Text von Jan Claudius Völkel. Er ist DAAD-Langzeitdozent für Politikwissenschaft an der Cairo University im Euro-Mediterranean Studies Program und Regionalkoordinator des Transformationsindex BTI der Bertelsmann Stiftung für den Nahen Osten und Nordafrika.
Iran und Saudi-Arabien: Politische Hardliner verschärfen die Spannungen
Sunniten gegen Schiiten, Saudi-Arabien gegen den Iran – im Mittleren Osten herrschen Spannungen, deren Auswirkungen unberechenbar erscheinen. Im sechsten und letzten Teil unserer BTI-Sommerserie erklärt Gastautor Jan Claudius Völkel die politischen und religiösen Konflikte zwischen den beiden Ländern.
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Am 9. September werden wieder Millionen Muslime ihre Pilgerfahrt nach Mekka antreten. Doch eines wird anders sein als bisher: Iraner werden nicht Teil der sogenannten Haddsch sein können, die am saudi-arabischen Wallfahrtsort endet. Die politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern haben sich im vergangenen Jahr zu stark verschärft.
Zentrale Bedeutung für die Verschärfung hat dabei paradoxerweise der Erfolg der iranischen Moderaten. Im Juli 2015 gelang ihnen der Abschluss des Atom-Abkommens zwischen Teheran, den ständigen Atommächten im UN-Sicherheitsrat sowie Deutschland und der EU. Die Folge: Ein Großteil der gegen den Iran bestehenden US- und EU-Sanktionen wurde aufgehoben. Dieser an sich positive Schritt brachte jedoch die Hardliner sowohl im Iran als auch in Saudi-Arabien auf den Plan, die seitdem versuchen, ihre Vormacht in beiden Ländern zu stabilisieren.
Positive Wende im Iran
Im Iran brachte der Wechsel im Präsidentenamt von Mahmud Ahmadinedschad zu Hassan Rohani im August 2013 eine umfassende Neuausrichtung insbesondere der Außenpolitik. Der aktuelleBTI Länderbericht über den Iran bezeichnet die Beziehungen zum Ausland als "entspannter und freundlicher", und mit Rohanis wiederholten Twitter-Grüßen zum jüdischen Neujahrsfest kehrte insgesamt ein positiver Ton in Teheran ein.
Dieser frische Wind wurde Anfang des Jahres weiter verstärkt: Bei den Parlamentswahlen stimmten viele für die moderaten Abgeordneten und das Rohani wohlgesonnene Parlament bestärkte den Präsidenten in dessen Positionen und in seinem eng bemessenen Spielraum für Reformen.
Raketen, nicht Verhandlungen
Als finale politische Instanz entscheidet jedoch im Iran noch immer der Wächterrat unter Führung von Ayatollah Khamenei – Hort konservativer Wert- und Politikvorstellungen. Insbesondere von Khamenei selbst sind zunehmend kritische Töne zu hören, die sich auf die schleppende Einlösung westlicher Versprechungen beziehen und zunehmend das Atom-Abkommen generell in Frage stellen. Die Zukunft des Irans liege in Raketen, nicht in Verhandlungen, schrieb er im März 2016 auf seiner Homepage, und verteidigte damit die international stark kritisierten erneuten Raketentests Irans im gleichen Monat: diese wurden von den Khamenei unterstellten Revolutionsgarden IRGC durchgeführt, die laut BTI-Bericht weite Teile der iranischen Wirtschaft kontrollieren und der Kontrolle des Präsidenten entzogen sind. Der moderate neue Kurs Rohanis wird also vom konservativen Lager torpediert, das zunehmend um seinen Einfluss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fürchte.
Kurswechsel der saudischen Außenpolitik
Auf saudischer Seite hingegen wird argwöhnisch beobachtet, wie sich die außenpolitischen Optionen und wirtschaftlichen Spielräume des Iran durch die Aufhebung der meisten westlichen Sanktionen wieder erweitert haben. Seit der iranischen Revolution 1979 ist der Gegensatz zwischen Sunniten (Saudi-Arabien) und Schiiten (Iran) ein treibendes Element saudischer Außenpolitik. Daran hat auch der Wechsel auf dem Thron vom 90-jährigen Abdullah zum damals 79-jährigen Salman 2015 sowie der Tod des langjährigen, als Hardliner bekannten Innenminister Naif bin Abdelaziz al-Saud 2012 nichts geändert.
