Othmaan folgt mit großen Augen der bunten Rassel. Seine Ärmchen rudern durch die Luft. Immer wieder versucht sich der sechs Monate alte Junge vom Rücken auf den Bauch zu drehen – und plumpst frustriert zurück. Jennifer Jaque-Rodney setzt sich zu ihm auf den Boden, zieht seine Jeans aus, seine Jacke, seinen Pullover, seine Leggins, Strumpfhose, T-Shirt, Langarm-Body, Kurzarm-Body … Othmaans Mutter Soumia (28) schaut ihren Mann an. „Das ist jeden Morgen unser Streitpunkt“, sagt Yassine (31). „Meine Frau zieht ihn zu warm an.“ Soumia, die seit 2011 mit Yassine verheiratet ist, jedoch nach einer Krebserkrankung erst Ende 2013 zu ihm nach Deutschland kam, schaut zum Fenster, dann auf ihren kleinen Sohn. Sie spricht noch nicht viel Deutsch, aber dieser Satz sitzt: „Mir ist so kalt hier, ich friere!“
Jaque-Rodney sieht auf ihre Unterarme. Gänsehaut. Sie geht zum Fenster. Die Heizkörper sind aufgedreht. Aber eiskalt. Sie zieht die Gardine zur Seite. Sieht eine dicke Schimmelschicht. „Ihr müsst hier raus!“, sagt sie. „Ihr zahlt die Heizung und friert trotzdem. Der Schimmel macht euch krank. Habt ihr mit dem Vermieter gesprochen?“ Yassine atmet tief durch. „Wir suchen nach einer neuen Wohnung. Aber zuerst brauche ich Arbeit.“ Das sollte kein Problem sein. Eigentlich. Yassine kam 2005 nach Deutschland, hat beide Staatsbürgerschaften, ist Diplom-Kaufmann, spricht mehrere Sprachen. Seit Monaten schreibt er Bewerbungen. Über hundert. Ohne Erfolg. „Ich weiß nicht, woran das liegt“, sagt er. „Wenn ich einen Arbeitsplatz habe, ziehen wir um. In einen anderen Stadtteil. Unser Sohn soll es besser haben. Er soll niemals in eine Situation kommen wie wir heute. Es ist uns kaum möglich, Kleidung für ihn zu kaufen. Seit Wochen suchen wir einen bezahlbaren Hochstuhl.“