Vision Europe Summit 2015: Neue Ideen für ein soziales Europa
Ob islamistischer Terror, die Euro-Krise oder die Flüchtlingssituation: Europa steht vor vielfältigen Herausforderungen. Zur Bewahrung von Stabilität und Frieden sind auch der Erhalt und die Weiterentwicklung der Sozial- und Wohlfahrtsmodelle unerlässlich. Wie dies geschehen kann war am 18. November Thema des ersten Vision Europe Summit in Berlin.
In Berlin kamen am 17. und 18. November die Bertelsmann Stiftung und sechs führende europäische Think Tanks zu einem ersten Gipfeltreffen zusammen, dem Vision Europe Summit. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, wie die europäischen Sozial- und Wohlfahrtsmodelle erhalten und fit für die Zukunft gemacht werden können. Unter den Teilnehmern und Gästen waren unter anderem Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Abgeordnete des Europäischen Parlaments sowie Berater der EU-Kommission.
Wer aktuell von einer Krise Europas spricht, meint in der Regel die Herausforderungen durch Flüchtlinge, die Euro-Rettung oder islamistischen Terrorismus. Im Kern geht es beim Projekt Europa um die Wahrung von Frieden und Wohlstand durch soziale Stabilität. Für viele Menschen bilden die Werte und Normen, die dem europäischen Sozialmodell zugrunde liegen, das Herzstück dessen, was es heißt, Europäer zu sein.
Europas Wohlfahrtsstaaten zukunftsgerecht gestalten
Die europäischen Sozialstaaten stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Eine angespannte Lage der öffentlichen Haushalte und die Belastung der produktiven Teile der Volkswirtschaften durch Sozialausgaben werfen die Frage auf, ob sich die EU-Mitglieder ihre Wohlfahrtsstaaten überhaupt noch leisten können.
Europas Wohlfahrtsstaaten, die vor Jahrzehnten entstanden, müssen sich neu definieren, um den heutigen Herausforderungen gerecht zu werden. Umfassende soziale Veränderungen, die mit dem demographischen Wandel, einer globalen Weltwirtschaft und den negativen Auswirkungen des Klimawandels einhergehen, sind zu bewältigen.
Doch auch auf neue soziale Risiken, die insbesondere durch sich ändernde Arbeitsformen und Erwerbsstrukturen entstehen, müssen die EU-Staaten reagieren. Dabei gilt es, Ressourcen effizienter einzusetzen und die relevanten technologischen Fortschritte so gut wie möglich zu nutzen, ohne zugleich Kernprinzipien wie die Solidarität zu opfern.
Oft wird jedoch übersehen: Die europäischen Wohlfahrtsstaaten und die EU-Institutionen üben eine Reihe umverteilender Funktionen aus und schützen so die sozial Schwachen. Im Gegensatz zu oft negativen Darstellungen investieren Wohlfahrtsstaaten außerdem in das Human- und Sozialkapital der Menschen. Im Laufe ihres Lebens sind de facto alle Bürger Europas zeitweise Beitragsempfänger und -zahler.
Wann immer Wohlfahrtssysteme reformiert werden sollen, tauchen Schwierigkeiten bezüglich angemessener Formen der Entscheidungsfindung und der demokratischen Kontrolle auf. Dennoch spricht einiges dafür, die Zukunft der europäischen Sozialmodelle positiv zu sehen: Gut ausgestaltete Wohlfahrtsstaaten können in Europa nachhaltiges Wachstum fördern und ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil sein.
Digitalisierung als Impulsgeber für europäische Wohlfahrtsmodelle
Als mögliche Ansätze für eine Reformierung der europäischen Wohlfahrtssysteme nannte Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, eine Schwerpunktverschiebung von einer Lastenverteilung hin zur Risikovorbeugung sowie eine Verbindung des Prinzips der Fairness mit sozialen Investitionen, die soziale Risiken minimieren. Eine Vorsorge sei in jedem Falle besser als eine Reparatur, so De Geus. Als Beispiele nannte er die Förderung von Wiedereingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer, die Verbesserung insbesondere frühkindlicher Bildung und mehr Aufklärung zur gesundheitlichen Prävention. Allerdings bleibe hier für einige EU-Mitgliedstaaten noch viel zu tun.
Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles appellierte zum Auftakt der Konferenz an die Teilnehmer, angesichts der aktuellen Krisen in Europa die langfristigen Herausforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Als bislang noch nicht hinreichend erkanntes Problem für die Sozialpolitik und die Wohlfahrtsstaaten in Europa nannte sie das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt. Die neuen Geschäftsmodelle von Google, Uber und Co. könnten schon bald die Grundlagen des Sozialstaats gefährden. Die Europäer dürften diese Entwicklungen nicht länger verdrängen. Als erfolgversprechenden Lösungsansatz verwies die Ministerin auf die in Deutschland praktizierte Sozialpartnerschaft und eine politische Kultur, die technologische Herausforderungen wie etwa die Digitalisierung als Chance betrachtet und nicht nur die negativen Aspekte thematisiert.
Weitere Informationen zum Vision Europe Summit finden Sie hier. Eine Übersicht der Veranstaltungs-Publikationen erhalten Sie hier.