Pressemitteilung, , Gütersloh: Was verstehen deutsche Politiker unter sozialer Gerechtigkeit?

Repräsentative Parlamentarier-Umfrage zeigt: Politiker und Bevölkerung haben unterschiedliche Auffassungen

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In der Frage, wie gerecht die Verteilung von Vermögen und Einkommen in Deutschland ist, gehen die Einschätzungen von Politikern und Bevölkerung jedoch eklatant auseinander: Während 60 Prozent aller Parlamentarier die Einkommens- und Vermögensverteilung für gerecht halten, teilt in der Bevölkerung noch nicht einmal jeder Dritte diese Einschätzung. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung (56 Prozent) hält die gegebene Verteilung von Einkommen und Besitz in Deutschland für nicht gerecht.

Eine Gerechtigkeitslücke sehen die Parlamentarier vor allem im deutschen Rentenversicherungs­system. Mehr als drei Viertel (78 Prozent) aller jüngeren und immerhin sechs von zehn aller Man­datsträger halten das deutsche Rentenversicherungssystem für nicht generationengerecht. Die bei den jüngeren Abgeordneten überdurchschnittlich ausgeprägte Einschätzung erklärt auch, wa­rum diese Gruppe die Generationengerechtigkeit in Deutschland zu lediglich 45 Prozent für ver­wirklicht hält, während die ab 50jährigen Parlamentarier die Verhältnisse in Deutschland zu im­merhin 58 Prozent als generationengerecht empfinden.

Partei- und generationenübergreifend sind 70 Prozent aller Parlamentarier dafür, die sozialen Si­cherungssysteme stärker als bisher über Steuern zu finanzieren. Auch diese Meinung ist bei den jüngeren Mandatsträgern besonders ausgeprägt: Drei Viertel der bis zu 35jährigen treten für eine stärkere Steuerfinanzierung ein, gegenüber zwei Dritteln bei den älteren Politikern. Auch partei­übergreifend findet sich eine zumindest knappe Mehrheit für eine stärkere Steuerfinanzierung: Während die Zustimmung bei den Linken (90 Prozent), den Grünen (84 Prozent) und der SPD (80 Prozent) nahezu einhellig ausfällt, sind in der CDU/CSU 59 Prozent und auch in der FDP eine im­merhin knappe Mehrheit (50 Prozent) dafür, die sozialen Sicherungssysteme in Zukunft stärker über Steuern zu finanzieren.

Der Optimismus, dass eine Umfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme diese allein bereits zukunftsfester macht, ist bei der SPD, den Grünen und den Linken allerdings deutlich ausgepräg­ter als bei CDU/CSU und der FDP. Auch diese tragen die Umfinanzierung zwar mehrheitlich mit, wollen eine stärkere Steuerfinanzierung aber zu zwei Dritteln (CDU/CSU) beziehungsweise zu 90 Prozent (FDP) mit einer gleichzeitigen Senkung der Gesamtabgabenquote aus Steuern und Abga­ben verbinden.

Für zu niedrig halten die Gesamtbelastung mit Steuern und Abgaben in Deutschland ohnehin nur 11 Prozent aller Parlamentarier. Sehr viel mehr, 40 Prozent, halten die derzeitige Steuer- und Ab­gabenquote dagegen für zu hoch, während 46 Prozent aller befragten Politiker diese für angemes­sen halten. Unzufriedener mit der Höhe der Steuern und Abgaben ist die junge Generation der Politiker. Von den bis zu 35jährigen Mandatsträgern hält fast die Hälfte (47 Prozent) die derzeitige Gesamtbelastung für zu hoch, während lediglich gut ein Drittel (35 Prozent) diese als angemessen betrachten.

Befragt danach, welches entwickelte Industrieland ihren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit am Nächsten kommt, sieht eine Mehrheit von 55 Prozent aller Politiker in den skandinavischen Ländern ihr Vorbild für soziale Gerechtigkeit. Als einzelnes Land erhält Schweden die höchste Zustimmung und wird von immerhin einem Viertel aller befragten Politiker als Vorbild benannt. Dage­gen halten nur noch 15 Prozent der Parlamentarier Deutschland für vorbildlich, wobei sich die jün­gere Generation (6 Prozent) noch deutlich weniger am deutschen Sozialmodell orientiert als die ältere Politikergeneration (19 Prozent).

Befragt wurde im Zeitraum zwischen dem 9. Oktober und 10. November 2006 eine repräsentative Stichprobe von 384 der insgesamt rund 2.500 Parlamentarier des Deutschen Bundestages, der Länderparlamente sowie aus der Gruppe der deutschen Europaabgeordneten. Die Umfrage wurde im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Heinz Nixdorf Stiftung und der Ludwig-Erhard-Stiftung durchgeführt.

Über die Bertelsmann Stiftung:

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Eine Zusammenfassung der Studie und Grafiken zum Download finden Sie in der Spalte rechts neben diesem Text.