Pressemitteilung, , Berlin: Trotz weltweiten Wirtschaftswachstums wenig Wohlstandsgewinn für die Mehrheit der Menschen

Bertelsmann Stiftung: Vier Milliarden Menschen leben in Demokratien, doch deren Qualität ist meistens mangelhaft

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Nach den neuesten Daten dieser weltweiten Erhebung hat sich trotz einer anhaltend günstigen Weltkonjunktur und jahrelanger stabiler Wachstumsraten die soziale Situation der meisten Men­schen in den Entwicklungsländern kaum verbessert. Insbesondere in Afrika und Lateinamerika sind kaum Fortschritte festzustellen und die Massenarmut stellt das zentrale Entwicklungsproblem dar. So konnten zwar 85 von 125 untersuchten Entwicklungs- und Transformationsstaaten in den vergangenen Jahren am ungebrochenen Weltwirtschaftswachstum teilhaben, doch nur wenige Staaten nutzen den wirtschaftlichen Spielraum für die Armutsbekämpfung, die Bildung oder den Umweltschutz. In rund 100 Staaten wurde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Wäh­rungs- und Preisstabilität mit gut oder sogar sehr gut bewertet, allerdings nur 34 konnten eine nachhaltige Bildungs- oder Umweltpolitik aufweisen. Und nur 43 Staaten wurde ein gutes sozio­ökonomisches Entwicklungsniveau bescheinigt.

 

Josef Janning, Globalisierungsexperte der Bertelsmann Stiftung: "Die positive Wirtschaftsentwick­lung der vergangenen Jahre hat viele Regierungen dazu verleitet, die Erträge ihres Erfolges ledig­lich zu konsumieren. Der Ausbau und die Weiterentwicklung der Volkswirtschaften ist vielfach ver­nachlässigt worden, Weichenstellungen für die Zukunft oder auch konjunkturell schlechte Zeiten wurden verpasst." Zu den eklatanten Schwachpunkten zählen insbesondere die Systeme zum so­zialen Ausgleich und fehlende Investitionen in Bildung und Umweltschutz. Janning: "Aus der glo­balen Perspektive betrachtet produziert die fortgeschrittene Globalisierung zwar insgesamt größe­res Wachstum und Wohlstand, aber ihre Ausgestaltung ist nicht gerecht und nicht nachhaltig. Ihre positiven Effekte kommen bei der Mehrzahl der Menschen nicht an und sie ist nicht zukunftsfähig. Das Versagen, aber auch die Lösung der Probleme ist dabei in den mangelnden Reformen auf der Ebene der einzelnen Staaten und ihrer Regierungen zu suchen."

Die Demokratie ist weltweit weiter auf dem Vormarsch, gleichzeitig bleibt die Beteiligung der Men­schen an der Willensbildung und ihre gesellschaftliche Integration in den meisten Ländern weltweit weiter deutlich hinter demokratischen Grundnormen zurück. So wuchs allein in den vergangenen Jahren zwar die Zahl der vom BTI untersuchten Länder, in denen freie Wahlen stattfinden, sprung­haft von 58 Prozent auf 63 Prozent an. Wechsel zu demokratischen Systemen waren dabei vor allem in Afrika zu beobachten. So leben inzwischen knapp vier Milliarden Menschen in einer De­mokratie und lediglich 2,5 Milliarden in Autokratien und Diktaturen. Allerdings weisen 52 der 75 untersuchten Demokratien erhebliche Mängel des Rechtssystems oder bei der Partizipation auf. Häufig fehlt es an moderaten und stabilen repräsentativen Parteiensystemen, an ausgewogenen Interessenvertretungen oder an lebendigen Zivilgesellschaften.

In nur 13 dieser Länder ist zum Beispiel eine funktionsfähige Gewaltenteilung zu erkennen, in we­niger als einem Dutzend Länder eine funktionierende Korruptionsbekämpfung und die Ahndung von Amtsmissbrauch. Allerdings konnte auch eine Gruppe von 23 Ländern in den zurückliegenden Jahren ihre demokratische Regierungsform festigen. Dazu zählen elf europäische Staaten, vier in Lateinamerika, vier in Afrika und drei in Asien. Josef Janning: „Wir können klar feststellen. Es gibt nicht den behaupteten weltweiten Trend zu mehr Autokratien, Unfreiheit und Menschenrechtsver­letzungen. Im Gegenteil, die Zahl der formalen Demokratien auf der Welt wächst nach wie vor. Allerdings stagniert die Qualität dieser Demokratien. Sie ist in vielen Fällen sogar latent gefährdet. Die Lebensqualität für die Menschen bleibt hier prekär, da staatliche Willkür, Beschneidung von Bürgerrechten und Korruption weiter auf der Tagesordnung stehen. Außerdem gibt es weiterhin einen stabilen Block von ungefähr über 40 oft menschenverachtenden Autokratien.“

Im weltweiten Vergleich können vor allem die ost- und mitteleuropäischen EU-Beitrittsstaaten große Fortschritte aufweisen. Den höchsten Status haben dabei inzwischen Tschechien, Slo­wenien und Estland erreicht, gefolgt von Ländern wie Taiwan, Südkorea, Chile, Kroatien oder Costa Rica. Das beste politische Transformationsmanagement bescheinigt der Index Chile, gefolgt von Estland, Botswana, der Insel Mauritius und der Slowakei. Zu den großen Verlierern der zu­rückliegenden Jahre gehören dabei unter anderem Polen wegen seiner polarisierenden Regierung Kaczy?ski oder Venezuela unter Hugo Chávez. Den schlechtesten Entwicklungsstand von Demo­kratie und Marktwirtschaft verzeichnen die Experten der Stiftung dabei neben Nordkorea in der Volksrepublik Kongo, Sudan, Eritrea Myanmar und in Somalia.

Über den Transformationsindex:

Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung analysiert und bewertet die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und politischem Management in 125 Entwicklungs- und Transformationsländern. Gemessen werden Erfolge und Rückschritte auf dem Weg zu rechtsstaatlicher Demokratie und sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft. Detaillierte Ländergutachten sind die Grundlage für die Bewertung des Entwicklungsstands und der Problemlagen sowie der Fähigkeit politischer Akteure, Reformen konsequent und zielsicher umzu­setzen. Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung ist damit der erste international vergleichende Index, der die Qualität von Governance mit selbst erhobenen Daten misst und eine umfassende Analyse von politischen Gestaltungsleistungen in Transformationsprozessen bietet.

Über die Bertelsmann Stiftung:

Die deutsche Bertelsmann Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich für das Gemeinwohl einsetzt. Sie engagiert sich in den Bereichen Internationale Verständigung, Bildung, Wirtschaft, Soziales und Gesundheit und fördert das friedliche Miteinander der Kulturen. Das programmatische Ziel ist mehr Gerechtigkeit  und Teilhabe der Menschen in einer globalisierten Welt. Die 1977 von dem deutschen Medienunternehmer Rein­hard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet unabhängig vom Unternehmen, den deutschen Regierungsinstitutionen und ist parteipolitisch neutral.

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