Pressemitteilung, , Gütersloh: Meinungs- und Versammlungsfreiheit weltweit zunehmend eingeschränkt

Qualität demokratischen Regierens sinkt

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Zu den Transformationsländern, die in den vergangenen Jahren am erfolgreichsten regiert wurden, gehören Uruguay, Chile, Est­land, Südkorea und Brasilien. Die schlechteste politische Führung wird Nordkorea, Simbabwe, Myanmar, Somalia und Usbekistan attestiert. Einen Abgesang auf das Leitbild der Demokratie lassen die neuesten Daten dieser weltweiten Er­hebung zwar nicht zu. Der Anteil der Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen freie Wahlen stattfinden, bleibt stabil bei 60 Prozent. Immer noch leben knapp vier Milliarden Menschen in einer Demokratie und lediglich 2,5 Milliarden in Autokratien und Diktaturen. Die Möglichkeit zu einer wirklichen Teilhabe der Bevölkerung an der politischen Willensbildung und ihre gesellschaftliche Integration werden jedoch in vielen Staaten zunehmend eingeschränkt. 53 der 76 untersuchten Demokratien werden als „defekte Demokratien“ eingestuft, in denen es trotz relativ freier und fairer Wahlen an der hinreichenden Durchsetzung der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte oder einer effektiven Gewaltenteilung mangelt. Der Anteil der eher mäßig defekten Demokratien hat sich in den letzten vier Jahren von 62 auf etwa 49 Prozent verringert, während zugleich der Anteil der stark defekten Demokratien in diesem Zeitraum von etwa zehn auf über 20 Prozent gestiegen ist. Mit anderen Worten: Die Anzahl der Demokratien mag nahezu unverändert bleiben, aber unterhalb einer recht stabilen Spitzengruppe sinkt die Leistungsfähigkeit und Akzeptanz vieler demokratischer Systeme in signifikanter Weise.

 

Von diesem Qualitätsverlust sind mittlerweile auch Kernaspekte der politischen Beteiligung be­rührt. So wurden Freiheit und Fairness der in defekten Demokratien durchgeführten Wahlen durchschnittlich deutlich schlechter bewertet als noch vor vier Jahren, in jüngster Zeit besonders in Kenia und Nicaragua. Dies gilt auch hinsichtlich des Rechts auf Versammlungs- und Organisati­onsfreiheit. Besonders alarmierend sind zunehmende Einschränkungen des Rechts auf freie Mei­nungsäußerung. Besonders betroffen waren die defekten und stark defekten Demokratien Afrikas, vor allem Kenia, Madagaskar, Niger, Südafrika und Uganda. Aber auch in fortgeschrittenen Demo­kratien wie Ghana, Kroatien, Serbien oder Südkorea waren Rückschritte zu verzeichnen.

Auch wenn sich die Auslöser für konkrete Entwicklungen von Land zu Land unterscheiden, so lie­gen diesem negativen Trend doch häufig ähnliche Muster zugrunde: Eine mangelnde rechtsstaatli­che Verankerung der Demokratie gepaart mit einer geringen politischen und sozialen Integration der Bevölkerung. "Schwach ausgeprägte wechselseitige Kontrollmechanismen zwischen Regie­rung, Parlament und Justiz sowie generell eine geringe Unabhängigkeit der Gerichte öffnen staatli­cher Willkür Tür und Tor", so Projektleiterin Sabine Donner. Diese Defizite erschweren das Vorge­hen gegen eine zunehmende Einschränkung der Bürgerrechte oder grassierenden Amtsmiss­brauch. Im weltweiten Durchschnitt zählen seit Jahren rechtsstaatliche Eckpfeiler wie Gewalten­teilung und Unabhängigkeit der Justiz zu den schwächsten Indikatoren im Transformation Index. Gleichzeitig fehlt der Demokratie das gesellschaftliche Fundament. Donner: "Schwache und unre­präsentative Parteiensysteme sowie fehlendes Vertrauen und Sozialkapital in der Zivilgesellschaft haben dem staatlichen Zugriff auf grundlegende Rechte häufig wenig entgegenzusetzen. Dies führt auf Dauer zu einer Aushöhlung der Qualität und Substanz demokratischen Regierens und zu einem Ansehensverlust demokratischer Institutionen."

