Text von Jens Poggenpohl für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 1/2015. Gekürzte Fassung.
Design für die Welt: Mercedes-Benz
Die Globalisierung vereinheitlicht das Design, heißt es. Zwei einheimische Traditionsmarken glauben das nicht. Sie wollen unverkennbar deutsch bleiben – und müssen sich gerade deshalb verändern. Zu Besuch bei Mercedes-Benz in Stuttgart und einer Kuckucksuhrenmanufaktur im Schwarzwald.
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Steht dem Auto eine radikale Neuerfindung bevor? Werden die großen Trends sein Aussehen fundamental verändern? Wie sieht die Zukunft überhaupt aus? Die Lage scheint widersprüchlich. Einerseits vermelden die deutschen Hersteller Absatzrekorde: Mercedes-Benz etwa verkaufte im vergangenen Jahr 1,6 Millionen Fahrzeuge, es war das vierte Rekordjahr in Folge. Andererseits fehlt es nicht an Krisendiagnosen. Die betreffen auch das Design.
Die immer aufwändigere Inszenierung rund ums Produkt, von Websites bis zu Flagship Stores in den teuersten Geschäftslagen, erscheint als Versuch, Gefühle zu wecken, wo keine mehr sind – wobei gerne unterschlagen wird, dass diese Meinung bei der urbanen Intelligenz Europas oder der amerikanischen Ostküste vielleicht mehrheitsfähig wäre. Aber in Moskau, Dubai, Shanghai?
Der erste dieser modernen Tempel, mit denen Automobilmarken heute Glanz verbreiten wollen, steht in Stuttgart: das 2006 eröffnete Mercedes-Museum. Den Anspruch untermauert die Ästhetik des Hauses ohne erkennbare Ironie: Wie eine Akropolis des Autos thront es auf einem kleinen Hügel, die Rampen, über die sich der Besucher durch das Museum bewegt, erinnern an das Guggenheim-Museum in New York.
Das wurde 1959 eröffnet. Etwa aus dieser Zeit stammt ein 300 SLR Coupé, das nicht nur die japanische Besuchergruppe, die das Museum frühmorgens für sich allein hat, hinreißt. Kaum vorstellbar, dass ein Auto der Gegenwart solche Emotionen auslöst, aber der Vergleich ist natürlich schief: Ikonen brauchen Zeit. Auf den jüngsten Wurf ist Mercedes aber stolz genug, um ihn für die Fotoaufnahmen den Museumshügel hinauffahren zu lassen: den CLA Shooting Brake.
Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie Autodesigner versuchen, alte, totgeglaubte Formen neu zu interpretieren. Seit Volvo Mitte der Neunzigerjahre den "Schneewittchen-Sarg" beerdigt hatte, war die Mischung aus Kombi, Coupé und Fließheck aus der Mode geraten. Mercedes entdeckte die Form 2012 mit dem CLS wieder. Nun rollt der kleine Bruder vor, und was immer man einwenden mag: Er ist kein Kompromiss. "Love it or hate it", sagt Robert Lesnik, ein gebürtiger Slowene, der bei Mercedes das Exterieur Design verantwortet.
Und wie steht es um die weltweiten Verkaufsaussichten? Schlecht, aber das scheint in diesem Fall niemanden zu beunruhigen. "Das ist ein typisch europäisches Auto", sagt Dr. Helmut Größer, Leiter des Produktmanagements für die kompakten Wagen und SUVs. In den USA zum Beispiel sei ein solches Konzept nicht vermittelbar. Generell müsse es aber schon "unser Anspruch sein, ein Auto überall auf der Welt zu verkaufen", so Größer. Unterschiede zwischen den Regionen ließen sich dann über die Ausstattungslinien abbilden.
Nun gibt es tatsächlich ein Auto, das in Shanghai, New York oder Berlin gleichermaßen funktioniert: den SUV. Größer weiß auch, wieso: "Es hat was mit dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer zu tun, gleichzeitig ist der Nutzwert beachtlich. Die komfortable Sitzposition schätzen nicht nur ältere Käufer. Man kann solche Autos durchaus emotional darstellen, gleichzeitig bieten sie genug Platz, um die ganze Familie zu transportieren, was vor allem in Asien wichtig ist." Und last, but not least gebe die Form ein "Gefühl von Sicherheit".
Auf einen Nenner gebracht
Aber einmal abgesehen von der Frage, was es für den Zustand der Welt bedeuten mag, wenn ein "Panic Room auf vier Rädern" (SZ) den kleinsten gemeinsamen Nenner in Sachen Design bildet: 2014 hat Mercedes-Benz in Nordamerika und China mehr Autos verkauft als in Deutschland. Muss der Mercedes der Zukunft nicht automatisch weniger deutsch aussehen?
Antworten erhält man im Headquarter des Daimler-Designs in Sindelfingen, wo ein Team von Designern, Ingenieuren und Modellbauern seiner Zeit voraus sein muss – von fünf Jahren, wenn man an kommenden Serienfahrzeugen arbeitet, bis zu 15 Jahren im Fall von Studien oder Visionen. Weltweit besteht das Designteam aus rund 500 Mitarbeitern aus 20 Nationen, man spricht hier mindestens so selbstverständlich Englisch wie Deutsch. Ein Teil der Mitarbeiter ist in vier Auslandsstudios platziert – keine andere Automarke betreibt einen solchen Aufwand. Aus einer denkmalgeschützten Villa am Comer See erhofft man sich Impulse aus dem Luxus- und Autoland Italien; für den kalifornischen Geist stehen die Standorte Carlsbad und Sunnyvale; und in Peking hat man 2014 ein neues, großes Asienstudio eröffnet.
"Mal schauen, wann Afrika dazukommt", sagt Steffen Köhl, als Leiter des Advanced Design Centers so etwas wie der oberste Zeitreisende der Marke. Doch auch in Zukunft bleibe die Erkennbarkeit das oberste Ziel. "Was immer wir tun, um global erfolgreich zu sein, eines dürfen wir nie vergessen: Wir sind nur dann erfolgreich, wenn wir der deutsche Autohersteller bleiben."
Nicht immer ist dies in der Vergangenheit gelungen. 2005 verlor man Platz eins bei den Absatzzahlen der Premiumhersteller an BMW, für Kritiker auch eine Folge von mutlosem Design. Seit einigen Jahren arbeitet man nun nach einem strengen Designcode. "Sinnliche Klarheit" lautet die Überschrift für dieses Rezeptbuch, dessen Details man lieber nicht veröffentlicht wissen will. Aber Faszination, Magie, Sex – all diese Begriffe spielen hier eine Rolle, genauso wie das Spiel mit Kontrasten: hier die mit Swarovski-Steinen verzierte Leuchte, die als Sonderausstattung für die S-Klasse im Nahen Osten hochwillkommen ist, dort die ans Bauhaus erinnernde Reduktion aufs Wesentliche. Doch weil diese Mischung am Ende ein unverwechselbar deutsches Produkt ergebe, macht sich Steffen Köhl keine Sorge um seinen Arbeitsplatz. "Kein Chinese wird die chinesische Interpretation eines deutschen Autos kaufen."