Mit dem begrenzten regionalen Einfluss Teherans mittels der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon und des ebenfalls dem Iran nahestehenden syrischen Staatspräsidenten Assad hatten sich die Machthaber in Riad über die Jahre einigermaßen arrangiert. Seit aber auch der Irak von einer schiitisch dominierten Regierung geführt wird (2005), in Bahrain das sunnitische Königshaus massenhaften schiitischen Demonstrationen gegenüberstand (2013) und die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen kurzzeitig die Kontrolle über weite Teile des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa übernahmen, beschloss die saudische Führung, militärisch in die Konflikte in Syrien und Jemen einzugreifen – ein fundamentaler Bruch der bis dato geltenden Strategie, über finanzielle Zuwendungen Einfluss auf andere Länder zu nehmen, nicht aber durch militärische Mittel.
Machtkampf in Riad
Treibende Kraft hinter König Salman ist dabei sein Sohn Mohammad bin Salman, der als aktueller Vize-Kronprinz versucht, mit seiner kompromisslosen Haltung den noch vor ihm stehenden Kronprinzen und jetzigen, als vergleichsweise besonnen geltenden Innenminister, Mohammad bin Naif, zu übertrumpfen und beim nächsten Thronwechsel auszustechen. Das entschiedenere Auftreten Saudi-Arabiens in seinen Nachbarländern ist also nicht nur außenpolitischen Zwängen geschuldet, sondern auch innenpolitischen Machtinteressen im innersten Prinzenzirkel.
In diesem Zusammenhang ist auch die zunehmende Unterdrückung der schiitischen Bürger im eigenen Land zu sehen, die nach Schätzungen bis zu 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, überwiegend im Ostteil und damit in den ölreichen Gebieten Saudi-Arabiens wohnen und kaum Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen oder gar Ämtern haben. Die strikt wahhabitische Ausrichtung des saudischen sunnitischen Islams sieht Schiiten schlicht als Abtrünnige, denen eine Gleichbehandlung nicht zusteht. Die Hinrichtung des berühmten schiitischen Klerikers Nimr Baqir al-Nimr am 2. Januar 2016 sollte ein klares Zeichen gegen die zunehmenden Proteste der diskriminierten Schiiten sein. Letztlich führte es aber nur zu massiver internationaler Kritik, und es steht zu erwarten, dass sich die schiitische Jugend noch weiter gegen das saudische Königshaus auflehnen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Erkenntnis zu einer grundlegenden Neuausrichtung der saudischen Politik bezüglich der Schiiten führen wird:
Gegeneinander, statt miteinander gegen den IS
Dabei ist unklar, in welchem Ausmaß insbesondere die Schiiten in Bahrain, im Jemen und im eigenen Land überhaupt direkt vom Iran unterstützt, gar gesteuert werden. Fest steht allerdings: Je mehr die saudischen Hardliner gegen die Schiiten zu Felde ziehen, desto eher werden sich diese tatsächlich an den Iran anlehnen. Sollten dort die Hardliner Rohanis Reformpolitik zum Scheitern bringen, wäre eine weitere Eskalation der Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran sicher. Eine militärische Konfrontation zwischen beiden hochgerüsteten Ländern mit allen unabsehbaren Konsequenzen für die gesamte Region wäre dann nicht mehr auszuschließen.
Die kontinuierlichen Auseinandersetzungen um die regionale Vorherrschaft verleiten die beiden Konkurrenten zur Vernachlässigung einer neuen und sehr realen Gefahr für ihre Existenz: der "Islamische Staat" hat bereits wiederholt Angriffe und Attentate auf beiden Staatsterritorien durchgeführt. Doch statt eine Verständigung darüber zu erzielen, wie dieser terroristischen Gefahr zu begegnen sei, bedenken sich die Hardliner auf saudischer wie auf iranischer Seite lieber mit gegenseitigen Schuldvorwürfen.