Die Einbußen an Glaubwürdigkeit und Ansehen demokratischer Regierungen gehen im wirtschaft­lichen Bereich häufig einher mit schwachen Regierungsleistungen zur Sicherung von sozialen Grundstandards und Chancengerechtigkeit. Trotz externer Schocks durch hohe Nahrungsmittel- und Ölpreise und die ersten Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise waren die weltwirt­schaftlichen Rahmenbedingungen für die meisten der 128 Staaten in den vergangenen Jahren eher günstig. "Die Ergebnisse des Transformation Index belegen, dass die positive Wirtschafts­entwicklung der vergangenen Jahre viele Regierungen dazu verleitet hat, die Erträge ihres Erfol­ges lediglich zu konsumieren", so Projektleiter Hauke Hartmann. "Der Ausbau und die Weiterent­wicklung der Volkswirtschaften und die Bekämpfung von Armut und sozialen Schieflagen ist viel­fach vernachlässigt worden." Entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft oder konjunkturell schlechte Zeiten wurden verpasst.

Zu den eklatanten Schwachpunkten zählen insbesondere die Systeme zum sozialen Ausgleich, die unzureichende Armutsbekämpfung und fehlende Investitionen in Bildung und Umweltschutz. In einem Viertel der untersuchten Länder ist das sozioökonomische Entwicklungsniveau so niedrig, dass Armut und sozialer Ausschluss verbreitet und strukturell verfestigt sind. Mäßige bis gute Werte in diesem Bereich erreichen nur 41 der 128 Länder. Diese strukturellen Defizite und sozia­len Schieflagen bergen unter Bedingungen weltwirtschaftlicher Unsicherheit beträchtliche Risiken. Schwindende finanzielle Ressourcen und das Fehlen legitimitätsstiftender wirtschaftlicher Prospe­rität könnten in Zukunft die Stabilität vieler Regierungen bedrohen.

Für externe Unterstützer von Entwicklung und demokratischer Transformation lohnt ein Blick vor allem auf jene Länder, die sich durch eine hohe demokratische Legitimität und vergleichsweise gute Regierungsqualität auszeichnen, die aber aufgrund von ungünstigen strukturellen Rahmen­bedingungen und unter dem zusätzlichen Druck der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise nur unzureichend sozioökonomische Fortschritte erzielen können. Diese Länder sollten primäres Ziel externer Hilfen werden, bevor schwache demokratische Regime aufgrund von steigender Armut und ungleicher Einkommensverteilung grundsätzlich in ihrer Legitimität hinterfragt werden. Doch auch eine differenziertere Betrachtung der sich wandelnden Legitimationsmuster autokratischer Regime, deren wirtschaftlicher Output in den vergangenen Jahren besonders hoch war, scheint angebracht, um auf verschärfte Repressionen wie aber auch auf Entwicklungen zu mehr Partizipa­tion angemessen reagieren zu können.

Im weltweiten Vergleich liegen die ost- und mitteleuropäischen EU-Beitrittsstaaten weiter vorne. Auf den ersten Plätzen des Status-Index im BTI liegen Slowenien und Estland, gefolgt von Län­dern wie Taiwan, Südkorea, Chile oder Costa Rica. Das beste politische Management bescheinigt der Index Uruguay, gefolgt von Chile, Estland, Südkorea und Brasilien. Zu den großen Verlierern der zurückliegenden Jahre gehören dabei unter anderem Südafrika, das aufgrund des polarisie­renden Machtkampfes zwischen dem bis September 2008 regierenden Präsidenten Mbeki und seinem Herausforderer Zuma reformorientierte Politik vernachlässigte, oder Venezuela unter Hugo Chávez. Den schlechtesten Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft verzeichnen die Experten der Stiftung dabei neben Nordkorea in Myanmar (Birma) und Somalia.

Über den Transformation Index:

Der Transformation Index der Bertelsmann Stiftung analysiert und bewertet die Qualität von De­mokratie, Marktwirtschaft und politischem Management in 128 Entwicklungs- und Transformati­onsländern. Gemessen werden Erfolge und Rückschritte auf dem Weg zu rechtsstaatlicher Demo­kratie und sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft. Detaillierte Ländergutachten sind die Grund­lage für die Bewertung des Entwicklungsstands und der Problemlagen sowie der Fähigkeit politi­scher Akteure, Reformen konsequent und zielsicher umzusetzen. Der Transformation Index der Bertelsmann Stiftung ist damit der erste international vergleichende Index, der die Qualität von Governance mit selbst erhobenen Daten misst und eine umfassende Analyse von politischen Gestaltungsleistungen in Transformationsprozessen bietet.

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