Eine Menschenmenge geht durch die Fußgängerzone einer großen Stadt.

Bürger sehen die Europäische Union als Garant des Sozialstaates

Von Lissabon bis Helsinki blicken die Bürger mit Hoffnung und Bangen auf die Zukunft des Sozialstaates. Vor allem die Rente und die Pflege im Alter bereiten Sorge. Bei der Wahrung sozialstaatlicher Standards setzt eine Mehrheit der Europäer große Hoffnungen in die EU und wünscht sich gar eine aktivere Rolle Brüssels.

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Die Bundesbürger machen sich Sorgen über die Leistungen und die Zukunftsfestigkeit des deutschen Sozialstaates – insbesondere mit Blick auf die Renten und die Pflege im Alter. Um auch künftig auf einen funktionierenden Sozialstaat bauen zu können, befürwortet eine knappe Mehrheit sogar Steuer- und Abgabenerhöhungen statt einer Absenkung von Leistungen. Von der EU erwarten sich die Deutschen dabei mehr Unterstützung sozialpolitischer Reformen und eine finanzielle Solidarität unter den Mitgliedsstaaten. Dies ist das Ergebnis einer vergleichenden Meinungsumfrage in acht europäischen Staaten durch die Bertelsmann Stiftung.

Die Umfrage zeigt: Die Deutschen unterscheiden sich in ihren Einschätzungen und Sorgen nur wenig von ihren europäischen Nachbarn. So blicken die Bürger in allen acht Staaten, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, mehrheitlich pessimistisch auf die Zukunft ihres Sozialstaates im Jahr 2050. Überall überwiegt die Sorge bei den Themen Rente und Pflege im Alter. 70 Prozent der Deutschen befürchten, dass der Sozialstaat die Renten im Jahr 2050 nicht mehr hinreichend garantieren kann. 63 Prozent vermuten dies auch für die Betreuung älterer Menschen und rund die Hälfte der Befragten für die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems. Ein Drittel glaubt, dass 2050 die Betreuung, Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen nicht den Bedürfnissen entsprechen wird.

Den Sozialstaat erhalten – doch zu welchem Preis?

Nahezu unentschieden sind die Bundesbürger bei der Frage der richtigen Balance zwischen Leistungen des Sozialstaates und Finanzierungslasten. Um das Niveau sozialstaatlicher Leistungen auch in Zukunft aufrechterhalten zu können, wäre eine knappe Mehrheit der Bundesbürger bereit, mehr Abgaben und Steuern zu zahlen. In Finnland und Großbritannien befürworten sogar noch mehr Befragte steigende Abgaben und Steuern, um ein Absinken des sozialstaatlichen Leistungsniveaus zu verhindern. Anders sieht es in Frankreich, Polen, Italien, Belgien und Portugal aus: Dort wollen die Bürger mehrheitlich eine Begrenzung von Sozialleistungen statt Abgabenerhöhungen.

Bürger sehen die EU als Garant des Sozialstaats

Bei der Gewährung sozialer Standards setzen die Europäer große Hoffnungen in die EU. In allen befragten Ländern wünschen sich Mehrheiten von 63 bis 86 Prozent, dass die EU verbindliche Mindeststandards zur sozialen Sicherheit für alle Mitgliedstaaten durchsetzt. In Deutschland befürworten dies etwas mehr als drei Viertel der Befragten. 52 bis 78 Prozent der befragten EU-Bürger meinen außerdem, Brüssel müsse Druck auf einzelne Mitgliedstaaten ausüben, damit diese notwendige soziale Reformen umsetzen. Darüber hinaus will eine große Mehrheit der Befragten, dass die EU finanzielle Transfers von reicheren zu ärmeren Mitgliedstaaten sichert. Selbst in den wohlhabenden Nettozahlerstaaten der EU findet sich dafür eine Mehrheit – in Deutschland etwa, dem größten Nettozahler der EU, sind es 62 Prozent.

Auffällig ist das hohe Maß an Übereinstimmungen quer durch Europa. Überraschen kann außerdem, dass die Zustimmung zu einer stärkeren Rolle der EU in der Sozialpolitik auch bei den in Teilen europa-kritischen Briten sehr hoch ist.

"Die Bürger haben europaweit die zukünftigen Herausforderungen des Sozialstaates erkannt."

Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung

Angesichts des demographischen Wandels sorgten sich die EU-Bürger vor allem um die soziale Sicherheit im Alter, folgert Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung, aus den Umfrage-Ergebnissen. Zugleich wünschten sich die Menschen die EU als starken Partner für soziale Sicherheit und Solidarität. Die EU solle dabei nicht nationale Sozialpolitik ersetzen, sondern die Überlebensfähigkeit der Sozialsysteme und notwendige Reformen garantieren und einen Unterbietungswettlauf zwischen den Mitgliedsländern verhindern, so De Geus.