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Sind wir gewappnet für die nächste Krise? Diskussion über ein souveränes Europa

Kaum ins Amt gewählt, schon liegen die Probleme auf dem Tisch. Nationalismus, Digitalisierung und Handelskonflikte sind nur einige Herausforderungen für die neue Kommission. Doch wie ist Europa auf mögliche Krisen vorbereitet? Sollten die EU-Mitglieder Kompetenzen abgeben, um international mehr Souveränität zu erhalten? Darüber diskutierten wir mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft im Espacio Bertelsmann in Madrid.

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„Wie würde die EU aussehen, wenn wir sie heute gründen würden?“, fragte Christian Kastrop, Director für das Programm Europas Zukunft zu Beginn der Podiumsdiskussion und lenkte die Debatte damit auf einen wesentlichen Punkt: Europa muss sich, im Großen und Kleinen, nahezu permanent reformieren, um handlungsfähig zu bleiben. Darin waren sich die meisten Diskutanten auch einig. Doch wie diese Reformen im Einzelnen aussehen sollten, darüber wurde in Madrid auf dem Podium und mit dem Publikum intensiv debattiert.

 

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „International Dialogues“ trafen sich in Madrid Vertreter der EU-Kommission, dem spanischen Wirtschaftsministerium und des königlichen Elcano-Instituts, um über die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren. Gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung und spanischen Think Tanks organisiert die Fundación Bertelsmann diese Diskussionsserie seit 2019 in den neu renovierten Räumen des Espacio Bertelsmann, um in der spanischen Hauptstadt regelmäßig Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien zu internationalen Fragestellungen zusammenzubringen.

Brüssel muss nicht alles, aber einiges besser machen.

Christian Kastrop

Eine der entscheidenden Fragen der Debatte drehte sich um europäische Souveränität. Dabei waren sich die Teilnehmer einig, dass die EU-Mitglieder im Rahmen einer Kompetenzüberweisung an Brüssel international an Souveränität gewinnen können. Die EU bedeute daher oft keinen Verlust an Autorität und Handlungsfähigkeit für die Nationalstaaten, sondern im Gegenteil einen Mehrwert an Einfluss und Macht.

Doch wie sieht im 21. Jahrhundert eine sinnvolle Kompetenzaufteilung aus? Christian Kastrop argumentierte, dass die EU dort gestärkt werden müsse, wo sie diesen echten Mehrwert biete. So zum Beispiel bei der Bereitstellung wichtiger „Gemeinschaftsgüter“ wie Sicherheit, der europaweiten Regelung von Migrations- und Flüchtlingsfragen oder einer gemeinsamen Währungspolitik. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Landwirtschaft sei es dagegen besser, wenn diese Aufgaben nicht via Brüssel, sondern direkt durch die Nationalstaaten erfüllt würden. Für entsprechende Reformen sei es auch denkbar, dass einzelne Länder vorangehen: „Ein Europa der Clubs ist zwar manchmal schwierig, wie die heutigen Clubs – Schengen, die Eurozone oder die PESCO – zeigen. Aber wenn die EU handlungsfähig bleiben will, können wir nicht in allen Fragen auf das Einstimmigkeitsprinzip setzen. Sonst können wir in zentralen Fragen den europäischen Mehrwert nicht herstellen“, so Kastrop.  „Wir müssen Europa eine Stimme geben, nicht 27, nur so werden wir in der Welt bei globalen Fragen auch gehört“, ergänzte Kastrop.

Europa: Champion des Multilateralismus

Im Zuge dieser Reformbestrebungen wies unter anderem Carla Díaz Álvarez de Toledo vom spanischen Wirtschaftsministerium auf die formalen Probleme der EU hin. Das institutionelle Dreieck aus Parlament, Kommission und Europäischem Rat könne mal Treiber, aber auch Blockierer von nötigen Reformen sein. Solange die Nationalstaaten nicht bereit seien, zum Beispiel im Bereich von Finanz- und Steuerfragen mehr Kompetenzen abzugeben, sei ein souveränes Europa nur schwer zu verwirklichen.

Dennoch, so unter anderem Miguel Otero Iglesias vom königlichen Elcano-Institut, einem der bedeutendsten spanischen Think Tanks, sei die EU im Nachgang der Finanzkrise von 2008 deutlich enger zusammengewachsen. Der sogenannte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) oder die unter Aufsicht der Europäischen Zentralbank durchgeführten „Stresstests“ für Banken, sind erste, wenn auch noch nicht ausreichende, Maßnahmen, um europäische Politik besser zu koordinieren und zukünftige Krisen zu meistern.

Diese Koordinierungsleistung in Zeiten zunehmender nationaler Egoismen ist nicht zu unterschätzen und mache Europa mit seiner eigenen Geschichte zu einem „Champion des Multilateralismus“, der weltweit eine Vorbild- und Vorreiterrolle einnehmen könne, so Christian Kastrop.