Zwei Mitarbeiter der "Zweiten Sparkasse" in Wien sitzen an einem Tisch und unterhalten sich mit einer dritten Person, von der nur ein Arm ins Bild ragt.

Ein Konto als zweite Chance

Die "Zweite Sparkasse" mit ihren sieben Filialen in ganz Österreich unterstützt Menschen in finanzieller Notlage mit einem Konto. Konten wie ein Rettungsanker. Und eine Beratung, die Mut macht und Sicherheit gibt.

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Text von Dagmar Rosenfeld für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 2/2016 (gekürzte Fassung).

Ob in der Vorstandsetage oder in den Filialen – immer wieder erzählen sie in der Zweiten Sparkasse von Johann Baptist Weber. Er war Anfang des 19. Jahrhunderts Pfarrer in der Wiener Vorstadt. Ein Mann, der an Gott glaubte und daran, dass sich Armut am besten mit Hilfe zur Selbsthilfe bekämpfen lasse. Damit Kredite und Konten nicht länger ein Privileg der ohnehin Wohlhabenden blieben, gründete Weber Österreichs erste Sparkasse. Deren Klientel waren vor allem diejenigen, die kaum etwas hatten.

In der Zweiten Sparkasse fühlen sie sich Johann Baptist Weber, dem Banker mit christlichem Antlitz, bis heute verpflichtet. "Da drüben hat er gewirkt", sagt Herbert Friedl, ein rüstiger Herr von 71 Jahren, und zeigt die Straße hinunter Richtung Leopoldkirche. Dann öffnet er die gläserne Eingangstür zur Filiale der Zweiten Sparkasse in der Glockengasse. In wenigen Minuten beginnt hier sein Dienst. Eigentlich ist Friedl im Ruhestand, doch seit fast zehn Jahren kümmern sich er und seine Ehefrau – beide waren einmal in der Finanzbranche tätig – ehrenamtlich um Menschen, die keine andere Bank haben will. Die Kunden der Friedls sind beruflich Gescheiterte, Überschuldete, Suchtkranke, strafrechtlich Auffällige – Männer und Frauen, die ein Konto brauchen, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Zweite Sparkasse, zweite Chance.

Ein Konto bedeutet Teilhabe und Selbstbestimmung

Nun sind Finanzinstitute nicht gerade als Schutzpatrone der Mittellosen bekannt. Wie kommt es also, dass die Erste Group Bank AG – mit 15,8 Millionen Kunden und 2.700 Filialen einer der größten Finanzdienstleister Europas – sich seit nunmehr zehn Jahren für die Zweite Sparkasse engagiert? Warum wurden – mit Mitteln des gemeinnützig tätigen Hauptaktionärs ERSTE Stiftung – sieben Filialen gegründet, die keinen Gewinn abwerfen, sondern deren einziger Geschäftszweck es ist, die Schwachen etwas stärker zu machen? "Karitatives Engagement ist Teil unserer unternehmerischen Verantwortung", sagt Evelyn Hayden, Vorstandsvorsitzende der Zweiten Sparkasse. "Wir haben uns dabei für einen Bereich entschieden, den wir mit unserem Bankwissen abdecken können, nämlich Menschen dazu zu befähigen, mit Geld und einem Konto sinnvoll umzugehen."

Mehrere zehntausend Österreicher, so offizielle Schätzungen, haben kein Girokonto. Ob Gehalts- oder Mietzahlungen, ob Handy- oder Stromverträge – ohne Konto leben zu müssen ist nicht nur kompliziert, sondern auch teuer. So ist beispielsweise jede Überweisung auf ein fremdes Konto, die ja zwangsläufig als Barüberweisung erfolgt, mit Gebühren verbunden. Auch berechnen Ämter Abschläge, wenn sie Leistungen wie das Arbeitslosengeld mangels einer Bankverbindung des Empfängers in bar auszahlen müssen. 

Ein Konto ist eben mehr als ein finanztechnisches Instrument, es bedeutet Teilhabe und Selbstbestimmung. "Daher beschränkt sich unser Konzept nicht allein auf die Bereitstellung einer Bankverbindung", erklärt Evelyn Hayden. Die Zweite Sparkasse arbeitet mit Wohlfahrtsverbänden wie der Caritas und Beratungsorganisationen wie der Schuldnerberatung zusammen. Voraussetzung für ein Konto bei der Zweiten ist, von einem dieser Partner als Kunde empfohlen zu werden. Dahinter steht der Gedanke: Nur wer bereit ist, seine Lebensumstände zu regeln, kann auch seine Finanzen in den Griff bekommen.

Bringt sein Fachwissen aus der Finanzwelt nun im Ruhestand ehrenamtlich ein: Das Ehepaar Friedl, einst selbst für eine Bank tätig, unterstützt die "Zweite Sparkasse" in Wien.

So besonders die Kunden der Zweiten Sparkasse sind, so besonders ist auch ihr Personal. Vom Vorstand bis zu den Beratern in den Filialen sind die insgesamt 360 Mitarbeiter ehrenamtlich tätig. Sie alle kommen von der Ersten Bank oder den österreichischen Sparkassen. Manche von ihnen stehen noch mitten im Berufsleben, andere sind Pensionäre wie das Ehepaar Friedl.

