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Vor dem G20-Gipfel: Wachsender Protektionismus gefährdet die UN-Agenda 2030
Vor zwei Jahren verpflichteten sich alle UN-Mitgliedsstaaten in New York, zu einer besseren ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung beizutragen. Diese Agenda 2030 nimmt sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer in die Pflicht. Doch nationale Egoismen und mangelndes Engagement der Industriestaaten gefährden mittlerweile die Umsetzung der globalen Ziele.
Die Agenda 2030 wackelt: Die Autoren des aktuellen SDG-Index, der jährlich die Umsetzung der globalen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) misst, fordern von den G20-Staaten ein klares Bekenntnis zur Umsetzung der Agenda 2030. Sie kritisieren vor allem den wachsenden Protektionismus und Nationalismus, der die UN-Ziele gefährdet.
Kritisch sehen sie auch die Rolle der Industrieländer: Zum einen hinken die meisten OECD-Staaten bei der Erfüllung der Ziele im eigenen Land hinterher. Zum anderen verursachen Industrieländer durch ihr ressourcenintensives Konsumverhalten, unzureichende Finanzierung der Entwicklungshilfe oder den Schutz von Steueroasen häufig Kosten für Entwicklungs- und Schwellenländer. Dadurch erschweren sie ärmeren Staaten, die ambitionierten Ziele bis 2030 zu erreichen.
Der aktuelle SDG-Index vergleicht 157 Staaten und wurde von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Sustainable Development Solutions Network (SDSN) erarbeitet. Die Länder, die die Vorgaben am ehesten erfüllen, sind die skandinavischen Staaten: Schweden rangiert auf Platz eins, gefolgt von Dänemark und Finnland. Die Werte für die USA (42. Platz) und China (71. Platz) verdeutlichen, dass auch die größten Volkswirtschaften noch aufholen müssen. Am weitesten von der Umsetzung entfernt sind afrikanische Staaten wie die Zentralafrikanische Republik, Tschad oder die Demokratische Republik Kongo.
Industrieländer werden Vorbildrolle nicht gerecht
Die Autoren kritisieren vor allem die Rolle der Industrieländer. Diese sind trotz ihres Reichtums und ihrer technologischen Entwicklung in den meisten Fällen noch deutlich von den Zielen entfernt. Gleichzeitig gehören sie auch zu den größten Kostenverursachern. Soziale, ökonomische oder ökologische Kosten für Drittstaaten entstehen nicht nur durch das Konsumverhalten reicher Staaten, die häufig verschwenderisch mit natürlichen Ressourcen umgehen, sondern auch durch Waffenexporte, den Schutz von Steueroasen oder mangelnde Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit. Waffenexporte können die Konflikte in Krisenregionen verstärken. Israel, Russland, Norwegen, die USA, Frankreich und Deutschland gehören zu den größten Waffenexporteuren weltweit.
Auch die internationale Finanzarchitektur hat negative Auswirkungen. Gelder, die aus Staatskassen von Entwicklungsländern in westliche Steueroasen fließen, fehlen in den Herkunftsländern teilweise für öffentliche Investitionen. Großbritannien verursacht laut Index die meisten Kosten durch den Schutz von Steueroasen. Die Schweiz hingegen ist der negative Spitzenreiter bei der Intransparenz von Finanzgeschäften, die zum Beispiel Schwarzkonten ermöglichen. Auch in der Entwicklungshilfe bleiben die Industrieländer einiges schuldig. Innerhalb der OECD stellen nur Schweden, Norwegen, Luxemburg, Dänemark, die Niederlande und Großbritanniengegenwärtig die von den Vereinten Nationen geforderten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung. Wenn sich diese Entwicklung infolge zunehmender nationaler Egoismen noch verstärken würden, wäre die Agenda 2030 laut den Autoren der Studie nicht mehr umzusetzen.
Unser Vorstandsvorsitzender Aart De Geus appelliert an die G20-Staaten, sie "sollten in Hamburg ein klares Zeichen für die globalen Ziele und gegen nationale Egoismen setzen". Jeffrey Sachs, Direktor des SDSN-Netzwerks und UN-Sonderberater, ergänzt: "Der SDG-Index verdeutlicht, dass alle Länder bei der Um¬setzung der Ziele gefordert sind. Alle Staaten sollten die Ziele in ihrer nationalen Politik verankern und ihrer Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft gerecht werden."
Deutschland unter den Top Ten
Deutschland belegt im weltweiten Ranking den sechsten Platz und ist damit neben Frankreich das einzige Land der G7-Gruppe in den Top Ten. Vor allem in den Bereichen Bildung und Infrastruktur punkten die Deutschen. Im Bildungsbereich liegt Deutschland auf dem dritten Platz hinter Großbritannien und Kanada. Das gute Abschneiden geht vor allem auf die langjährige und nahezu universelle Schulbildung und eine niedrige Analphabetenrate zurück. Bei Infrastruktur und Industrie punktet Deutschland vor allem durch gut ausgebaute Transportwege oder auch die hohe Anmeldequote von Patenten.
Doch es gibt auch Nachholbedarf: Die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland nahezu sechsmal größer als beim Spitzenreiter Belgien. Während Deutschland zu den zehn größten Waffenexporteuren der Welt gehört, zahlt es nur 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Entwicklungshilfe ein. Außerdem ist die Müllproduktion hierzulande, wie in den meisten OECD-Ländern, zu hoch – was sich negativ auf das Bundesergebnis im Bereich verantwortungsvoller Konsum und Produktion auswirkt.
Die ärmste Region der Welt, die Länder südlich der Sahara, sind erwartungsgemäß noch am weitesten von den Vorgaben entfernt. Im Gegenzug schneiden die afrikanischen Länder gerade in einem Bereich vergleichsweise gut ab, in dem die Industriestaaten Schwächen zeigen: Konsum und Produktion. Afrikanische Länder wie Burundi, Kongo oder Malawi produzieren im Schnitt nur 0,2 Kilogramm Elektroschrott pro Person. In den OECD-Ländern sind es durchschnittlich 18 Kilogramm.