Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble spricht auf der Diskussionsveranstaltung der Bertelsmann Foundation.

Schäuble fordert in Eurokrise Reformen statt Ausgaben

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat auf einer Diskussionsveranstaltung der Bertelsmann Foundation die Notwendigkeit von Strukturreformen und der Vermeidung weiterer Ausgaben und Haushaltsdefizite vehement verteidigt, um die europäische Konjunktur anzukurbeln.

Bei der Veranstaltung in Washington, DC beschwichtigte er außerdem Sorgen um die wirtschaftliche Situation Deutschlands. "Wir haben in Deutschland keine Rezession, wir haben eine Abschwächung des Wachstums", sagte Schäuble. Die Veranstaltung stand unter dem Titel "Growth and Austerity: Can the Eurozone Have Both?" (Wachstum und Sparkurs: Kann die Eurozone beides haben?) und wurde vom US-Chefkommentator der Financial Times, Edward Luce, moderiert.

Der Minister betonte, die Mitgliedsstaaten der Eurozone müssten die zwischen ihnen ausgehandelten fiskalpolitischen Regeln beachten. Er warnte, dass eine Währungsunion nicht ohne eine gemeinsame Haushalts- und Währungspolitik funktionieren könne, und schloss aus, Staaten, die dringend notwendige Reformen durchführen, mehr Flexibilität einzuräumen. "Ausschlaggebend ist das Problem der moralischen Versuchung", stellte er mehrfach fest und warnte davor, das Geld anderer Menschen auszugeben, auch wenn die Währungsunion diese Möglichkeit eröffne. Europa müsse ein höheres Wachstum erreichen, dies werde aber "nicht gelingen, indem man Schecks ausstellt."

"Wachstum entsteht durch  Vertrauen in die Institutionen"

"Sobald Frankreich und Italien umfassende Strukturreformen durchgeführt haben, wird sich die Situation in Europa ändern", prognostizierte Schäuble. Er fügte hinzu, dass sich Paris und Rom des Handlungsdrucks und ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet bewusst seien. "Unsere Aufgabe ist nicht, Europa zu regieren", sagte er mit Blick auf Berlin.

Der Minister zitierte ähnliche Ansichten des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, den er als den Mann bezeichnete, der die Europäer am offenherzigsten zur Einhaltung der Regeln und Durchführung struktureller Reformen auffordere. Wachstum werde durch ein wiederhergestelltes Vertrauen in die europäischen Institutionen entstehen, sagte Schäuble voraus.

Mit Blick auf die USA hob der Minister die unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen auf beiden Seiten des Atlantiks hervor. Er stellte fest, der Dollar statte Washington mit einem Vorteil aus, der nicht unterschätzt werden dürfe. "Man kann die USA nicht mit Europa vergleichen. Das ist etwas komplett anderes", sagte Schäuble. Zugleich dürfe man aber auch nicht "die Herausforderung, eine Währungsunion zu errichten, unterschätzen." Europa sei zudem demographisch überaltert und risikoscheu, was die wirtschaftlichen Herausforderungen nur noch vergrößere.

Schäuble bekennt sich zu TTIP

Schäuble bekundete nachdrücklich seine Unterstützung für die laufenden Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. "Ich hoffe, dass TTIP nicht scheitert. Es darf nicht scheitern. Wir müssen dafür arbeiten, wir benötigen TTIP dringend", sagte er. Er fügte hinzu, das Abkommen sei sinnvoll, da Deutschland und Europa bereits im Rahmen anderer Handelsabkommen ähnliche Vereinbarungen getroffen hätten. Er sagte, es sei "unvorstellbar", kein TTIP zu haben, wenn "die wichtigste Partnerschaft sich zwischen beiden Seiten des Atlantiks abspielt".

Schäuble schob die Komplikationen im transatlantischen Verhältnis beiseite, die durch den NSA-Skandal entstanden waren und das deutsch-amerikanische Verhältnis ernsthaft beschädigt hatten. "Wir benötigen in diesen Zeiten starke Geheimdienste", sagte er und fügte hinzu: "Amerika ist bereit, Fehler zu korrigieren." Der ehemalige Bundesinnenminister warnte, jeder für Sicherheit zuständige Amtsträger in Europa sei ohne den US-Geheimdienst "verloren".

"Wahre politische Bedrohung kommt aus Russland"

Mit Blick auf Russland stellte der Minister fest, Wladimir Putins Verhalten setze die transatlantischen Verstimmungen über Überwachungsaktivitäten wieder ins rechte Verhältnis. Er sagte, die wahre politische Bedrohung komme nicht aus den USA und rief den Kreml auf, internationales Recht einzuhalten. Er bestätigte, dass die Sanktionen gegen Moskau der deutschen Wirtschaft geschadet haben, bekräftigte aber die Notwendigkeit solcher Maßnahmen. Während der Rückgang im Handel mit Russland zur Schwächung der deutschen Wirtschaft beigetragen habe, sei es die russische Wirtschaft, die den größten Schaden erleide.

Abschließend ging Schäuble auf die Möglichkeit eines EU-Austritts Großbritanniens ein und drückte seinen Wunsch nach einem Verbleib der Briten in der EU aus. Er erklärte seine Unterstützung dafür, mit London über Änderungen an den EU-Verträgen zu verhandeln. Er glaube, dass dies gleichzeitig die Rolle der Regierungen der Eurozonen- und der Nicht-Eurozonen-Staaten im fortlaufenden Prozess der europäischen Einigung stärken könne. Ungeachtet der Weigerung Großbritanniens, der gemeinsamen Währung beizutreten, sagte er voraus, dass am Ende 25 der aktuell 28 EU-Mitgliedstaaten den Euro einführen würden.

Ein Video der Veranstaltung finden Sie hier.