Teilnehmer und Dozentin des Karriere-Workshops während der Endrunde der Neuen Stimmen 2015.

Karriere = Stimme plus X

Der Internationale Gesangswettbewerb "Neue Stimmen" der Bertelsmann Stiftung entdeckt nicht nur Talente - er begleitet und fördert sie auch über das Veranstaltungsende hinaus.

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Text von Tanja Breukelchen für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 4/2015 (gekürzte Fassung).

Wer denkt, am Morgen nach dem Semifinale der "Neuen Stimmen" werde in Gütersloh lange ausgeschlafen, der irrt. In den Gängen der Stadthalle ist es gegen zehn Uhr schon ziemlich wuselig. Musiker der Duisburger Philharmoniker laufen in Richtung Saal, wünschen wartenden Finalisten für den folgenden Finaltag Glück. Darren Pati sitzt abseits, wartet auf die erste Probe. Der gebürtige Samoaner wuchs in Neuseeland auf und musste sich damit schon früh eine wichtige Karrierefrage stellen: Gehen oder bleiben? "Wer Opernsänger werden will, hat bei uns keine Chance. In meinem Land gibt es kaum eine Oper. Also musste ich Neuseeland verlassen. Genau wie mein Bruder, der ebenfalls Sänger ist." Von Auckland ging er zum Studium nach Großbritannien. Nach dem Master in Cardiff weiter nach San Francisco. "Ich bin zum ersten Mal in Deutschland. An einer deutschen Oper zu arbeiten – ja, das wäre ein Traum."

Möglichst viele Wettbewerbe und Vorsingen zu nutzen, darauf setzt auch Miriam Albano. Die junge Mezzosopranistin aus Italien studierte in Venedig und Wien: "Für unsere Arbeit ist es wichtig, nicht scheu zu sein, viel zu lernen. Ich freue mich, wenn meine Stimme Anklang in einem schönen Opernhaus findet. Ein Angebot des Teatro La Fenice in Venedig habe ich deshalb abgesagt. Ich dachte mir: Diese Partie ist noch nichts für mich." Heute lebt Miriam in Wien, "und wann immer ich an der Staatsoper vorbeikomme, denke ich: Wow – dieses Haus wäre ein Traum."

Fern der Heimat, aber stets gut gelaunt: Der neuseeländische Tenor Darren Pati hatte während der Endrunde der "Neuen Stimmen" 2015 auf und abseits der Bühne seinen Spaß.

Stimme allein ist nicht alles

Träume verwirklichen, richtige Entscheidungen treffen, sich gut verkaufen, die eigene Person managen, den Opernbetrieb durchschauen – es gibt so vieles, was neben einer guten Stimme für die Karriere wichtig ist. Deshalb setzt das Team der "Neuen Stimmen", des Internationalen Gesangswettbewerbs der Bertelsmann Stiftung, nicht nur darauf, Talente weltweit zu entdecken. Die Sänger sollen auch behutsam gefördert und begleitet werden. So gab es im Rahmen der Finalwoche, für die 42 Gesangstalente aus 30 Nationen nach Gütersloh kamen, auch einen Coaching-Workshop für die Teilnehmer, die vor dem Finale ausgeschieden waren.

Unter dem Titel "Beyond talent – Career Development" gab Kathrin Hauser-Schmolck wichtige Einblicke ins "Geschäft" der Oper. Und wichtige Tipps für den Alltag: "Pflegen Sie Kontakte und melden Sie sich nicht nur, wenn Sie etwas wollen." Oder: "Fragen Sie sich: Wer ist die richtige Person im richtigen Moment?", "Wichtig sind Persönlichkeiten – nicht nur auf der Bühne!", "Und: Glauben Sie mir, nichts im Internet ist privat!"

Hauser-Schmolck ist Kulturwissenschaftlerin, hat Musik- und Politikwissenschaft studiert, ist Marketing- und PR-Expertin und eine gefragte Dozentin zum Thema Karriere-Entwicklung. Die Fragen der Teilnehmer kamen für sie nicht überraschend. Manch eine Antwort von ihr eröffnete den Ratsuchenden jedoch unerwartete Einblicke: "Die Möglichkeiten, mich selbst zu präsentieren – das war für mich alles sehr neu", erklärt Emiri Nakagawa aus Japan.

