Die beiden Unternehmensgründerinnen von "Bridge & Tunnel" stehen mit zwei Mitarbeiterinnnen in ihrer Näh- und Schneiderwerkstatt, umgeben von Nähmaschinen, und lächeln in die Kamera.

Mehr als wirtschaftlicher Erfolg

Ein Unternehmen gründen und die Welt damit ein wenig besser machen: Wer ein Stipendium von "Social Impact" erhält, kann sich den Traum einer sozialen Unternehmensgründung erfüllen und Gutes mit Gutem verbinden.

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Text von Thomas Röbke für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 2/2016 (gekürzte Fassung).

Manchmal kommt das Glück in ausgedienten Jeans daher. Stapelweise liegen sie hier, auf den breiten Arbeitstischen im zweiten Stock eines Gewerbehofs in Hamburg-Wilhelmsburg. Die aussortierten Spenden aus der Kleiderkammer nebenan sind zu verschlissen, um noch einmal getragen zu werden.

Doch Löcher im Knie oder ein fadenscheiniger Schritt stören die Frauen nicht, die aus den Teilen, die einst Ober- oder Unterschenkel bedeckten, Designobjekte schneidern. Rucksäcke, Reisetaschen, Sitzkissen, Laptop-Hüllen, denen man in ihren leuchtenden Blauschattierungen und pfiffigen Designs ihre "Ich war eine Hose"-Vergangenheit in keiner Weise ansieht.

"Genau das wollen wir ja erreichen", sagt Dr. Constanze Klotz mit zufriedenem Lächeln. Bridge & Tunnel heißt das Start-up, das die 35-Jährige mit ihrer Kollegin Charlotte Erhorn (37) in den Näh- und Schneiderwerkstätten des Wilhelmsburger "Stoffdecks" gegründet hat. Es soll arbeitslosen Frauen aus dem Stadtteil, die sonst auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermitteln sind, eine Berufsperspektive geben.

Eine Chance auch ohne Ausbildung

Frauen wie Mandeep Kaur. Die 38-Jährige kam vor zwölf Jahren aus dem indischen Panjab nach Deutschland und möchte nun, nachdem sie sich in der ganzen Zeit ausschließlich um ihren Mann und die drei Kinder gekümmert hat, in die Berufswelt starten. Eine Ausbildung als Schneiderin oder Näherin hat sie nicht, sie hat sich das Handwerk bei Mutter und Großmutter abgeschaut.

Eine entsprechende Ausbildung mit anerkanntem Abschluss fördert das Jobcenter nicht – die Nachfrage in diesem Bereich sei in Deutschland einfach zu niedrig, heißt es. Doch ein Jobcenter-Mitarbeiter gab ihr den Tipp, sich an Bridge & Tunnel zu wenden. Hier macht sie nun ein einmonatiges Praktikum und blüht jeden Tag ein Stückchen mehr auf: "Sie hat Zauberhände. Wir werden sie auf jeden Fall übernehmen", verspricht Charlotte. Und sie ergänzt: "Uns geht es um mehr als um wirtschaftlichen Erfolg: Benachteiligte Frauen sollen wieder eine Arbeit haben. Und Männer natürlich auch, wir diskriminieren hier niemanden."

Eine Ausbildung zur Näherin hat keine der Mitarbeiterinnen gemacht: "Sie bringen ihre Handwerklichkeit mit." Das erklärte Ziel von Bridge & Tunnel: in fünf Jahren fünf Frauen in fünf feste Jobs bringen. Eine Übungsleiterin – mit ihren 62 Jahren kommt sie nicht auf dem freien Arbeitsmarkt unter – steht den Näherinnen für handwerkliche Fragen zur Seite. Darüber hinaus wird ihnen bei Behördengängen, Rechtsfragen und beim Bewältigen von ungeübten Arbeitssituationen geholfen.

Schönes und Raffiniertes statt Schickimicki

"Wir wollen die Gesellschaft durch Design verändern", bringt Constanze Klotz ihre Motivation auf den Punkt. Wichtig für die weitgehend aus recyceltem Material hergestellten Produkte sei: "Wir wollen kein Schickimicki herstellen, sondern schöne Dinge, die raffiniert aussehen."

Lokal, fair, sozial und nachhaltig will Bridge & Tunnel sein. Klar, dass das seinen Preis hat. Und der reicht von 69 Euro für eine Laptop-Hülle bis zu den Teppichen, die es in zwei Ausführungen gibt: mit einem Meter Durchmesser, geknüpft aus 40 alten Jeans, für 300 Euro und mit 1,20 Meter Durchmesser aus 60 Jeans für 500 Euro.

