Pressemitteilung, , Sydney/Gütersloh: Die Jugend der Welt ist religiöser als ihr Ruf

Religionsstudie der Bertelsmann Stiftung sieht weltweit gegenläufige Trends – Lediglich Jugend in Europa ist vielfach säkularisiert – Für Mehrheit sind Sexualität und Politik reine Privatangelegenheiten

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Allerdings zeigt sich ein sehr divergierendes Bild in den einzelnen Ländern und unter den ver­schiedenen Konfessionen. Während junge Erwachsene in islamischen Staaten und Entwicklungs­ländern besonders stark religiös sind, zeigen sich vor allem junge Christen in Europa vergleichs­weise religionsfern. So sind zum Beispiel 80 Prozent aller jungen Protestanten außerhalb Europas hochreligiös und 18 Prozent religiös. Unter den europäischen jungen Protestanten sind gerade einmal sieben Prozent Hochreligiöse zu finden, 25 Prozent müssen dagegen als Karteileichen ihrer Kirchen betrachtet werden. Bei den jungen Katholiken bietet sich ein ähnliches Bild. Hier sind im­merhin 25 Prozent der Europäer hochreligiös, außerhalb Europas sind es 68 Prozent. Von den jungen Menschen in Osteuropa und Russland ist gerade noch jeder Dritte getauft, die meisten haben jedweden Bezug zu Glaube und Kirche verloren. Lediglich 13 Prozent sind hochreligiös. Dagegen konnte die Studie auch feststellen, dass jeder Dritte der weltweit befragten jungen Menschen (35 Prozent), die sich selbst als konfessionslos bezeichnen, trotzdem als religiöse Menschen einge­stuft werden können.

Gelebte religiöse Praxis

Das divergierende Bild über die Religiosität unter jungen Menschen in den verschiedenen Ländern und Konfessionen zeigt sich auch in Bezug auf ihre religiöse Praxis. Während etwa die jungen Erwachsenen in hochreligiösen Ländern wie Nigeria oder Guatemala zu 90 Prozent mindestens einmal täglich beten, tun dies in Ländern wie Indien, Marokko oder der Türkei immerhin noch drei von vier der Befragten. Weitgehend unüblich ist das tägliche Gebet inzwischen dagegen unter jungen Europäern. In Frankreich beten gerade einmal noch neun Prozent der jungen Leute täglich, in Russland sind es acht Prozent und in Österreich nur etwa sieben Prozent.

Eine große Ausnahmeerscheinung zwischen westlich geprägten Industrieländern auf der einen und Entwicklungsländern bzw. den islamisch geprägten Staaten auf der anderen Seite bilden die USA. Wie auch unter den Erwachsenen finden sich in den USA in der jüngeren Generation weit­aus mehr religiöse Menschen als in den meisten anderen westlichen Ländern. Von den jungen Amerikanern geben 57 Prozent an, täglich zu beten. Und in den freikirchlichen und Pfingstbewe­gungen der USA sind unter den jungen Erwachsenen praktisch nur religiöse Menschen zu finden, fast 90 Prozent von ihnen sind sogar hochreligiös.

Fromme Alte – laue Junge?

Dass junge Menschen weniger religiös sind als noch ihre Eltern und Großeltern ist ebenfalls eine eher typisch europäisch-westliche Vorstellung als die weltweite Realität. So glauben die Jungen in den Entwicklungsländern und in islamischen Staaten nicht weniger intensiv als die übrigen Erwachsenen. In Marokko glauben etwa 99 Prozent an Gott und ein Leben nach dem Tod. Auch unter Brasilianern, Türken oder Nigerianern stimmen dem 90 Prozent zu, in Israel, Indonesien und Italien immerhin auch noch 80 Prozent. Die Länder, in denen die jüngeren sich weniger intensiv mit dem Glauben auseinander setzen, liegen fast alle im westlichen Kulturkreis von Australien bis Spanien. Allerdings gibt es auch hier gegenläufige Tendenzen. So sprechen in Großbritannien die Jüngeren dem Glauben häufiger zu als die Älteren. Und junge Israelis zeigen sich mit signifikantem Abstand glaubensfester als ihre Väter. Dr. Martin Rieger, Leiter des Projektes Religionsmonitor bei der Bertelsmann Stiftung, folgert daraus: "Die These, dass Religiosität von Generation zu Generation kontinuierlich schwindet, kann nach unseren weltweiten Erhebungen – auch in vielen Industrie­staaten – eindeutig widerlegt werden."

Politik ist Privatsache – Sex nicht überall

Einen Zusammenhang zwischen religiöser Orientierung der jungen Leute und ihrer Haltung zu Politik und Sexualität konnte die Studie der Bertelsmann Stiftung ebenfalls nachweisen. Für die meisten Europäer und "Westler" gilt dabei, dass Religion keinen Einfluss auf ihre politischen Über­zeugungen hat. Auch für die meisten der religiösen jungen Menschen außerhalb Europas gilt dies, wenn auch nicht so strikt. Nicht ganz so klar liegt die Sache beim Thema Sex und Partnerschaft. Auch hier sagen die meisten der europäischen Gläubigen: Sex ist Privatsache und nur eine Min­derheit meint, dass ihr Glaube Einfluss auf ihre intime Partnerschaft hat. Für lediglich sieben Pro­zent der jungen Protestanten in Europa haben religiöse Überlegungen Auswirkungen für die Gestaltung ihres Liebeslebens, für allenfalls zwölf Prozent der Orthodoxen und nur noch 14 Prozent der Katholiken. Anders sieht dies jedoch außerhalb Europas aus: Hier geben immerhin 67 Prozent der Protestanten und 68 Prozent der Freikirchler einen Zusammenhang zwischen Religiosität und Se­xualität an. Die außereuropäischen Katholiken geben sich hier emanzipierter. Nur die Hälfte (52 Prozent) sagt, der persönliche Glaube habe auch Auswirkungen auf das eigene Intimleben.

Online-Religionsmonitor im Internet: Die international durchgeführten Erhebungen finden eine fortlaufende Ergänzung im Internet. In der Online-Befragung "religionsmonitor.com" (siehe Spalte rechts neben diesem Text) kann sich der User sein individuelles Religiositätsprofil erstellen lassen und mit dem Durchschnittswert in seinem Land vergleichen.

Über den Religionsmonitor: Der Religionsmonitor ist ein neues, interdisziplinäres und interreligi­öses Projekt der Bertelsmann Stiftung. Anhand von über 100 Befragungsitems wurden dazu in einem ersten Schritt im Sommer vergangenen Jahres über 21.000 Personen in 21 Ländern befragt. Un­tersucht wurden insgesamt sechs Kerndimensionen von Religion und Glauben wie religiöse Über­zeugungen, Alltagserfahrungen, öffentliche und private Praxis oder die allgemeine Alltagsrelevanz von Religion. Darüber hinaus werden die Ergebnisse in einem Zentralitätsindex verdichtet mit einer Zuordnung nach Hochreligiösen, Religiösen und Nichtreligiösen. Aus dem gewonnenen Daten­material können umfangreiche Befunde über die Bedeutung von Religiosität für die Individuen und ihre Lebensbereiche gewonnen und Aussagen über gesellschaftliche Dynamiken getroffen wer­den. Zudem enthalten die Ergebnisse wichtige Informationen über die verschiedenen Religionen.

Weitere Informationen finden Sie in der Spalte rechts neben diesem Text.