Donald Trump steht bei seiner Antrittsrede als US-Präsident vor dem Kapitol in Washington am Rednerpult und hebt beim Sprechen den rechten Zeigefinger.

Die Trump-Doktrin: Amerika zuerst, Amerika zuerst

Mit harter Rhetorik ist Donald Trump beim Amtsantritt seiner Linie aus dem Wahlkampf treu geblieben und irritiert damit auch internationale Verbündete. Doch es könnte sein, dass der neue US-Präsident seinen Kurs bald überdenken muss, wie Anthony Silberfeld, Direktor für transatlantische Beziehungen bei der Bertelsmann Foundation in Washington D.C., kommentiert.

Mehr als zwei Jahrhunderte lang erlebten die Amerikaner die friedliche Machtübergabe eines scheidenden Präsidenten an seinen Nachfolger als sorgfältig durchchoreografierte Zeremonie. Auch wenn amerikanische Präsidentschaftswahlkämpfe immer (aber in unterschiedlichem Maß) spannungsreich waren – die Amtseinführung bot dem neu gewählten Präsidenten stets die Gelegenheit, in der Hitze des Wahlkampfs geschlagene Wunden zu heilen und das Land hinter sich zu vereinen, wenn ein neues Kapitel beginnt.

Es ist üblich, dem politischen Gegner die Hand zu reichen, sich gegenüber dessen Wählern versöhnlich zu zeigen und eine hoffnungsvolle Botschaft der nationalen Versöhnung auszusenden. Der Kandidat Donald Trump hatte in seinem Wahlkampf mit vielen der üblichen und für die amerikanische Demokratie fundamentalen Konventionen und Traditionen gebrochen, und er blieb dieser Linie auch nach dem Ablegen seines Amtseides treu.

Von der "Strahlenden Stadt auf dem Hügel" zum "Amerikanischen Blutbad"

Präsident Donald Trump begann die Rede zu seiner Amtseinführung mit einer klaren Trennung zwischen dem in Washington gefeierten Wohlstand und den Geldnöten vieler amerikanischer Familien. Er sprach von einem "Establishment", das seine eigenen Interessen auf Kosten der arbeitenden Männer und Frauen (den "Vergessenen") des ganzen Landes verteidigt. Der 45. Präsident der USA zeichnete ein apokalyptisches Bild, in dem die Städte von Kriminalität, Drogen und Bandenkriegen erschüttert werden und das Land von Industrie-Ruinen, verfallender Infrastruktur und beschäftigungslosen Menschen geprägt ist, deren Arbeitsplätze nach Übersee verlagert wurden. Diese Bilder sind Beobachtern seines Wahlkampfes wohlbekannt.

Im Wahlkampf gelobte Trump, all diesen Übeln ein Ende zu setzen. Daher erstaunt es nicht, dass er diese Themen in seiner ersten Rede als Präsident wieder aufgriff. Er versprach, Arbeitsplätze zurückzubringen, die US-Grenze mit Mexiko zu sichern, und im ganzen Land Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien zu bauen. Und er versprach, seine Pläne mit "amerikanischen Händen und amerikanischer Arbeitskraft" umzusetzen.

Nun wären solch hehre Ziele in einem Vakuum bereits schwer erreichbar, in der globalisierten Welt von heute stellen sie aber eine noch weitaus größere Herausforderung dar. Eine Strategie etwa, die sich auf das Motto "Amerikaner einstellen und amerikanisch kaufen" stützt, ist ein Rezept für steigende Verbraucherpreise und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen.

Hinzu kommt, dass Trump die politische Realität, in der er agieren muss, ausblendet. Große Infrastrukturprojekte sind kostspielig, und er wird auf den Widerstand der republikanischen Budget-Hardliner im Kongress stoßen, deren Begeisterung für höhere Staatsschulden zur Finanzierung solcher Initiativen gering ist, so offenkundig notwendig diese auch sind. Die knappe republikanische Mehrheit im Senat ist auf ein Weißes Haus angewiesen, das bereit und in der Lage ist, eine gemeinsame Basis mit den Demokraten zu finden, um seine Agenda voranzutreiben. Angesichts des Pomps und der Umstände der Amtseinführung geriet in Vergessenheit, dass dieser Präsident über zwei Millionen Wählerstimmen weniger erhielt als seine Kontrahentin, und deshalb ein Brückenschlag in Richtung der politischen Gegner entscheidend ist.