Die beiden sitzen nun zwischen orangefarbenen Polstern und blassgrünen Zimmerpflanzen an einem der Beratungstische in der Glockengasse. Gescheiterte Beziehungen, geschäftliche Fehlinvestitionen, ungehemmte Kauflust, plötzliche Krankheiten – Frau Friedl nennt es "die Finten des Lebens", denen sie hier begegne. Die vielen, vielen Beratungsgespräche der vergangenen Jahre hätten sie Bescheidenheit gelehrt. Und Dankbarkeit dafür, dass sie von Schicksalsschlägen verschont geblieben sei.

"Wer zu uns kommt, wird wie ein Kunde und nicht wie ein Bittsteller behandelt. Was wir bieten, ist professioneller Bankservice."

Hebert Friedl, Mitarbeiter der Zweiten Sparkassen

Die Beratungsgespräche haben organisatorischen Charakter, keinen seelsorgerischen. Für das psychologische Gleichgewicht sind die betreuenden Organisationen zuständig, für die finanzielle Balance die Zweite Sparkasse. Ihre Mitarbeiter helfen bei Überweisungen, kümmern sich um Ratenzahlungen an Gläubiger, und wenn es sein muss, erklären sie älteren Damen am Telefon, was es mit dieser furchtbar langen IBAN auf sich hat.

Das Leben aus dem Takt

Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat die Zweite Sparkasse insgesamt 14.000 Menschen betreut, rund 3.000 von ihnen so erfolgreich, dass sie mittlerweile wieder ein Konto bei regulären Banken besitzen. Die Zweite ist wohl das einzige Geldinstitut, das es darauf anlegt, Kunden zu verlieren anstatt hinzuzugewinnen. Zu den im positiven Sinne Verlorenen gehört auch Harald Leithner. Der 59-Jährige hat in seinem Leben viel richtig gemacht, und dennoch ist eine Menge falsch gelaufen. Höher, schneller, weiter – das war lange Zeit der Rhythmus, in dem er lebte. Begonnen hat sein beruflicher Werdegang an einer Hotelfachschule in Wien. Anschließend arbeitete er am Empfang eines größeren Hotels im Zentrum der Stadt. Dann lernte er seine zukünftige Ehefrau kennen. Eine Polin, aus der die Entbehrungen im Kommunismus einen ehrgeizigen und anspruchsvollen Menschen gemacht hätten, sagt Leithner. Vielleicht zu ehrgeizig und zu anspruchsvoll. Ihr jedenfalls war der Empfangsbereich eines Hotels als berufliche Perspektive für ihren Gatten zu wenig. Und auch ihm genügte die Abfertigung von Reisegruppen nicht mehr, er wollte selbst auf Reisen gehen. Er wechselte in die Speditionsbranche, sein neuer Arbeitgeber verschiffte Container über den Ärmelkanal. Leithner war nun oft geschäftlich in Irland und Großbritannien unterwegs. Auch bei der Familienplanung waren die Leithners auf Wachstum eingestellt: Sie wurden Eltern von zwei Töchtern. 

Harald Leithner war zufrieden, es fehlte ihm an nichts. Doch seine Gattin konnte nicht genug kriegen. Eine Führungsposition musste her. Er fand bei einer auf das Tankcontainer-Geschäft spezialisierten Firma einen Job in leitender Funktion. Das allerdings habe sich als zu speziell entpuppt. Also wechselte Leithner erneut: Er schulte um und gründete zusammen mit einem Bekannten ein eigenes Unternehmen. Von da an aber ging es bergab. Die Firma geriet in finanzielle Schwierigkeiten, der Kompagnon veruntreute Gelder, und am Ende blieb nur der Konkurs, so erzählt es zumindest Leithner. Auf die Firmenpleite folgte die Privatinsolvenz. Als seine Frau gemerkt habe, dass bei ihm nichts mehr zu holen sei, habe sie ihre Koffer gepackt, sagt Leithner. Mit Problemen ist es wie mit Dominosteinen: Kommen sie einmal in Bewegung, bricht alles zusammen. Harald Leithner erleidet einen Lungeninfarkt, gerät an eine Frau, die ihn wegen Betrugs anzeigt – zu Unrecht, wie er bis heute beteuert –, und wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Mehr als ein eigenes Konto

In all der Zeit ist die Zweite Sparkasse sein treuer Begleiter, das Konto wird für ihn zum Symbol einer Normalität, in die er sich wieder zurückarbeiten will. Die Zweite Sparkasse gibt ihren Kunden eben nicht nur ein Konto, sondern auch ein Stück ihrer Würde zurück.

"Als mich keiner wollte, weder meine Familie, meine Frau noch eine Bank, war die Filiale in der Glockengasse der einzige Ort, an dem ich mich willkommen gefühlt habe. Einfach nur, weil ich hier trotz des Chaos in meinem Leben ordentlich behandelt worden bin."

Harald Leithner, Kunde der Zweiten Sparkasse

Im Herbst dieses Jahres wird eine EU-Richtlinie in Kraft treten, die ein Konto für jedermann vorsieht. Banken dürfen dann keine Kunden mehr ablehnen. Damit wird die Zweite Sparkasse doch überflüssig, oder? "In keinem Fall", sagt Evelyn Hayden. Denn ein Konto allein ermögliche noch keinen Neuanfang, dafür brauche es eine umfassendere Betreuung. Ohnehin ist die Zweite Sparkasse nur der Anfang gewesen. Mittlerweile gibt es bei der Erste Group eine eigene Abteilung fürs Karitative. Sie nennt sich Social Banking. Das klingt wahnsinnig modern, meint letztlich aber nichts anderes als die alte Idee von Johann Baptist Weber. Jenem Pfarrer, von dessen Konzept sie hier nicht nur reden, sondern das sie auch umsetzen.