Wenn in London das britische Unterhaus seine wöchentliche Fragestunde einläutet, dann schalten oft sogar die Pubs an der Themse ihre Fernsehsender um – von Fußball auf Politik. Jeden Mittwoch, pünktlich um 12 Uhr, beginnt dort ein weltweit einzigartiger Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition: Die Abgeordneten befragen den Premierminister zu aktuellen politischen Themen. Und das mündet meist in heftigen Wortgefechten.
Auch in Deutschland stellen Volkstreter im Deutschen Bundestag Fragen an die Regierung – fast 30.000 waren es allein in der jüngsten Wahlperiode. Doch kaum ein Wähler nimmt davon Notiz. Nach einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung kann sich nur jeder vierte Bundesbürger überhaupt an das Thema einer Debatte in jüngerer Zeit erinnern – vor sieben Jahren waren es noch doppelt so viele.
Dax-Unternehmen erhalten mehr mediale Aufmerksamkeit
Dies spiegelt sich auch in der medialen Berichterstattung wider. In den vergangenen zwölf Monaten zählte die Stiftung zusammen gerade einmal 275 Beiträge in den Leitmedien der Republik – von FAZ bis Spiegel Online. Gegenüber 2007 ist dies ein Rückgang um 41 Prozent. In Großbritannien dagegen werden in den wichtigsten Leitmedien doppelt so viele Berichte über parlamentarische Fragestunden verzeichnet.
Auch im innerdeutschen Vergleich zeigt sich der mediale Stellenwert des Parlamentes gegenüber anderen Institutionen: Über wichtige Dax-Unternehmen, wie etwa die Deutsche Bank oder Siemens, wird ebenfalls deutlich häufiger berichtet als über alle Debatten im Deutschen Bundestag zusammen.
Bürger wie auch Parlamentarier müsste dieser Befund zutiefst besorgen. Denn ohne Debatten mit breiter öffentlicher Beteiligung kann in einer Demokratie Meinungsbildung nicht gelingen. Von der Öffentlichkeit kaum registriert, haben sich jetzt die Regierungsfraktionen auf einen Minimalkompromiss und eine kleine Reform der Parlamentsfragestunden geeinigt: Ab 2015 sollen alle Bundesminister mindestens einmal im Jahr dem Parlament für 60 Minuten Rede und Antwort stehen. Und dabei kann es auch, anders als bisher, um aktuelle Themen gehen.