Ein Boot mit türkischer Flagge treibt im Meer. Im Hintergrund sind zwei Containerschiffe und ein Schiff mit Verladekran zu sehen.

Türkei und EU müssen wirtschaftlich zusammenwachsen

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind derzeit vielfach belastet. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara könnte demnächst auf eine harte Probe gestellt werden: TTIP und andere geplante Freihandelsabkommen der EU würden die Türkei als Drittstaat benachteiligen.

 

Der Türkei als Nicht-EU-Mitglied drohen durch neue EU-Handelsabkommen, wie der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), deutliche Nachteile. Die bisher gewinnbringende Zollunion zwischen Brüssel und Ankara würde für die Türken dann in eine Sackgasse führen und ihnen teils empfindliche Einbußen im Außenhandel bescheren. Eine Lösung könnte eine Anpassung und Vertiefung der Zollunion sein. Das sind zentrale Ergebnisse und Handlungsempfehlungen einer Studie, die wir zusammen mit dem ifo Institut erarbeitet haben.

Die Zollunion zwischen der EU und der Türkei war bisher eine Win-Win-Situation: Sie ermöglichte einen stetigen Anstieg des gegenseitigen Handels und wirtschaftliche Gewinne auf beiden Seiten. Nun steht diese fruchtbare Zusammenarbeit womöglich auf der Kippe. Würde die EU Abkommen wie TTIP schließen, wäre Ankara aufgrund der Zollunion gezwungen, Zölle für Produkte von neuen EU-Handelsvertragspartnern, wie den USA, zu senken. Da die Türkei aber kein EU-Mitglied, sondern ein sogenannter "Drittstaat" ist, könnte sie im Gegenzug nicht mit niedrigeren Zöllen für ihre Exporte in diese Länder rechnen.

Doch damit nicht genug: Der Türkei drohten zum Teil empfindliche Einbußen im Außenhandel. Insgesamt fielen die möglichen Verluste mit 0,01 Prozent des BIP vergleichsweise gering aus. Doch einzelne Exportfelder würden erheblich in Mitleidenschaft gezogen: So müssten beispielsweise die türkischen Automobil- und Maschinenbaubranchen einen Rückgang des Handelsvolumens um 10 beziehungsweise 4 Prozent befürchten. Berücksichtigt man langfristige Anpassungen der Handelsabkommen mit Drittstaaten, wären Verluste von über 1,5 Prozent des BIP möglich.

Kommen TTIP und Co., sollte die Zollunion zwischen Brüssel und Ankara erweitert werden

Eine Reihe von türkischen Politikern schlägt bereits die Auflösung der Zollunion vor. Doch dies würde für die türkische Wirtschaft einen Rückschritt bedeuten. Das Ungleichgewicht in den Handelsbeziehungen mit der EU und deren Handelspartnern wäre zwar behoben. Aber ohne Zollunion müsste sich die Türkei auch auf ein Ende des bevorzugten Zugangs zum europäischen Markt einstellen – mit teils gravierenden Auswirkungen: Eine Auflösung der Zollunion würde zu einem Rückgang des türkischen BIP um 0,81 Prozent führen. Käme dann noch der Abschluss der neuen EU-Handelsabkommen hinzu, sänke das türkische BIP um weitere 0,96 Prozent. Auch die EU müsste in einem solchen Fall mit Verlusten rechnen.

Ein Ausweg könnte die Anpassung und Vertiefung der Zollunion zwischen Brüssel und Ankara sein. Eine Erweiterung um die Bereiche Agrarwirtschaft und Dienstleistungen würde die negativen Effekte von EU-Handelsabkommen für die Türken nicht nur aufwiegen. Die erweiterte Zollunion könnte gar zu einem Anstieg des türkischen BIP um 1,84 Prozent führen. Agrarwirtschaftliche Exporte in die EU könnten um 95 und Exporte von Dienstleistungen sogar um 430 Prozent steigen. Kämen in Zukunft noch weitere EU-Handelsvertragspartner hinzu, mit denen auch die Türkei Abkommen schließt, könnte dies Ankara sogar einen BIP-Zuwachs von 2,5 Prozent oder nominal von 18 Milliarden US-Dollar bringen.

Auch für die EU-Staaten böte die Einbindung der türkischen Agrar- und Dienstleistungssektoren in die Zollunion wirtschaftliche Chancen. Daher wäre Ankara bei künftigen Treffen mit der EU in einer durchaus guten Verhandlungsposition.

"Mehr Handel, nicht weniger, das sollte die Antwort auf die Herausforderungen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und Türkei sein. Die EU sollte in Folge neuer möglicher Handelsabkommen auch ihre Zusammenarbeit mit nicht beteiligten Drittstaaten zum Wohle aller anpassen."

Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Die Studienautoren empfehlen, die Zollunion im Zusammenspiel mit geplanten EU-Freihandelsabkommen zu erweitern, so dass ausgehandelte Zollerleichterungen für europäische Firmen in Drittstaaten in Zukunft auch für türkische Unternehmen mitberücksichtigt werden können.

Erweiterung der europäisch-türkischen Zollunion als Baustein der EU-Integration

Zuletzt zeigte der Ausgang des Brexit-Referendums in Großbritannien einmal mehr, wie schwierig und komplex die europäische Integration ist. Mit multiplen Krisen und unterschiedlichsten Entwicklungen hätten wir uns mehr und mehr zu einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten entwickelt, unterstreicht Ulrich Schoof, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung. Für EU-Beitrittskandidaten wie die Türkei bedeute dies, dass der Anschluss an Europa zuerst auf wirtschaftlicher Ebene erfolgen müsse. Eine Vertiefung der Zollunion wäre hierbei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, so Schoof.

Die komplette Studie finden Sie hier. Weitere ausführliche Hintergrundinfos zum Thema bietet Ihnen GED Project im Blog und auf Twitter. Eine Kurzzusammenfassung der Studie gibts in unserem Policy Brief.