Marcel Fratzscher, Aart De Geus und Clemens Fuest sitzen auf dem Podium der Veranstaltung in Berlin. Marcel Fratzscher spricht, während die anderen beiden Männer zuhören.

Wie zukunftsfähig ist die Soziale Marktwirtschaft?

Gerechtigkeitslücken statt "Wohlstand für alle": Was einst Leitspruch für die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland war, ist längst nicht mehr allgemeingültig. Wie fit das bisherige deutsche Erfolgsmodell für die Zukunft ist, diskutierten die Ökonomen Marcel Fratzscher und Clemens Fuest bei uns in Berlin.

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Die Soziale Marktwirtschaft galt stets als Garant für Wachstum, Wohlstand und gesellschaftliche Teilhabe und damit auch als Vorbild für viele andere Länder. Allerdings mehren sich in der öffentlichen Debatte immer häufiger Zweifel an der Fähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft, Wirtschaftswachstum mit sozialer Teilhabe in Einklang zu bringen. Darüber hinaus zeigt sich schon jetzt, dass Entwicklungen wie die Digitalisierung, Globalisierung sowie der demographische Wandel das deutsche Erfolgsmodell herausfordern.

Vor diesem Hintergrund stand am vergangenen Montag die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft im Zentrum des Streitgesprächs zwischen Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, und Professor Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts in München. Auf Einladung der Bertelsmann Stiftung diskutierten die beiden führenden Ökonomen mit knapp 130 Gästen in der Hauptstadtrepräsentanz der Stiftung in Berlin. 

Wohlstand für wenige?

Den heutigen Zustand der Sozialen Markwirtschaft beschreibt Marcel Fratzscher als weder sozial noch marktwirtschaftlich: "In Ostdeutschland beziehen 40 Prozent der Haushalte die Hälfte oder mehr ihrer Einkommen durch staatliche Transferleistungen, die Abhängigkeit vom Staat hat massiv zugenommen. Immer häufiger heißt es in Deutschland: Arm bleibt arm. Es ist immer schwieriger, den sozialen Aufstieg zu schaffen." Hohe Ungleichheiten bei Chancen, Einkommen und Vermögen verhinderten fairen Wettbewerb. Vom Wohlstand für alle hätten wir uns, so Fratzscher, schon sehr lange verabschiedet.

Für Clemens Fuest stellt die Ungleichheit kein zentrales Problem dar. Immerhin habe es die Bundesrepublik geschafft, die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren erheblich zu senken. Damit sei auch die Einkommensungleichheit zurückgegangen. Die Soziale Marktwirtschaft sei heute vielmehr durch Monopole, wirtschaftspolitische Interventionen und Preiseingriffe gefährdet, vor denen schon Ludwig Erhard stets gewarnt habe. Die Mietpreisbremse und der Mindestlohn seien Beispiele für solche Fehlentwicklungen. "Vor 15 Jahren galt Deutschland noch als der kranke Mann Europas. Heute gilt Deutschland als die am besten laufende Volkswirtschaft. Es ist nicht garantiert, dass das auch weitergeht."

Reformen und Investitionen unabdingbar

Einig waren sich beide Ökonomen, dass in der Bundesrepublik bislang zentrale Reformen und Zukunftsinvestitionen ausbleiben, um die richtigen Weichen für eine zukunftsfähige Soziale Marktwirtschaft zu stellen.

Insbesondere im Bereich des Steuer- und Transfersystems nannten die beiden Panelisten zahlreiche Reformpotentiale, die von der Entlastung der Mittelschicht, der stärkeren Besteuerung von Kapital und Vermögen und der Reform des Erbschaftssteuerrechts bis zur Entlastung des Faktors Arbeit reichten. Es gebe zahlreiche Maßnahmen im deutschen Steuersystem, so Fuest, von denen nur einige wenige profitierten. "Ziel muss es sein, mehr Steuergerechtigkeit und damit mehr Wettbewerb zu schaffen", ergänzte Fratzscher.

Beide Panelisten betonten darüber hinaus die Notwendigkeit, stärker als bisher in den frühkindlichen Bereich zu investieren. "Ein Euro, der in den frühkindlichen Bereich investiert wird, hat eine viel größere Rendite als ein Euro, der im Universitätsbereich investiert wird", so Fratzscher.

Zukunft der Arbeit

Die Frage, ob es in Zukunft auch genug Arbeit geben wird, bejahten beide Panelisten. "Solange es Menschen gibt, die kreativ sind, die motiviert sind, etwas zu schaffen und sich in die Gemeinschaft einzubringen, solange wird es auch Arbeit geben", so Fratzscher.

Clemens Fuest stimmte dieser Einschätzung zu, und betonte, dass der technologische Wandel unsere Art zu wirtschaften maßgeblich verändern werde.  Es werde nicht zu einer kompletten Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt kommen, vielmehr würden die Anforderungen in allen Qualifikationsbereichen steigen. "Welche Qualifikationen allerdings in der Bundesrepublik zukünftig gefragt sein werden, ist schwer vorauszusagen; es wird sich am Markt zeigen", so Fuest.