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#Mandaterechner - Wie groß wird der Bundestag?

Der #Mandaterechner der Bertelsmann Stiftung ermöglicht es, die Größe des Deutschen Bundestages nach der Bundestagswahl 2021 zu berechnen. Dabei zeigt sich: Das geltende Wahlrecht macht die Größe des Bundestages zu einem Vabanquespiel. Das Risiko liegt dabei nicht zwischen 650 und 750 Mandaten, sondern eher zwischen 600 und mehr als 1.000 Abgeordneten. Das zeigen exemplarisch die hier vorgestellten Szenarien, die beim derzeitigen Umfragetrend zu Bundestagsgrößen zwischen 598 und 963 Mandaten führen.

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Prof. Dr. Robert Vehrkamp
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Der #Mandaterechner der Bertelsmann Stiftung ermöglicht es, für einen gegebenen Umfragetrend und in Abhängigkeit vom Splittingverhalten der Wähler:innen die Größe des Deutschen Bundestages nach der Bundestagswahl 2021 zu berechnen. Er erweitert damit den Blickwinkel bisheriger Ansätze um die Variation des Splittingverhaltens der Erststimmen: Wie wirken sich, bei einem gegebenen Umfragetrend, unterschiedliche Annahmen über das Splittingverhalten der Wähler:innen auf die Größe des Deutschen Bundestages aus?

Dabei zeigt sich: Das geltende Wahlrecht macht die Größe des Bundestages nicht nur vom Zweitstimmenergebnis, sondern vergleichbar stark auch vom Splittingverhalten der Wähler:innen abhängig. Die Größe des Bundestages wird damit zu einem Vabanquespiel. Es gibt keine vermeintlich „sicheren“ Zweitstimmenergebnisse mit gerade noch akzeptablen Bundestagsgrößen, weil sich, je nach Splittingverhalten der Wähler:innen, für ein und denselben Zweitstimmentrend ganz unterschiedliche Bundestagsgrößen ergeben. Und die Risikomarge dafür liegt nicht zwischen 650 und 750 Mandaten, sondern eher zwischen 600 und mehr als 1.000 Abgeordneten.

Das zeigen exemplarisch die hier für den aktuellen Umfragetrend bei den Zweitstimmen vorgestellten Szenarien, die sich lediglich durch unterschiedliche Annahmen zum Splittingverhalten unterscheiden, aber zu Bundestagsgrößen zwischen 598 und 963 Mandaten führen:

Im Szenario 1 wird die Regelgröße des Bundestages von 598 Abgeordneten erreicht. Dazu musste allerdings ein exemplarisches Splittingverhalten unterstellt werden, das es so für alle Parteien außer der AfD noch nie gegeben hat. Nur wenn so wenige Unionswähler:innen ihre Partei mit beiden Stimmen wählen wie seit 1953 nicht mehr, gleichzeitig nur etwa halb so viele FDP-Wähler:innen zugunsten der Union splitten, wie bei der Bundestagswahl 2013, und fast 80 Prozent (statt 50 Prozent) der Grünen-Wähler:innen mit beiden Stimmen Grün wählen, würde beim derzeitigen Umfragetrend der Bundestag seine Regelgröße von 598 erreichen. Trotz der Direktmandatsgewinne von SPD (33) und Grünen (100) würden bei der CDU 16 Überhangmandate anfallen, die allerdings durch Listenmandate anderer CDU-Landesverbände kompensiert und deshalb zu keiner Vergrößerung des Bundestages führen würden. Aufgrund der sehr unplausiblen Splittingannahmen lautet das Gesamturteil für dieses Szenario allerdings: Ein Bundestag in der Regelgröße von 598 Mandaten wäre zwar wünschenswert, ist beim derzeitigen Umfragetrend aber extrem unwahrscheinlich.

