Tafelbild mit fünf Männchen, über deren Köpfe die fünf Symbole der Weltreligionen zu sehen sind (Kreuz, Mond, Davidstern, Om-Zeichen und Dharmarad)

Ist Religion Privatsache? So stehen die Europäer zur Religionsfreiheit

Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes nimmt der Religionsmonitor die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit in den Blick. Die repräsentativen Ergebnisse zeigen: Die Ansicht, Religion sei Privatsache, ist in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern weit verbreitet. Über Religionsfreiheit wird erst dann gestritten, wenn es um die sichtbar gelebte Religion geht.

Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch eine zunehmende religiöse Vielfalt aus, auch die Zahl der Konfessionslosen und Nicht-Gläubigen steigt. Damit das Zusammenleben in solchen Gesellschaften gelingt, sind die positive wie auch die negative Religionsfreiheit ein wichtiger Gradmesser: also die freie Religionsausübung sowie die Freiheit, keiner oder keiner bestimmten Religionsgemeinschaft anzugehören oder eine solche verlassen zu können.

Die Ergebnisse des Religionsmonitors zeigen, dass das Recht auf Glaubenswechsel in Deutschland sowie Österreich, der Schweiz, Frankreich und Großbritannien unumstritten ist: 96 Prozent der deutschen Bevölkerung stimmen der Aussage zu, dass jeder die Freiheit haben soll, den Glauben zu wechseln; in den übrigen westeuropäischen Ländern ist die Zustimmung ähnlich hoch. Hingegen zeigt ein Blick auf die Ergebnisse der Türkei, dass dieses elementare Recht als Ausdruck der Religionsfreiheit – auch in einem sich offiziell laizistisch verstehenden Land – keineswegs selbstverständlich ist.

"Jeder sollte die Freiheit haben, seinen Glauben zu wechseln": Das bejahen von den befragten Westeuropäern weit über 90 Prozent, in der Türkei jedoch nur 73 Prozent.

Meinungen zu religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit gehen auseinander

Zwar beziehen sich die Freiheit zum Glaubenswechsel und das Recht, keiner Religion anzugehören, auf den privaten Bereich. Das Recht auf freie Religionsausübung weist jedoch in verschiedener Hinsicht auch über das Private hinaus in den öffentlichen Raum. So umfasst die ungestörte Religionsausübung auch das Tragen religiöser Symbole wie etwa einer Kippa oder eines Kopftuches.

Um Einstellungen zu diesen Facetten positiver Religionsfreiheit zu ermitteln, haben wir im Religionsmonitor die Frage gestellt, inwieweit der Staat das öffentliche Tragen von religiösen Symbolen einschränken sollte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Meinungen zu dieser Frage auseinandergehen. In Deutschland plädieren 40 Prozent der Befragten dafür, das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit einzuschränken.

Im laizistischen Frankreich ist diese Meinung mit 57 Prozent Zustimmung sogar mehrheitsfähig. Hingegen spricht sich in Großbritannien, wo vielerorts das Kopftuch inzwischen Teil offizieller Uniformen ist, lediglich ein Drittel der Befragten gegen das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit aus. In der Türkei sprechen sich 38 Prozent für eine Einschränkung des Tragens religiöser Symbole in der Öffentlichkeit aus – das ist nahe am westeuropäischen Durchschnitt.

Die Ergebnisse verweisen auf einen Konflikt zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit – eine klassische Bewährungsprobe für religiöse Toleranz.

Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung

Die gesellschaftliche Uneinigkeit in Fragen der Religionsfreiheit zeigt sich besonders deutlich im Ost-West-Vergleich. Während in Westdeutschland mit 36 Prozent eine Minderheit der Aussage zustimmt, das Tragen öffentlicher Symbole einzuschränken, ist in Ostdeutschland die Zustimmung mit 57 Prozent genau so stark wie in Frankreich.

Die Ergebnisse können als Hinweis darauf verstanden werden, dass es mehr gesellschaftlicher Aushandlung und Verständigung bedarf, die auf religiöse Toleranz zielt. Das bekräftigt auch Markus Grübel, Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Es sei ein positives Zeichen, so Grübel, dass sich eine deutliche Mehrheit der Europäer für einen freien Glaubenswechsel ausspreche. "Eine Herausforderung bleibt jedoch die Frage, wie wir mit dem Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit umgehen. Hier brauchen wir mehr gegenseitigen Respekt und Toleranz."

Alle Ergebnisse der Befragung finden Sie in der Publikation in der Info-Box.