Plakatständer aus Metall, beklebt mit 11 Plakaten, stecken im Rasen vor einem Gebäude. Auf den Plakaten sind die Kandidaten für die französische Präsidentschaftswahl 2017 zu sehen.

Frankreich ist zerrissen und zweifelt

Teil eins der französischen Präsidentschaftswahl ist gelaufen und Frankreich zeigt sich innerlich gespalten und stark verunsichert. Unser Europa-Experte Joachim Fritz-Vannahme analysiert den ersten Wahlgang und blickt auf die Stichwahl am 7. Mai.

Frankreich ist ein zerrissenes Land. Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen zeigt dies überdeutlich. Emmanuel Macron liegt mit 23,7 Prozent der Stimmen in Führung vor Marine Le Pen mit 21,5 Prozent. Beide Werte bestätigen damit die Prognosen der oft gescholtenen Meinungsforschungsinstitute aus der vergangenen Woche.

Erstmals in der Geschichte der Fünften Republik schafft es damit kein Kandidat der Mitte-links- oder Mitte-rechts-Parteien in den zweiten Wahlgang einer Präsidentschaftswahl. Dieses Misstrauensvotum spiegelt Umfragen wider, in denen bis zu 90 Prozent der befragten Franzosen ihre tiefe Ablehnung der etablierten Politiker ausdrückten.

Zusammengenommen machen die Stimmen für Kandidaten der extremen Linken und der extremen Rechten fast die Hälfte der Wählerschaft aus. Diese Wahl war somit auch eine gegen das bestehende „System". Jeder Zweite hat dabei gegen Europa votiert.

Doch es wäre zu schlicht gedacht, den Front National einfach zur Protestpartei zu stilisieren: Seit über drei Jahrzehnten ist er fester Teil der Parteienlandschaft und unter Führung von Marine Le Pen auch für bürgerliche Kreise wählbar geworden, die ihrem rüden Vater mit seinen kolonialistischen und rassistischen Ansichten nichts abgewinnen konnten. Das zeigt das Resultat vom Sonntag, selbst wenn Le Pen deutlich unter den Umfrageprognosen von bis zu 28 Prozent blieb.

Auch geografisch ist Frankreich zerrissen: Macron gewann im Westen und Südwesten des Landes, in den Regionen um Paris oder Lyon. Le Pen punktete im Norden, Osten und im Süden um Marseille. Es wäre voreilig, Le Pens Anhängerschaft dabei nur in einem peripheren, abgehängten Frankreich zu vermuten: Das Elsass und der Süden sind ökonomisch durchaus erfolgreiche Regionen. Frankreich zweifelt an sich selbst auch dort, wo es Grund zur Zuversicht hätte: Seine Krise ist ökonomischer, politischer und psychologischer Natur.

Die Stichwahl ist noch nicht entschieden

Die Pariser Börse atmete am Tag nach dem ersten Wahlgang erst einmal auf, plus vier Prozent zur Eröffnung. Auch in vielen europäischen Hauptstädten, allen voran Berlin und Brüssel, war Erleichterung zu spüren.

Doch Vorsicht, noch ist der zweite Wahlgang am 7. Mai nicht entschieden. Ein Sieg Macrons ist wahrscheinlich, aber nicht gewiss. Ein Sieg Le Pens ist unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen. Zwar empfahlen die geschlagenen Kandidaten François Fillon von der konservativen Partei sowie Benoit Hamon von den noch regierenden Sozialdemokraten ihren Wählern das Votum für Macron. Aber Le Pen darf durchaus auf einen Teil von Fillons Anhängern rechnen, vor allem aber die Wähler der kleinen bürgerlichen Kandidaten hinter sich wissen. Das dürfte zehn bis zwanzig Prozentpunkte mehr bringen als im ersten Wahlgang. Macron muss zudem den Frust solcher Linkswähler fürchten, die den Wahlkabinen fern bleiben oder mit vote blanc, leeren Stimmzetteln, abstimmen.

Wahlen in Europa

Weder Macron noch Le Pen haben eine Mehrheit im Parlament

Beide Kandidaten haben bislang in der Nationalversammlung keine Mehrheit hinter sich. Sie werden diese also nach einem Sieg auflösen – und müssen dann auf eine eigene Mehrheit hoffen, die höchst ungewiss ist. Denn Macrons Bewegung En marche! ist bei allem verblüffenden Erfolg bislang keine Wahlmaschine, nicht einmal eine Partei und soll das nach seinem Willen auch nicht sein: Die Bewegung steht ja gerade für einen radikalen Neuanfang. Auf der anderen Seite weiß Le Pen zwar einen wahlerfahrenen FrontNational hinter sich. Doch ist die Partei auf sich allein gestellt nicht mehrheitsfähig.

In beiden Fällen ist also bei Neuwahlen zur Nationalversammlung (vermutlich im Juni) durchaus mit einer Cohabitation zu rechnen, einer Parlamentsmehrheit, die nicht geschlossen hinter, womöglich sogar oppositionell zum neuen Staatsoberhaupt stehen könnte. Das würde zum Bild des zerrissenen Frankreich passen.

Die Franzosen haben nun die Wahl zwischen zwei grundverschiedenen Gesellschaftsmodellen

Macron hat in der Wahlnacht geschickt von einem "Frankreich der Patrioten" und einem "Frankreich der Nationalisten" gesprochen, das am 7. Mai zur Abstimmung stehe. Der Newcomer, vor drei Jahren noch gänzlich unbekannt und politisch unerfahren, versucht mit dieser Wortwahl das gefährliche Image eines "Kosmopoliten" und "Globalisierungsanhängers" zu vermeiden, das ihm seine Konkurrenten, allen voran Le Pen, nur zu gern aufzwingen würden.

Macron steht für ein Frankreich, das neue Stärke mit Offenheit gegenüber der Welt, Europa und auch Deutschland gewinnen will. Le Pen hingegen will ihr Land durch geschlossene Grenzen, Austritt aus Euro und EU, mit strengen Kontrollen nach innen und notfalls auch gezielten Verstaatlichungen stärken. Wirtschaftspolitisch liest sich das alles wie das Programm der Kommunistischen Partei Frankreichs in den 1970er Jahren.

So wird Frankreich am 7. Mai die Wahl haben zwischen zwei grundverschiedenen Gesellschaftsmodellen. Für Deutschland und die Europäische Union hängt vom Ausgang auch die eigene Zukunft ab.