Handwerker mit Helm in der Hand

Warum wir stärker auf Wettbewerb und Dynamik im Lowtech-Sektor setzen sollten

Start-ups sind cool. Junge, erfolgreiche Menschen, zu bestaunen in der Höhle der Löwen oder beim smarten Pitch-Event. Raketengleicher Aufstieg, Reichtum, Ruhm – weil sie einmal im richtigen Moment die richtige (Geschäfts-)Idee hatten. Seit Jahren schon wird der Erfolg der deutschen Wirtschaft oft gemessen an der Dynamik der schillernden Start-up-Szene.  Doch die Fokussierung auf die Hightech-Start-ups und die damit einhergehende Förderpolitik ist möglicherweise zu eng gedacht. 

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Für die in Deutschland dringend benötigte Steigerung der Produktivität sorgt vor allem die hohe Unternehmensfluktuation im wenig glamourösen Lowtech-Bereich. Das zeigt die neue Studie "Industry and Productivity Dynamics in Germany" des ZEW im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Seit Jahren schon schwächt sich fast überall und beinahe in allen Branchen in Deutschland die Unternehmensdynamik immer weiter ab: Unternehmensgründungen gingen ebenso wie Unternehmensschließungen stetig zurück: Waren es 2005 in den untersuchten Branchen noch 205.978 Gründungen, sank diese Zahl bis 2019 auf 132.855. Austritte sanken im selben Zeitraum von 168.289 auf 105.882. Lediglich die IT-Branche und die Region Berlin hoben sich teilweise ab.

Zwar sinkt die Eintrittsrate seit 2015 wieder langsamer als die Austrittsrate, doch bräuchten wir angesichts des demografischen Wandels und des wachsenden internationalen Wettbewerbsdrucks eigentlich eine deutlich höhere Unternehmens- und Produktivitätsdynamik.

Dr. Marcus Wortmann

Arbeitsproduktivität wächst dank Lerneffekten

Die Studie zeigt, dass das aggregierte Wachstum der Arbeitsproduktivität im Untersuchungszeitraum stark zurückgegangen ist. Maßgeblich bestimmt wird es durch die dauerhaft am Markt operierenden Unternehmen. Das ist auch wenig verwunderlich, da sie mit mehr als 96 Prozent der Beschäftigten einen deutlich höheren Anteil am Gesamtunternehmensbestand haben als diejenigen Firmen, die neu auf den Markt kommen oder ihn verlassen.

Die gemessenen Steigerungsraten resultieren dabei hauptsächlich aus innerbetrieblichen Produktivitätsgewinnen, die wiederum auf Lerneffekten beruhen. Neugründungen weisen zunächst eine geringere Produktivität als etablierte Konkurrenten auf, während Schließungen von eher unproduktiveren Unternehmen natürlicherweise positive Effekte auf die aggregierte Produktivitätsentwicklung haben. 

Doch junge Unternehmen haben auch einen eindeutig positiven Einfluss auf die Produktivität etablierter Unternehmen. Neugründungen an sich wirken hier ebenso wie Veränderungen im gesamten Unternehmensbestand produktivitätssteigernd. Dahinter könnte Schumpeters Idee der kreativen Zerstörung stehen: Neue innovative Unternehmen fordern bestehende heraus, setzen etablierte Geschäftsmodelle, Produkte und Prozesse unter Druck, verdrängen diese mitunter vom Markt und sorgen so für einen fortwährenden Erneuerungsprozess, der im besten Fall auch die Produktivität erhöht.  

Unternehmen aus dem Lowtech-Bereich spielen eine wichtige Rolle

Wie die Studie zeigt, spielen insbesondere Unternehmen aus dem Lowtech-Bereich, also ohne große Forschungs- und Entwicklungsausgaben, dabei eine wichtige Rolle. Ein hoher Unternehmensumschlag löst hier die höchsten Produktivitätssteigerungen bei den etablierten Unternehmen aus. Und zwar nicht durch einen Verdrängungs- und Ersetzungswettbewerb um geistige Eigentumsrechte, durch hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben und Spitzentechnologien wie im Hightech-Bereich, sondern eher durch Adaption. Lowtech-Unternehmen adaptieren technologische Verbesserungen und Geschäftsmodelle, die sich bei den Wettbewerbern durchgesetzt haben, passen sich so an die ökonomischen Rahmenbedingungen an und konkurrieren auf einem breiteren Markt.  

Das zeigt, dass es politisch darauf ankommt, neben einer hohen Unternehmensdynamik und fairem Wettbewerb auch auf Wissensdiffusion und Technologietransfer zu setzen.

Die Studienautor:innen vom ZEW weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die Produktivitätseffekte der Informationstechnologien in den USA erst durch eine Diffusion in die breite Unternehmenslandschaft ab Mitte der 1990er Jahre erfolgt seien. Darüber hinaus sollten die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize für Gründungen in der Breite geschaffen werden und nicht nur im Hightech-Bereich. Das reicht vom Senken der Markteintrittsbarrieren durch Bürokratieabbau über eine stärkere Förderung von Lowtech-Unternehmen bis hin zu mehr Unterstützung bisher wenig gründungsfreudiger Bevölkerungsgruppen.