Präsident Donald Trump begann die Rede zu seiner Amtseinführung mit einer klaren Trennung zwischen dem in Washington gefeierten Wohlstand und den Geldnöten vieler amerikanischer Familien. Er sprach von einem "Establishment", das seine eigenen Interessen auf Kosten der arbeitenden Männer und Frauen (den "Vergessenen") des ganzen Landes verteidigt. Der 45. Präsident der USA zeichnete ein apokalyptisches Bild, in dem die Städte von Kriminalität, Drogen und Bandenkriegen erschüttert werden und das Land von Industrie-Ruinen, verfallender Infrastruktur und beschäftigungslosen Menschen geprägt ist, deren Arbeitsplätze nach Übersee verlagert wurden. Diese Bilder sind Beobachtern seines Wahlkampfes wohlbekannt.
Im Wahlkampf gelobte Trump, all diesen Übeln ein Ende zu setzen. Daher erstaunt es nicht, dass er diese Themen in seiner ersten Rede als Präsident wieder aufgriff. Er versprach, Arbeitsplätze zurückzubringen, die US-Grenze mit Mexiko zu sichern, und im ganzen Land Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien zu bauen. Und er versprach, seine Pläne mit "amerikanischen Händen und amerikanischer Arbeitskraft" umzusetzen.
Nun wären solch hehre Ziele in einem Vakuum bereits schwer erreichbar, in der globalisierten Welt von heute stellen sie aber eine noch weitaus größere Herausforderung dar. Eine Strategie etwa, die sich auf das Motto "Amerikaner einstellen und amerikanisch kaufen" stützt, ist ein Rezept für steigende Verbraucherpreise und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen.
Hinzu kommt, dass Trump die politische Realität, in der er agieren muss, ausblendet. Große Infrastrukturprojekte sind kostspielig, und er wird auf den Widerstand der republikanischen Budget-Hardliner im Kongress stoßen, deren Begeisterung für höhere Staatsschulden zur Finanzierung solcher Initiativen gering ist, so offenkundig notwendig diese auch sind. Die knappe republikanische Mehrheit im Senat ist auf ein Weißes Haus angewiesen, das bereit und in der Lage ist, eine gemeinsame Basis mit den Demokraten zu finden, um seine Agenda voranzutreiben. Angesichts des Pomps und der Umstände der Amtseinführung geriet in Vergessenheit, dass dieser Präsident über zwei Millionen Wählerstimmen weniger erhielt als seine Kontrahentin, und deshalb ein Brückenschlag in Richtung der politischen Gegner entscheidend ist.
Im hoffnungsvollsten Moment seiner Rede meinte Trump, dass alle Amerikaner "eine Nation bilden, und ihr Leid unser Leid ist. Ihre Träume sind unsere Träume und ihr Erfolg wird unser Erfolg sein. Wir teilen ein Herz, eine Heimat und eine glorreiche Zukunft". Dies ist ein lobenswerter Gedanke und sollte zum Leitbild des Präsidenten beim Zuschütten der tiefen Gräben werden, die das Land heute durchziehen.