesichert werden soll. Populistische Rezepte helfen hier kaum weiter. Länder wie Polen, die USA, die Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn, deren politische Landschaft zuletzt stark polarisiert war und wo Rechtspopulisten auf dem Vormarsch sind, haben sich in ihrer (sozial-)politischen Leistungsfähigkeit sogar eher verschlechtert oder treten auf der Stelle. Damit vergrößert sich die Kluft zwischen diesen Ländern und der Spitzengruppe der nordeuropäischen Staaten.

"Insgesamt hat der wachsende Populismus die Problemlösungskapazitäten vieler OECD- und EU-Staaten deutlich verkleinert. Gerade angesichts der vielfältigen komplexen Herausforderungen unserer Zeit ist das ein besorgniserregender Befund."

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Bei zahlreichen globalen Problemen fehlt ein gemeinsamer Lösungsansatz

Die Chancen, globale Probleme wie den Klimawandel oder soziale Ungleichheit gemeinsam anzugehen, neben ebenfalls weiter ab. Die Distanz zwischen den Nationen, die sich stark international engagieren, und denen, die sich nur ab und an beteiligen, wird größer. Besonders deutlich wird das beim Thema Klimawandel. Während Vorreiterländer wie Frankreich und Deutschland ihre Aktivitäten dazu zuletzt noch einmal intensivierten, drosselte die Mehrheit der Staaten ihren Einsatz auch angesichts der Nachwehen der Wirtschafts- und Finanzkrise spürbar.

Rechtsstaat unter Beschuss: Die Türkei und Ungarn sind auf Abwegen

Auch beim Thema demokratische und rechtsstaatliche Standards geht ein Riss durch die EU- und OECD-Staaten. Vor allem in der Türkei, Polen, Ungarn und Mexiko gibt es sehr bedenkliche Entwicklungen. In der Türkei und Ungarn etwa werden rechtsstaatliche Prinzipien, wie Unabhängigkeit der Justiz, Pressefreiheit oder Minderheitenschutz, ausgehöhlt. Außerdem ist in beiden Ländern eine effektive Kontrolle der Regierung durch Parlament, Medien und andere gesellschaftliche Gruppen nicht mehr gewährleistet.

Wie steht's um die Demokratie in den EU- und OECD-Staaten? In manchen Ländern nicht allzu gut.

Deutschland im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe, aber mit einigen Baustellen

In der Gesamtwertung unserer Studie konnte sich Deutschland in den letzten Jahren vor allem dank seiner Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik verbessern und in der internationalen Spitzengruppe etablieren (Rang 6 von 41). In einigen Feldern wie Umweltpolitik oder Forschung und Entwicklung wurde die Bundesrepublik zu einem Vorbild für andere Staaten (Rang 4 beziehungsweise 5).

Die Entwicklung vom einst "kranken Mann Europas" zum Reformvorbild darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei uns nach wie vor einige Baustellen gibt. Von der im internationalen Vergleich sehr guten Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation profitieren einige Gruppen nicht. So sank etwa das Armutsrisiko in den letzten Jahren nicht. Bei bestimmten Gruppen nimmt es langfristig sogar zu – etwa bei einigen Gruppen künftiger Rentner. Außerdem hat Deutschland eine große Investitionslücke und könnte besser für die Zukunft aufgestellt sein – etwa bei Bildung, bezahlbarem Wohnraum, Verkehrsinfrastruktur und digitaler Infrastruktur. Der finanzielle Spielraum dazu wäre da.

Die komplette Studie mit Daten zu allen untersuchten Staaten finden Sie hier.