Mit Kaufhausware aus Fernost können die Produkte – jedes ein Unikat – preislich natürlich nicht mithalten. Für Charlotte und Constanze kein Problem: "Es gibt dafür einen Markt, denn langsam, aber stetig findet ein Bewusstseinswandel statt. Eine Lust auf Anständigkeit im Designbereich: Man kauft nicht mehr in Masse, sondern lieber besondere Stücke."

Stipendien für gute Ideen

Das achtmonatige Stipendium von Social Impact ermöglichte es den beiden Gründerinnen, ihr Portfolio zuzuspitzen: Anfangs hätten sie zu viele verschiedene Produkte im Angebot gehabt, sagen sie. Außerdem sei es gut gewesen, sich mit den anderen Gründern im Social Impact Lab über Schwierigkeiten auszutauschen und Fragen stellen zu können: "Zusammen ist man schlauer", weiß Charlotte. Der Seitenblick ("Warum ticken wir sozialbewegten Gründer anders?") sei ebenfalls sehr hilfreich gewesen. Und auch die Idee, keinen großen Lagerbestand aufzubauen, sondern das gewünschte Produkt künftig erst nach der Bestellung herzustellen, entstand während des Stipendiums.

Obwohl das Stipendium inzwischen ausgelaufen ist, sind Charlotte oder Constanze nach wie vor an ein, zwei Tagen in der Woche im Social Impact Lab anzutreffen. Denn ein Teil der Co-Working-Arbeitsplätze in der rund 160 Quadratmeter großen alten Fabrik-etage im Schatten des Hamburger Michel wird günstig an Alumni vermietet, die so die Vorteile der Gemeinschaft weiter nutzen können. 

Derzeit arbeiten hier neben einigen Alumni fünf Stipendiaten-Teams des "Impact Starter"-Programms und zwei Stipendiaten-Teams  des "Ankommer"-Programms, das die sozioökonomische Teilhabe von Geflüchteten verbessern soll. Etwas Berufserfahrung hat sich bereits angesammelt. Der Altersdurchschnitt der Stipendiaten liegt um die 30 Jahre. "Bei der Auswahl legen wir sehr viel Wert auf die Gründerpersönlichkeit", erläutert Dannie Quilitzsch, die das Social Impact Lab Hamburg seit zwei Jahren leitet. "Außerdem ist die Größe des 'impacts' entscheidend: Welcher Wandel wird damit angeschoben? Es sollte eine Idee sein, die sich auf andere Städte übertragen lässt."

Dannie Quilitzsch leitet seit zwei Jahren das Social Impact Lab und legt großen Wert darauf, Netzwerke zu fördern. (Foto: Achim Multhaupt)

Die Idee hinter "Social Impact"

Das Sozialgründerstipendium "Impact Starter" wird von Barclaycard finanziert. Entwickelt wurde es ursprünglich als "Social Impact Start" von SAP; der Software-Riese ist nach wie vor ein großer Förderer von Social Impact insgesamt. Das Angebot wird ständig weiterentwickelt. Beispielsweise wird das Sozialgründerstipendium mit "Startery" jetzt auch ohne Co-Working-Space angeboten: "Und damit auch für Projekte, die nicht an unseren Standorten sitzen."

Im Eingangsbereich hängen links rund 20 DIN-A4-Plakate mit kurzen Selbstdarstellungen und Fotos der Alumni, rechts präsentieren sich die aktuellen Stipendiaten. Sie haben eine Präsenzpflicht von 20 Stunden in der Woche, "damit sie wirklich intensiv an den Projekten sitzen", wie Dannie Quilitzsch sagt. Im Co-Working-Space entwickeln die Stipendiaten ihre Ideen, schreiben einen Businessplan, gründen und stehen dann vor der großen Herausforderung, die Anschubkosten zu finanzieren.

Für sie gibt es mit "Social Impact Finance" eine Art Verlängerung des Stipendiatenprogramms. Denn: "Soziale Start-ups haben es schwerer, Investoren ins Boot zu holen, weil sie in der Regel keine finanzielle Rendite anbieten können." Ein Mentorenprogramm mit Deutsche-Bank-Mitarbeitern, ein Partnerprogramm mit Social Business Angels und ein sogenannter Wirkungsfonds, der von Social Impact gemeinsam mit SAP und der Deutschen Bank Stiftung aufgesetzt wurde,​ sind weitere Instrumente, mit denen der Erfolg der Projekte  abgesichert werden soll.

Potenziale von Flüchtlingen ausschöpfen

Zu denen, die einen festen Arbeitsplatz im Lab haben, gehören Benjamin Jürgens (30) und Lukas Halfmann (31). Sie wollen mit ihrem Start-up, der Refugee Canteen, Flüchtlinge für eine Arbeit in der Gastronomie vorqualifizieren. In dieser Branche kennen sich beide bestens aus: Lukas ist gelernter Koch, Benjamin ist vor zehn Jahren "spontan in die Gastronomie reingehüpft – und nie wieder herausgekommen. Ich fing ganz klassisch an der Bar an und habe mich dann mit Prozessen und Events beschäftigt."

