Der Wunsch nach größerer Beteiligung findet sich bei allen Altersgruppen und wächst mit zunehmender Lebenserfahrung. Während unter den Jüngeren immerhin 74 Prozent mehr Mitsprache fordern, sind es in der Gruppe der 50- bis 64-jährigen sogar 90 Prozent. Besonders erstaunlich ist es, dass sich auch unter den Nichtwählern eine überwältigende Mehrheit (89 Prozent) für mehr Bürgerbeteiligung ausspricht.
Unter den Bevölkerungsgruppen, die sich aktiv in den Prozess der politischen Willensbildung durch Bürgerbegehren oder Anhörungen einbringen wollen, liegen wiederum die Älteren unter den Befragten mit 70 Prozent vorn. Bei den Anhängern politischer Parteien führen Bündnis 90/Die Grünen mit 75 Prozent vor den SPD-Anhängern (62 Prozent) und den CDU-Sympathisanten (53 Prozent).
Angesichts dieser Umfrageergebnisse fordert Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger zu erweitern und die repräsentative Demokratie durch neue Formen der Mitsprache zu ergänzen. "Die Bürger wollen nicht nur alle paar Jahre ihre Stimme abgeben. Sie möchten sich mit ihrem Sachverstand einbringen, angehört werden und bei wichtigen Fragenstellungen auch mitentscheiden können", sagte Thielen. Auf diesem Weg könnte viele Enttäuschte wieder interessiert und für politische Teilhabe mobilisiert werden. "Wenn ausgerechnet die große Gruppe der Nichtwähler mehr Beteiligung wünscht, fehlen alternative Möglichkeiten, politisch mitbestimmen zu können."
Die Auswertung der Umfrage zeigt darüber hinaus, dass die Bundesbürger mit der Möglichkeit nach mehr Beteiligung auch große Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen verbinden. So sagen 85 Prozent der Befragten, bei größerer politischer Mitsprache hätten politische Entscheidungen in der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz. 80 Prozent glauben, die Entscheidungen wären demokratischer. 78 Prozent meinen, dass es weniger Politikverdrossenheit gebe, und 76 Prozent denken, dass Deutschland gerechter würde.
Obwohl der Wunsch nach größerer Mitsprache insgesamt sehr ausgeprägt ist, fallen einige Gruppen durch besondere Zurückhaltung auf. So zeigen vor allem Bürger ohne abgeschlossene Berufsausbildung, mit sehr geringem Einkommen oder ältere Menschen (über 65 Jahre) eine deutlich geringere Bereitschaft zum politischen Engagement. "Wir müssen aufpassen, dass in neue Konzepte für mehr Bürgerbeteiligung alle Bevölkerungsgruppen und nicht nur die ohnehin engagierten Bildungsbürger einbezogen werden."
Mit diesem Ziel startet die Bertelsmann Stiftung in diesem Jahr eine Kampagne für mehr Bürgerbeteiligung. Erstmals wird im Juni der Reinhard Mohn Preis zu diesem Thema verliehen. Unter dem Motto "Demokratie vitalisieren – politische Teilhabe stärken" werden mit dem Preis vorbildliche internationale Beispiele für mehr Bürgerbeteiligung ausgezeichnet. Zudem ist die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Heinz Nixdorf Stiftung Partner des bundesweiten BürgerForums 2011, einer Initiative von Bundespräsident Christian Wulff. In 25 Städten und Landkreisen erarbeiten 10.000 Bürger derzeit in einem Online-Forum Lösungsvorschläge zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Deutschland.
Die Umfrage wurde am 4. und 5. März 2011 vom Meinungsforschungsinstitut tns-Emnid unter 1.000 repräsentativ ausgewählten Bürgern durchgeführt.