Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages während einer Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Bundestagsdebatten: Mehr Schlagabtausch unterm Bundesadler?

Die Debatten im Deutschen Bundestag werden aus Sicht der Bürger immer unattraktiver. Medien berichten zunehmend seltener, und nur jeder vierte Wähler kann sich überhaupt an eine Debatte erinnern. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung analysiert die Defizite und macht Reformvorschläge für die Belebung der parlamentarischen Auseinandersetzung.

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Foto Dominik Hierlemann
Dr. Dominik Hierlemann
Senior Advisor

Wenn in London das britische Unterhaus seine wöchentliche Fragestunde einläutet, dann schalten oft sogar die Pubs an der Themse ihre Fernsehsender um – von Fußball auf Politik. Jeden Mittwoch, pünktlich um 12 Uhr, beginnt dort ein weltweit einzigartiger Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition: Die Abgeordneten befragen den Premierminister zu aktuellen politischen Themen. Und das mündet meist in heftigen Wortgefechten.

Auch in Deutschland stellen Volkstreter im Deutschen Bundestag Fragen an die Regierung – fast 30.000 waren es allein in der jüngsten Wahlperiode. Doch kaum ein Wähler nimmt davon Notiz. Nach einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung kann sich nur jeder vierte Bundesbürger überhaupt an das Thema einer Debatte in jüngerer Zeit erinnern – vor sieben Jahren waren es noch doppelt so viele.

Dax-Unternehmen erhalten mehr mediale Aufmerksamkeit

Dies spiegelt sich auch in der medialen Berichterstattung wider. In den vergangenen zwölf Monaten zählte die Stiftung zusammen gerade einmal 275 Beiträge in den Leitmedien der Republik – von FAZ bis Spiegel Online. Gegenüber 2007 ist dies ein Rückgang um 41 Prozent. In Großbritannien dagegen werden in den wichtigsten Leitmedien doppelt so viele Berichte über parlamentarische Fragestunden verzeichnet.

Auch im innerdeutschen Vergleich zeigt sich der mediale Stellenwert des Parlamentes gegenüber anderen Institutionen: Über wichtige Dax-Unternehmen, wie etwa die Deutsche Bank oder Siemens, wird ebenfalls deutlich häufiger berichtet als über alle Debatten im Deutschen Bundestag zusammen.

Bürger wie auch Parlamentarier müsste dieser Befund zutiefst besorgen. Denn ohne Debatten mit breiter öffentlicher Beteiligung kann in einer Demokratie   Meinungsbildung nicht gelingen. Von der Öffentlichkeit kaum registriert, haben sich jetzt die Regierungsfraktionen auf einen Minimalkompromiss und eine kleine Reform der Parlamentsfragestunden geeinigt: Ab 2015 sollen alle Bundesminister mindestens einmal im Jahr dem Parlament für 60 Minuten Rede und Antwort stehen. Und dabei kann es auch, anders als bisher, um aktuelle Themen gehen.

Britisches Modell nicht übertragbar

Am geringen öffentlichen Interesse dürfte eine solche (Mini-)Reform wenig ändern. Richtig attraktiv ist auch das neue Modell nicht. Was also tun? Eine Kopie der Debatten im britischen Unterhaus? Jeden Mittwoch "Ring frei" für einen unterhaltsamen Schlagabtausch zwischen Angela Merkel und Gregor Gysi im Bundestag? Oder gar eine fernsehtaugliche Mittags-Talkshow unter dem deutschen Bundesadler?

Eine Übertragung der britischen Tradition auf Deutschland ist weder machbar noch wünschenswert. Zu diesem Ergebnis kommt eine systematische Vergleichsuntersuchung der Stiftung. Die britische Parlamentskultur mit ihrem wettbewerbsorientierten Zweiparteiensystem und einem Redeparlament ist mit dem Bundestag als Arbeitsparlament aus Koalitionen und mit konsensorientierter Meinungsbildung nicht zu vermischen, so das Fazit der Studienautoren Dominik Hierlemann und Ulrich Sieberer.

Statt einer simplen Kopie des britischen Modells schlägt die Bertelsmann Stiftung daher eine weitergehende Reform vor. Die Kernelemente: Zur parlamentarischen Befragung stellen sich zukünftig die Bundeskanzlerin, ihr Vize und die Fachminister den direkten Fragen der Abgeordneten. Zulässig sind nicht nur Fachfragen, sondern alle Themen der aktuellen Politik in der Verantwortung der Regierung, ihr Inhalt ist vorher nicht bekannt. Es gibt keine vorbereiteten Erklärungen mehr, Fragethemen und Antworten bleiben bis zur Debatte vielmehr unbekannt und somit attraktiv. Die Redezeit wird knapp begrenzt. Für den Fragesteller bleibt eine Minute, die Antwort darf nur drei Minuten lang sein, eine kurze Nachfrage ist erlaubt.

Im Gegensatz zur bisherigen Regelung werden die Fragesteller nicht mehr von den Fraktionen vorbestimmt, sondern alle Abgeordneten, auch "Abweichler", haben die gleiche Chance, Frage an die Regierung zu richten. Und nicht nur die Volksvertreter, sondern auch die Bürger sollen nach den Vorschlägen der Bertelsmann Stiftung dabei zukünftig ihre Fragen auch im Bundestag direkt an die Regierung richten können. Pro Debatte sollen so jede Woche 20 der per Post oder online eingereichten Fragen beantwortet werden.

Wie sind solche Vorschläge zu bewerten? Die Bundesbürger finden sie positiv. Nach einer repräsentativen Umfrage der Stiftung halten 54 Prozent von ihnen diese Vorschläge für "eine gute Idee". Und was sagt die Politik? Das ist eine Sache des Bundestages und sein Präsident könnte erklären: "Die Debatte ist eröffnet. Das Wort haben jetzt die Abgeordneten…"