Was ist dran am Mythos der zweigeteilten Ukraine?

Neigt der Osten der von Unruhen gezeichneten Ukraine automatisch Russland zu, nur weil die Bevölkerungsmehrheit dort Russisch spricht? Eine Studie des Warschauer Institute of Public Affairs im Auftrag der Bertelsmann Stiftung räumt auf mit dem Mythos einer zweigeteilten Ukraine.

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Erst das Referendum und die Unabhängigkeitserklärung der Krim, gefolgt vom "Beitritt" der ukrainischen Halbinsel zur Russischen Föderation, in diesen Tagen gewaltsame Ausschreitungen im Südosten der Ukraine und Demonstrationen für ein Referendum in Odessa, gepaart mit Befürchtungen eines russischen Einmarschs auch hier – in der Ukraine brodelt es weiter.

In Odessa wird Russisch gesprochen, obwohl über 60 Prozent der Einwohner ukrainischer Nationalität sind. Doch sagt die Sprache etwas über die Identität der Ukrainer aus?

Eine von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene aktuelle Studie des Warschauer Institute of Public Affairs (ISP) räumt auf mit dem Mythos einer eher russisch-sprachigen und daher pro-russischen östlichen Ukraine und einer ukrainisch-sprachigen, pro-westlichen Ukraine. Die Autorin, Joanna Fomina, stellt auf Basis verschiedener Meinungsumfragen in der Ukraine fest, dass diese insbesondere von Russland gern immer wieder betonte Zweiteilung der Ukraine nicht existiert: Die Mehrheit der Ukraine, so Fomina, glaube, dass eine engere Kooperation sowohl mit der Europäischen Union als auch mit Russland im Interesse ihres Staates sei. Doch wenn die Befragten sich für eine einzige geopolitische Option entscheiden müssten, dann zöge die Mehrheit den europäischen Weg vor, unabhängig von der Sprache, die sie sprechen.

Unabhängig von Wohnort oder bevorzugter Sprache möchte die Mehrheit der Ukrainer in einem demokratischen Staat leben. Und ebenso möchte die Mehrheit der Bevölkerung, erneut unabhängig von Wohnort oder bevorzugter Sprache, keine Teilung des Landes in zwei Staaten oder eine Abspaltung ihrer Region von der Ukraine, egal ob die Region danach unabhängig oder Teil Russlands werde. Selbst auf der Krim wünschte zum Zeitpunkt der Umfrage nur ein Viertel der Bevölkerung, dass die Halbinsel Teil von Russland werde. Die Mehrheit unterstützte die Autonomie der Krim als Teil der Ukraine, bis vor kurzem noch Realität.

Die überwältigende Mehrheit der Ukrainer, gleich welche Sprache sie sprechen oder in welcher Region sie leben, betrachtet die Ukraine als ihr Vaterland. Dies gilt sogar ganz besonders für jene, die im angeblich pro-russischen Osten leben: hier teilen 93 Prozent diese Überzeugung.