Im hoffnungsvollsten Moment seiner Rede meinte Trump, dass alle Amerikaner "eine Nation bilden, und ihr Leid unser Leid ist. Ihre Träume sind unsere Träume und ihr Erfolg wird unser Erfolg sein. Wir teilen ein Herz, eine Heimat und eine glorreiche Zukunft". Dies ist ein lobenswerter Gedanke und sollte zum Leitbild des Präsidenten beim Zuschütten der tiefen Gräben werden, die das Land heute durchziehen.

Eine Rückkehr zur Festung Amerika?

Der Aufstieg von Donald Trump polarisiert nicht nur die Amerikaner. Tatsächlich gab der neue Präsident Verbündeten überall auf der Welt Anlass zur Sorge, als er seinen außenpolitischen Ansatz formulierte:

"Wir, die wir heute hier zusammengekommen sind, verkünden eine neue Doktrin, die in jeder Stadt, in jeder Hauptstadt der Welt und in jedem Machtzentrum gehört werden soll. Vom heutigen Tag an wird unser Land von einer neuen Vision geleitet. Vom heutigen Tag an steht Amerika an erster Stelle, kommt Amerika zuerst."


Mit einer einzigen Rede wurde die mehr als 70 Jahre bestehende internationale Nachkriegsordnung auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt. In der Trump-Ära sind Bündnisse nicht länger gegeben, sie müssen vielmehr auf der Grundlage eines angenommenen Gegenwerts verdient werden, den Verbündete anbieten können. Zwar kann eine "Diplomatie der Gegenleistung" begrenzt vorteilhaft sein, in einer zunehmend instabilen Welt aber scheint die Abschaffung eines Stabilitätsrahmens bestenfalls ein schlechter Ratschlag und schlimmstenfalls eine Katastrophe zu sein.

Europa sollte sich auf die Frage vorbereiten, ob der amerikanische Schutzschirm auch weiterhin verlässliche Sicherheit gewährt. Es sollte die Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml mit einem angemessenen Maß von Misstrauen betrachten. Und es muss Wachsamkeit zeigen für die Bemühungen der Trump-Administration, sich mit den Kräften zu verbünden, die die Stärke und Einheit der Europäischen Union zu untergraben versuchen.

Das bekannte Unbekannte

Jeder Präsident von George Washington bis Barack Obama stand vor Herausforderungen, die am Tag seines Amtseids, "die Verfassung der Vereinigten Staaten zu erhalten, zu schützen und zu verteidigen", nicht vorhersehbar waren. Im konkreten Fall zeigen sich weder der Islamische Staat noch Nordkorea von Trumps Gepolter beeindruckt, seine harte Rhetorik hat ihnen eher genützt. Die Diktatoren der Welt werden den Rückzug der USA von der weltpolitischen Bühne nutzen um auszutesten, wo die rote Linie des neuen Präsidenten für Interventionen liegt. Und aufstrebende Demokratien werden ihren eigenen Weg in einem internationalen System finden müssen, das nicht länger vom amerikanischen Streben nach Freiheit, Menschenrechten und Pluralismus getragen wird.

Diese Unvorhersehbarkeit brachte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Jahr 2002 auf den Punkt, als er den Ausdruck vom "bekannten Unbekannten" in den politischen Sprachgebrauch einführte. Ob sich die Vereinigten Staaten einer Wirtschaftskrise, Terrorismus oder einem internationalen Flächenbrand stellen müssen, ist ungewiss; feststeht hingegen, dass das Land Prüfungen meistern muss. Donald Trump jedenfalls sollte sich rasch mit dem "bekannten Unbekannten" vertraut machen, das seine "Amerika zuerst"-Agenda grundlegend verändern könnte.