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Die europäische Regionalpolitik am Scheideweg: Herausforderungen und Zielkonflikte

Die europäische Kohäsionspolitik steht vor einer entscheidenden Weichenstellung. Angesichts einer sich ändernden Weltlage wird ihre Relevanz und Ausrichtung zunehmend hinterfragt. Ursprünglich entwickelt, um wirtschaftliche, soziale und territoriale Disparitäten in Europa zu verringern, sieht sich diese Politik nun neuen globalen Prioritäten und finanziellen Einschränkungen gegenüber. Das Focus Paper „Quo vadis, Kohäsionspolitik? Die europäische Regionalentwicklung am Scheideweg“ beleuchtet den aktuellen Stand der Kohäsionspolitik und untersucht die Zielkonflikte, die die gegenwärtige Debatte prägen.

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Dr. Thomas Schwab
Senior Expert European Economics

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Die Kohäsionspolitik verfolgt viele Ziele: Rückständige Regionen sollen aufholen, Wohlstand soll gesichert, strukturelle Benachteiligungen sollen ausgeglichen und Solidarität, insbesondere in Krisenzeiten, gefördert werden. Diese Zielvielfalt führt jedoch zu Spannungen, da die gleichzeitige Verfolgung vieler Ziele den Fortschritt in einzelnen Bereichen hemmen kann. Eine präzisere Zielsetzung, die sich an den großen europäischen Herausforderungen wie Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierung und grüner Wandel orientiert, könnte die Wirksamkeit der Politik deutlich steigern. Dies erfordert jedoch eine klare Priorisierung und Konsolidierung der Ziele.

Langfristige vs. kurzfristige Perspektive

Eine nachhaltige regionale Entwicklung erfordert langfristige Investitionen. Dennoch haben jüngste Krisen wie die COVID-19-Pandemie und die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs die Prioritäten auf kurzfristige Maßnahmen verlagert. Diese Flexibilität der Kohäsionspolitik hat jedoch ihre langfristigen Ziele gefährdet, da die Notwendigkeit einer sofortigen Reaktion auf Krisen oft über die nachhaltige Entwicklung gestellt wird.

Vergangenheit vs. Zukunft

Traditionell konzentriert sich die Kohäsionspolitik auf die Beseitigung historischer Ungleichheiten. Doch die aktuellen globalen Herausforderungen, wie der ökologische und digitale Wandel sowie zunehmender Handelswettbewerb, erfordern einen vorausschauenden Ansatz. Die Einführung des Just Transition Fund zeigt, dass mit der Kohäsionspolitik proaktiv agiert werden kann. Die Bewältigung vergangener Probleme erfordert jedoch andere Strategien als die Vermeidung neuer Disparitäten.

Alle Regionen vs. wenige Regionen

Seit 2007 partizipieren alle europäischen Regionen von der Kohäsionspolitik, auch die wohlhabenderen. Dennoch bleibt der Fokus auf den benachteiligten Regionen, insbesondere in Ost- und Südeuropa. Angesichts der bevorstehenden EU-Erweiterung (Ukraine und Westbalkan), wird die Mittelverteilung eine zentrale Herausforderung. Für maximale Wirkung bedarf es aber weiterhin die Beteiligung aller Regionen.

Finanzielle Engpässe und Wirksamkeitsfragen

Als eine der größten Ausgabepositionen der EU ist die Kohäsionspolitik eng mit dem mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) verbunden. Die bevorstehenden Verhandlungen für die Zeit nach 2027 werden entscheidend für die künftige Finanzierung sein. Mit dem steigenden Finanzbedarf der EU, insbesondere durch Prioritäten wie Klimaneutralität und Sicherheit, muss die Kohäsionspolitik um begrenzte Ressourcen konkurrieren und den Fokus die Maximierung des europäischen Mehrwerts legen.

Herausforderungen bei der Mittelverwendung

Die Verlangsamung der Mittelverwendung und die damit verbundene abnehmende Absorptionsfähigkeit, insbesondere in weniger entwickelten Regionen, zeigt die Notwendigkeit, die regionalen Kapazitäten zur Mittelverwendung zu verbessern. Eine effektive Mittelverwendung ist entscheidend für den Erfolg der Kohäsionspolitik.

Optimale Politikgestaltung und Synergieeffekte

Die Kohäsionspolitik muss sich ständig weiterentwickeln, insbesondere im Licht der Erfahrungen mit der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF). Zudem ist eine bessere Abstimmung zwischen den nationalen Politiken und der Kohäsionspolitik der EU notwendig, um regionale Entwicklung nachhaltig zu fördern. Aber auch mit anderen EU-Politiken wie der Energiewende oder der Digitalisierungsagenda sollten Synergien gesucht werden, um neue Ungleichheiten zu verhindern oder bestehende Ungleichheiten abzubauen.

Ausblick

Die Zukunft der Kohäsionspolitik steht an einem Wendepunkt. Sie muss ihre Ziele klarer definieren, Finanzierungsprobleme lösen und ihre Synergien mit anderen Politikbereichen stärken. Die bevorstehenden Debatten, insbesondere mit der neuen Europäischen Kommission und im Rahmen des nächsten MFR, werden diese Themen virulent werden. Eine verbesserte Kohäsionspolitik kann dabei ein wichtiges Instrument zur Begegnung der globalen Herausforderungen, mit denen Europa aktuell konfrontiert ist, darstellen, da dafür der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt in der EU zentral ist.

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