Der Studie zufolge hat die Bundesregierung – verglichen mit dem Krisenmanagement etwa in Großbritannien oder den USA – spät staatliche Eingriffe vorgenommen und vorher in erster Linie vorhandene Mittel im Rahmen der Sozialversicherung wirken lassen. Während die Bevölkerung anfangs eher unzufrieden mit der Krisenreaktion der Bundesregierung war, zeigte sich im weiteren Verlauf eine wachsende Zustimmung. "Man kann also sagen, dass in Deutschland die soziale Marktwirtschaft und die Sozialversicherung im Besonderen als eine Art Stoßdämpfer funktioniert haben", so Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.
Einrichtungen wie Kurzarbeit oder Arbeitszeitkonten, die zu Beginn der Krise bereits existierten und nur marginal angepasst werden mussten, stellten einen klaren Vorteil gegenüber anderen Ländern dar. Sie erwiesen sich als eine neue Form von automatisch wirkenden Stabilisatoren. Deutschland dient deshalb inzwischen weltweit als gutes Beispiel. Thielen: "Immer wieder wird in anderen Ländern diskutiert, inwieweit diese Regelungen übernommen werden könnten, um die unmittelbaren Folgen von Krisen abzumildern."
Am erfolgreichsten bei der Bewältigung der Krise erwiesen sich die Schwellenländer. Die Studie zeigt, wie die so genannten Emerging Markets konsequent ihre Lehren aus vorangegangenen Krisen wie der Asienkrise des Jahre 1997/98 gezogen haben. Sie konsolidierten systematisch ihre Haushalte und setzten institutionelle Reformen der Finanzmärkte und des Bankenwesens durch. Eine solide Finanzlage gab ihren Regierungen daher im Herbst 2008 ausreichend Handlungs-spielraum für Konjunkturmaßnahmen und sorgte so dafür, dass die Staatsverschuldung nicht ausuferte. Die regulierten Finanzmärkte waren größtenteils schockresistenter und die Banken hielten kaum toxische Papiere.
"Als Folge konnten sich die Schwellenländer inzwischen im internationalen Wettbewerb einen strategischen Vorteil erarbeiten", erläutert Sabine Donner, Projektleiterin der Bertelsmann Stiftung. Im Jahr zwei nach dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sind es aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien oder Brasilien, die derzeit die Weltkonjunktur beleben und sich in wichtigen Parametern von den etablierten westlichen Industrienationen unterscheiden: durch solide Wachstumszahlen, geringe Schulden, eine sich erholende Binnenkonjunktur und ein stabiles Banken- und Finanzsystem. Die Folgen der Krise unterstreichen daher den Aufstieg einer Reihe von großen Schwellenländern und den relativen Niedergang westlicher Ökonomien.
In der Analyse des nationalen und internationalen Krisenmanagements offenbaren sich in der Studie zahlreiche Gemeinsamkeiten. Obwohl es in den einzelnen Ländern große Unterschiede hinsichtlich der Krisenwahrnehmung und den konkreten Auswirkungen auf die einzelnen Volkswirtschaften gab, wurde nie zuvor weltweit schneller, pragmatischer und umfassender auf eine globale Rezession reagiert. Sobald die potenziell verheerenden Folgen der Krise erkannt wurden, schwand in allen Ländern der Widerstand gegen kurzfristige Notmaßnahmen und einen fiskalischen Expansionskurs. Das nationale Krisenmanagement rückte in der hier untersuchten ersten Phase der Krise (September 2008 bis September 2009) in den Mittelpunkt.
Durchsetzungsfähige Regierungen und wenig umstrittene Krisenpakete waren die Folge. Die Bewältigung der kurzfristigen Krisenfolgen durch Stabilisierungs- und Konjunkturprogramme überwog sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern. Kaum einer Regierung gelang es in dieser Phase, die Krise als Chance für eine langfristig orientierte Politik zu nutzen. Nur vereinzelt, etwa in Südkorea, China oder den USA, waren bereits in den ersten Konjunkturpaketen richtungs-weisende Investitionen in Zukunftstechnologien, Bildung, Forschung oder Klimaschutz enthalten.
Mit Blick auf die vielbemühte Forderung nach mehr internationaler Abstimmung kommt die Studie zu einem ernüchternden Ergebnis. Dr. Hauke Hartmann, Projektleiter der Bertelsmann Stiftung: "Anstatt auf eine erstmals von den westlichen Industrienationen ausgelösten weltweiten Krise mit einer Stärkung von Global Governance zu reagieren, fanden Krisenmanagement und Konjunkturmaßnahmen primär auf nationalstaatlicher Ebene statt." Die effektivste und umfassendste internationale Abstimmung erfolgte, so die Studie, unmittelbar nach Ausbruch der Krise auf der Ebene der Zentralbanken und Finanzbehörden. Die G20-Treffen nutzten die Regierungen lediglich als Informationsplattform und Austauschmöglichkeit über ihre nationalen Krisenpakete und nicht zur Vereinbarung eines konzertierten, aufeinander abgestimmten Vorgehens.
Über die Studie: "Managing the Crisis. A Comparative Analysis of Economic Governance in 14 Countries"
Die Studie untersucht anhand detaillierter Länderberichte die politischen Reaktionen auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften Deutschland, Großbritannien, Schweden und den USA sowie in den Schwellenländern Brasilien, Chile, China, Indien, Indonesien, Russland, Südafrika, Südkorea, der Türkei und Ungarn. Dabei stehen Fragen nach der politischen Gestaltungsfähigkeit und der Effektivität von Steuerungs-mechanismen in der ersten Phase und auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008/2009 im Mittelpunkt: vom Agenda-Setting über die Schwerpunktsetzung bei den Stabilisierungs- und Konjunkturprogrammen bis zur Umsetzung der Maßnahmen. Eine detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Krisenreaktionen in den unterschiedlichen Ländern auf und richtet ein besonderes Augenmerk auf den Vergleich fort-geschrittener und aufstrebender Volkswirtschaften. Die Studie wurde in Kooperation mit Prof. Dr. Sebastian Heilmann, Professor für Regierungslehre an der Universität Trier, und Prof. Dr. Rolf J. Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, durchgeführt.
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