Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden ist nach wie vor sehr hoch; in den vergangenen 10 Jahren hat sich ihre Situation sogar weiter verschlechtert: 42 Prozent bezogen 2014 ein Einkommen, das weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens entsprach. Das sind 6,6 Prozent mehr als 2005. Bei Paarfamilien ist das Armutsrisiko im selben Zeitraum um 11,7 Prozent gesunken. "Kinderarmut ist ganz wesentlich auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen. Dagegen brauchen wir gezielte Maßnahmen. Nur so ermöglichen wir mehr Bildungs- und Teilhabechancen für fast eine Million betroffene Kinder", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Bei drei von vier Kindern kommt kein oder nur geringer Unterhalt an
Die Hälfte der Alleinerziehenden erhält überhaupt keinen Unterhalt für ihre Kinder. Weitere 25 Prozent bekommen nur unregelmäßig Unterhalt oder weniger als den Mindestanspruch. Die Gründe dafür wurden bislang nicht untersucht. Der ausbleibende Unterhalt für die Kinder ist eine zentrale Ursache dafür, dass viele Ein-Eltern-Familien nicht über die Armutsgrenze kommen. Dabei ist mit 61 Prozent die Mehrheit der alleinerziehenden Mütter erwerbstätig. Aufgrund der häufig allein getragenen Verantwortung für die Fürsorge der Kinder, die Erwerbsarbeit und den Haushalt arbeiten sie oft in Teilzeit (58 Prozent). Ihr durchschnittlicher Stundenumfang ist dabei mit 29,5 Stunden pro Woche allerdings deutlich größer als der von Müttern in Paarhaushalten (24,5 Stunden). Das so erwirtschaftete Erwerbseinkommen reicht dennoch vielfach nicht aus, um den eigenen Unterhalt und auch noch den der Kinder zu decken.
Zahlt der unterhaltspflichtige Elternteil nachweislich nicht, können Alleinerziehende den sogenannten Unterhaltsvorschuss beantragen (145 Euro bis zum Alter von 5 Jahren, 190 Euro im Alter von 6 bis 12 Jahren). 2014 haben 455.000 Kinder diese Leistung in Anspruch genommen. Allerdings erhalten sie Unterhaltsvorschuss höchstens sechs Jahre lang und auch nur, wenn sie jünger als zwölf Jahre sind. "Die Regeln zum Unterhaltsvorschuss gehen häufig an der Lebensrealität der Betroffenen vorbei und haben die Kinder und Jugendlichen nicht im Blick. Alle Kinder haben unabhängig vom Alter und dem Trennungszeitpunkt ihrer Eltern Bedarfe, die gedeckt sein müssen. Deshalb sollten auch alle Kinder und Jugendlichen von 0 bis 18 Jahren Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben", sagt Jörg Dräger.
Fünf Schritte gegen Kinderarmut in Ein-Eltern-Familien
Die Politik sollte ein Hauptaugenmerk auf Reformen beim Kindesunterhalt legen, um Armut in Ein-Eltern-Familien schnell und wirksam zu bekämpfen. Folgende fünf Schritte sind dafür notwendig.
(1) Vertiefte Analysen: Gründe müssen ermittelt werden, warum Unterhalt regelmäßig nur bei einem Viertel der Alleinerziehenden ankommt.
(2) Bessere Durchsetzung: Bei mangelnder Zahlungsbereitschaft der nicht betreuenden Elternteile muss die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Kinder verbessert werden. Ein Modell dafür könnte der britische Child Maintenance Service sein.
(3) Staatliche Unterstützung: Bei fehlender Zahlungsfähigkeit der nicht betreuenden Elternteile muss der Staat für den Unterhalt der Kinder aufkommen, um Kinderarmut zu vermeiden und Bildungs- und Teilhabechancen zu eröffnen. Ein-Eltern-Familien dürfen dadurch nicht von Hartz IV abhängig werden.
(4) Reform Unterhaltsvorschuss: Der Unterhaltsvorschuss muss grundlegend reformiert werden. Die altersgerechten Bedarfe der Kinder müssen gedeckt und Leistungen von 0 bis 18 Jahren gewährt werden. Das Kindergeld sollte nur zur Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden, wie bei anderen Unterhaltszahlungen auch. Die bisherige komplette Anrechnung benachteiligt alle Kinder, die auf Unterhaltsvorschuss angewiesen sind.
(5) Geteilte Sorge: Die tatsächlich gelebten Betreuungsmodelle in getrennten Familien müssen im Unterhalts- und Sozialrecht stärker berücksichtigt werden. Teilen sich Eltern die Sorge, entstehen dadurch Mehrkosten: Zwei Kinderzimmer, doppelte Kleidung und Spielzeug, Bus- und Bahnfahrten sind teuer und müssen finanziert werden. Auch finanziell schwächeren Familien muss eine geteilte Sorge möglich sein.
Auf unserer Homepage finden Sie die Studie von Anne Lenze und Antje Funcke "Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf". Weitere Reformvorschläge sind in dem Policy Brief "Reformvorschläge für alleinerziehende Familien" zusammengefasst. Darüber hinaus bieten wir auf der Homepage eine Studie zur Lebenslage und den rechtlichen Rahmenbedingungen von Ein-Eltern-Familien im Vereinigten Königreich sowie einen Vergleich der Situation in Deutschland und im Vereinigten Königreich an.