Ein guter Agent ist unglaublich wichtig

Leonor Amaral aus Portugal blättert in ihren Unterlagen. "Diese ganze Auflistung von Informationen, die wir bekommen haben, ist genial", sagt sie. "Man konnte alles fragen. Die Antworten waren klar und verständlich." Das ging von der Selbsteinschätzung über die Selbstpräsentation via Lebenslauf, eigene Webseite oder in sozialen Netzwerken bis hin zur Wahl eines passenden Agenten. Leonor ist begeistert: "Ich habe Management studiert, bevor ich Gesang studiert habe. Deshalb bin ich ein bisschen organisiert, das heißt aber nicht, dass ich mehr Jobs bekomme als andere. Im Gegenteil, ich fühle, ich könnte viel mehr machen. Mit einer tollen Stimme allein ist es nicht getan."

Wie kleidet man sich? Welche Verhaltensregeln gibt es in den unterschiedlichen Ländern? Warum ist es so unglaublich wichtig, schnell die Landessprache zu lernen? Wer ist wichtig in der Opernwelt? Was sind die besten Internetseiten für junge Sänger? Wie verhält man sich bei einem Interview? Was muss man bei Fotos beachten? Und wie schafft man es, Kontakte zu knüpfen und dauerhaft zu pflegen? Und warum ist ein guter Agent so unglaublich wichtig?

Vor allem die letztere Frage beschäftigt David Ostrek. Der Bass-Bariton aus Kroatien fragt, warum auch Sänger wie Anna Netrebko einen Agenten brauchen. Schließlich könnten sich Stars ihre Jobs aussuchen. Hauser-Schmolck erklärt, dass gerade deshalb ein guter Agent als Berater und Manager wichtig sei. "Ich fand dieses Seminar toll. Und ich habe alle Antworten bekommen", sagt er später. Und der südafrikanische Tenor Thobela Ntshanyana betont: "Erst jetzt ist mir die Wichtigkeit eines Agenten bewusst geworden. Und mir ist klar, wie dringend ich die Sprache lernen muss, wenn ich in Deutschland arbeiten will."

Entspannt während einer intensiven Endrunde mit Vorsingen, Workshops und Coaching: die italienische Mezzosopranistin Miriam Albano.

Dem Ziel schon etwas näher

Wie hilfreich ein guter Agent ist, betonte auch Marina Rebeka am Tag darauf. Die inzwischen gefeierte Sängerin hatte den Gesangswettbewerb "Neue Stimmen" 2007 gewonnen. Zwei Jahre später gab sie ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen. Was danach folgte: Bayerische Staatsoper, Wiener Staatsoper, Opernhaus Zürich, Royal Opera House Covent Garden in London, Teatro alla Scala in Mailand, Chicago Lyric Opera, Carnegie Hall und Metropolitan Opera in New York … Doch auch Marina Rebeka, seit 2011 Mutter einer kleinen Tochter, stand und steht immer wieder vor wichtigen Karriere-Entscheidungen. Und davon erzählte sie den Nachwuchssängern.

"Viele fragten mich nach der Auswahl des Repertoires", erzählt Marina Rebeka später. Also die Frage, wann man sich welche Rollen zutrauen kann. "Außerdem wollten viele der Teilnehmerinnen wissen, wie sich die Karriere nach der Geburt des ersten Kindes verändert. Und natürlich gab es auch die Frage, wie Wettbewerbe wie die 'Neuen Stimmen' den Karriereweg beeinflussen können." Fragt man Marina Rebeka heute, was sie rückblickend anders machen würde, sagt sie äußerst glücklich: "Ich würde alles noch einmal genau so machen!"

Womöglich sagen das auch Darren Pati und Miriam Albano. Denn während die ausgeschiedenen Teilnehmer am Karriere-Workshop und dem Gespräch mit Marina Rebeka teilnahmen, bereiteten sie sich auf ihre Finalteilnahme vor. Erfolgreich. Am Ende belegten sie die zweiten Plätze nach Elsa Dreisig aus Frankreich und Anatoli Sivko aus Weißrussland. Ein Karriereschritt, der Darren seinem Traum, an einer deutschen Oper zu arbeiten, ein wenig näher bringt. Und auch die Wiener Staatsoper dürfte für Miriam nun ein wenig greifbarer sein.

Sie möchten noch mehr über die "Neuen Stimmen" erfahren und in die einzigartige Atmosphäre der Opernwelt eintauchen? Dann ist change Story genau das Richtige für Sie! Ausgabe 1 unseres digitalen Magazins dreht sich rund um den Internationalen Gesangswettbewerb.