Im Szenario 2 vergrößert sich der Bundestag auf 710 Mandate ähnlich stark wie nach der Bundestagswahl 2017. Das Minimalziel der Wahlrechtsreform, dass der Bundestag nicht noch größer wird, würde gerade noch erreicht. Dennoch erscheint auch das derzeit eher unwahrscheinlich, weil auch dafür ein sehr ungewöhnliches Splittingverhalten erforderlich wäre: Nur gut drei Viertel statt der üblichen etwa 90 Prozent der Unionswähler:innen dürften mit ihrer Erst- und Zweitstimme die Union wählen. Gleichzeitig dürften nicht mehr als 39 Prozent der FDP-Wähler:innen zugunsten der Union splitten (statt 63 Prozent bei der Bundestagswahl 2013), und fast drei Viertel (statt wie üblich etwa nur die Hälfte) aller Grünen-Wähler:innen müssten mit beiden Stimmen Grün wählen. Damit würden die gewonnenen Direktmandate von SPD (24) und Grünen (57) die Überhangmandate der CDU auf 33 und die notwendige Vergrößerung auf 710 Mandate begrenzen. Aufgrund der sehr ungewöhnlichen Splittingannahmen lautet das Gesamturteil jedoch auch für dieses Szenario: Ein Bundestag mit etwa 710 Abgeordneten erscheint derzeit zwar nicht unmöglich, ist aber eher unwahrscheinlich.

Im Szenario 3 bläht sich der Bundestag auf 857 Mandate auf, ohne dass dafür besonders auffällige oder unplausible Splittingannahmen getroffen werden müssten: Die Unionswähler:innen würden sich in etwa wie bei der letzten Bundestagswahl verhalten und zu 85 Prozent mit beiden Stimmen ihre Partei wählen. Gleichzeitig würde fast die Hälfte (46 Prozent) aller FDP-Wähler:innen mit der Erststimme die Union wählen, noch immer deutlich weniger als 2005 (60 Prozent) und 2013 (63 Prozent). Zusätzlich würden prozentual ähnlich viele Wähler:innen der Grünen wie 2017 (15 statt 14 Prozent) mit ihrer Erststimme die Union wählen. Insgesamt würde das zu 69 Überhangmandaten für die CDU führen, deren Ausgleich den Bundestag dann auf 857 Mandate aufbläht. Das Gesamturteil für dieses Szenario lautet deshalb: Ein Bundestag mit etwa 857 Mandaten wäre nach den selbstgesetzten Maßstäben der Wahlrechtsreform zwar inakzeptabel, ist aber beim derzeitigen Umfragetrend nicht unwahrscheinlich.

Im Szenario 4 explodiert der Bundestag auf 963 Mandate, erreicht also fast sogar die Schwelle eines „Bundestages der Tausend“. Dennoch bleiben die dafür notwendigen Splittingannahmen im Rahmen des plausibel Vorstellbaren: Die Unionswähler:innen würden in historisch gewohnter Manier zu 92 Prozent mit beiden Stimmen für ihre Partei stimmen. Gleichzeitig würden die FDP-Wähler:innen ähnlich wie 2005 und 2013 zu 63 Prozent zugunsten der Union splitten. Und von den Grünen-Wähler:innen würden das 21 Prozent tun, dabei vor allem die Neuwähler:innen der Grünen aus dem Unionslager. Bereits 2017 haben das 14 Prozent der alten Grünen-Wähler:innen gemacht, und zuzüglich vieler Neuwähler:innen aus dem Unionslager, die aber vorerst ihre Erststimme bei der Union lassen, ist eine Quote von 21 Prozent schon erreicht. Zusammengenommen führen diese Splittingannahmen dann zu insgesamt 93 Überhangmandaten allein der CDU, deren Ausgleich den Bundestag auf knapp unter 1.000 Mandaten explodieren lässt. Aufgrund der leider nicht von vornherein unplausiblen Splittingannahmen lautet das Gesamturteil zu diesem Extremszenario: Ein Bundestag mit fast 1.000 Abgeordneten wäre für seine Reputation und Arbeitsfähigkeit zwar extrem schädlich, ist aber derzeit nicht auszuschließen.

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