Das Podium in Warschau mit Agnieszka Lada, Tobias Baumann, Viola von Cramon und Thomas Bagger während der Diskussion.

EU – Russland: Kein neuer Kalter Krieg in Sicht!

Auch angesichts der Spannungen um die Ukraine sieht Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes, in den Beziehungen zwischen EU und Russland keinen zweiten Kalten Krieg heraufziehen. Dies sagte er bei einer Diskussion zur aktuellen deutschen Ostpolitik in Warschau.

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Die aktuelle Krise zwischen der Europäischen Union und Russland um die Ukraine wird, so Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes, nicht zum dominierenden Ordnungsprinzip des 21. Jahrhunderts werden, egal, wie weit sich der Konflikt noch aufheizen möge. Der Rest der Welt habe absolut kein Interesse an einem erneuten Block-Denken. Moskau betreibe zwar eine Politik der Selbstisolierung zu einem hohen Preis für die eigene Bevölkerung, aber von einem "zweiten Kalten Krieg" zu reden hieße, die Analogien zur Vergangenheit doch zu weit zu treiben.

Thomas Bagger stand gemeinsam mit Viola von Cramon, Russland-Expertin der Grünen und ehemalige Bundesparlamentarierin, und Tobias Baumann, Leiter des Referats Russland, Ost- und Südosteuropa, Türkei, Zentralasien beim Deutschen Industrie- und Handelstag, auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, der deutschen Botschaft, des Warschauer Institute of Public Affairs und des European Council on Foreign Relations am Montag in Warschau einem großen und höchst interessierten Publikum von polnischen Think-Tank- und Medienvertretern Rede und Antwort zur aktuellen deutschen Ostpolitik.

Es sei zum jetzigen Zeitpunkt viel zu früh, über weitere Sanktionen, die Lockerung oder gar Aufhebung der bisherigen Sanktionen zu sprechen. Wichtig, so betonte Bagger, sei vielmehr die Feststellung, dass es sich bei Entscheidungen über Sanktionen nicht um nationale Einzelentscheidungen handele, sondern um den Konsens von 28 EU-Mitgliedstaaten. Dass nicht alle gleichermaßen interessiert an Sanktionen seien, die eben oft die nationalen Volkswirtschaften massiv träfen, sei verständlich.

Dies unterstrich auch Tobias Baumann als Vertreter der deutschen Wirtschaft: "In erster Linie schadet der Konflikt der deutschen Wirtschaft, nicht die Sanktionen." Dies dokumentiere sich an zahlreichen Beispielen: Der Außenwert des Rubels sei ebenso wie die Kaufkraft gesunken; gleichzeitig fließe in hohem Maße Kapital aus Russland ab, die Risikobewertung für Geschäfte mit Russland steige deutlich, und die deutschen Exporte nach Russland sinken – aber bereits seit der Krim-Annexion und nicht erst seit Einführung der Sanktionen. "Natürlich", so Baumann, "ist die deutsche Wirtschaft nicht begeistert über das Sanktionsregime, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass sie der Linie der Bundespolitik folgen wird."

Viola von Cramon nahm zum Stimmungsbild in der deutschen Bevölkerung dezidiert Stellung: Die öffentliche Meinung sei seit Februar weitaus kritischer gegenüber der Putinschen Politik geworden, wobei signifikante Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschen bestünden. Letztere seien bei weitem nicht so kritisch. Darüber hinaus erläuterte von Cramon, inwieweit die Kreml-Propaganda sich die vielerorts vorherrschende Uninformiertheit zunutze gemacht habe. Sie gab zu, dass die meisten EU-Staaten offenbar vom Tempo und der Professionalität der von Putin initiierten medialen "Gleichschaltung" überrollt und überrascht worden seien. Wie sich gerade Deutschland besser aufstellen könne, um einer solchen Beeinflussungspolitik entgegenzutreten, ließ die Debatte offen.

Die Abhängigkeit der Europäer von russischen Gaslieferungen war das zweite, große Thema in Warschau. Von Cramon forderte eine Energiesicherheitsstrategie der EU, um von Russland unabhängig zu werden: "Zur Zeit haben wir ein Fünftel der Energieversorgung an Gazprom verkauft, und wir machen noch weiter – das ist außenpolitischer Wahnsinn". Könne Putin die Preise nicht mehr diktieren, dann müsse er umdenken.

Von Cramons heftige Kritik an der Politik der Bundesregierung konterte Bagger: "Wollen wir Russland denn total isolieren?" Er betonte, dass im Gegenteil die Bundesregierung auch weiterhin Beziehungen und Handel zwischen Russland und der EU befürworte, "und da ist Energie derzeit das einzige". Aber auch er stimmte zu, dass die europäische Erpressbarkeit über Energiefragen verringert werden müsse. Baumann wiederum relativierte anhand klarer Zahlen die tatsächliche Energieabhängigkeit von Russland, die so hoch letztlich nicht sei.

Gefragt nach der zukünftigen deutschen Ostpolitik, betonte Bagger: "Es wird keine deutsche Ost- oder Russland-Politik ohne Einbettung in die EU-Politik geben." Eine europäische Russland-Politik jedoch sei noch nicht formuliert, hier bedürfe es eines gemeinsamen Vorgehens der 28 Mitgliedstaaten. Auch und gerade Polen mit seinen weitreichenden Erfahrungen im Umgang mit Russland könne hier einen wertvollen, konkreten Beitrag zu einer geschlossenen Haltung der EU-28 leisten.

Die gleiche Meinung vertrat beim Abendessen der als Redner geladene Europa-Abgeordnete Elmar Brok, seines Zeichens Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Und er brachte abschließend noch die Ukraine ins Spiel: Es geht beim Ukraine-Konflikt um einen Kampf der Systeme, und das Beste, was der ukrainische Präsident Poroschenko tun könne, sei, sich auf diesen Kampf vorzubereiten und ihn zu gewinnen.

Pünktlich zur Veranstaltung legten die Bertelsmann Stiftung und ihr Warschauer Partner, das Institute for Public Affairs, den Policy Brief "A challenge for liberal democracy. How to understand the Russian intervention in Ukraine" vor. Einer kurzen Analyse der aktuellen Herausforderung folgen Empfehlungen an die EU zum Umgang mit der Krise. Sie können den Policy Brief rechts als PDF-Datei herunterladen.