2013 lernten sich die beiden kennen und stellten schnell fest, dass es sie schon immer störte, "dass Menschen ihre Potenziale oft nicht entwickeln, wenn sie aus Ländern kommen, in denen sie nicht sicher sind", erzählt Benjamin Jürgens. "Wir haben Menschen an der Spüle erlebt, mit einem extremen Potenzial, das sie aber nicht ausschöpfen können. Oft liegt das an Sprachbarrieren." Der zweite Aspekt war, dass viele Menschen ohne Vorkenntnisse in die Gastronomie einsteigen wollen und sich damit völlig übernehmen: "So haben wir früh darüber nachgedacht, mal im System etwas zu ändern."

Gemeinsam mit seinem Kollegen Lukas Halfmann gründete Benjamin Jürgens (Foto) die "Refugee Canteen". (Foto: Achim Multhaupt)

Traum vom langen Tisch

Als Benjamin und Lukas ein Social-Impact-Flyer über das Ankommerprogramm der KfW-Stiftung in die Hände fiel, entwickelten sie aus ihren Gastronomie-Erfahrungen die Idee der Refugee Canteen. "Ein langer, großer Tisch, an dem alle gemeinsam essen und reden, das erschien uns als Idealbild", erzählt Benjamin, von dem auch der Projektname stammt. "Und dann sagten wir: Wir gründen eine Akademie, zeigen den Leuten, wie cool es ist, sich mit der Branche zu beschäftigen."

Das Kulturelle, das Interkulturelle und auch das Handwerkliche seien elementar in dieser Branche, in der die Hälfte der Ausbildungsplätze für den Beruf Koch nicht besetzt sind und in der jeder Zweite der jährlich 20.000 Auszubildenden abbricht. Die Folge: Qualität und Kreativität gehen in der Branche flächendeckend verloren. Jürgens: "Uns beiden war klar: Karriere kann auch bedeuten, Menschen wegweisende Perspektiven zu geben."

Mit der Förderungszusage wurde es dann komplexer: Businessplangespräche, eine Fülle von Zahlen und Paragraphen – kurz: vieles, an das man in der ersten Gründungseuphorie nicht denkt. "Da ist man froh, dass man das Programm hier nutzen kann, weil es einem die Ruhe und die Zeit gibt, darüber nachzudenken und seinen Blickwinkel neu zu positionieren, seine Idee vielleicht noch zu schärfen, sich nicht zu verrennen."

Jeder hilft jedem

Im Oktober werden sie ihre eigenen Räume beziehen: Die Küche in Hamburg-Wilhelmsburg haben ihnen die Kolleginnen von Bridge & Tunnel vermittelt. Sie werden sich ihre Maßnahmen zertifizieren lassen, die Teilnehmer wird die Bundesagentur für Arbeit über Bildungsgutscheine vermitteln. Zwölf Wochen werden die 20 Teilnehmer in der Akademie die theoretischen Seiten des Handwerks lernen, Hygienevorschriften, Sicherheitsvorkehrungen, Arbeitsverträge, Gastrodeutsch, interkulturelles Miteinander und ganz konkrete Fragen: "Wo kommt mein Produkt her? Was haben wir für Wirtschaftsketten in Deutschland? Was ist das Alte Land? Wie wird unser Trinkwasser generiert?", zählt Benjamin Jürgens auf.

Unterrichtssprache ist Deutsch. Daran schließt sich ein zwölfwöchiges Betriebspraktikum an. Im ersten Durchgang wollen sich die beiden Start-up-Gründer auf Köche fokussieren, im nächsten Jahr soll der Servicebereich hinzukommen. Wer die Refugee Canteen durchlaufen hat, soll anschließend in einem syrischen Restaurant genauso bestehen können wie in einem deutschen, italienischen oder japanischen.

Angenehm an der Arbeit im Lab seien die gemeinsamen Veranstaltungen zu Fragen wie:  Welche Geschäftsform sollte man wählen? Was müssen wir über das Thema Steuern wissen? Was ist Fundraising? Benjamin: "Der Vorteil ist, dass wir alle sozial getrieben sind. Wir stehen alle vor der gleichen Frage: Wie bekomme ich das, was ich machen will, in ein Modell, das sozial ist und in dem ich trotzdem Geld verdiene und einen gewissen Lebensstandard halte?" Denn bei allem sozialen Engagement müssen die Jungunternehmer von ihrer Arbeit auch leben können, eine Familie ernähren und fürs Alter vorsorgen – wie in jeder anderen Branche auch.