Länderbericht Sachsen-Anhalt

Fazit

Aus einer wirtschaftlichen Perspektive bewegt sich Sachsen-Anhalt weiter am unteren Ende im innerdeutschen Ländervergleich. Es ist davon auszugehen, dass im Unterschied zu wirtschaftsstärkeren Ländern die Ressourcen, die für die berufliche Bildung zur Verfügung stehen, vergleichsweise knapper ausfallen, auch wenn dies zunächst nicht an den Ausgaben pro Schüler an beruflichen Schulen zu erkennen ist, die demografisch bedingt über dem Bundesdurchschnitt liegen. Vor dem Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, erkennbar an weiteren Merkmalen wie einer ungünstigeren Betriebsdichte je Einwohner im Vergleich zu den beiden angrenzenden ostdeutschen Ländern Thüringen und Sachsen, den weit unterdurchschnittlich liegenden Forschungs- und Entwicklungsausgaben pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die weniger als die Hälfte der Ausgaben der zuvor genannten ostdeutschen Nachbarländer ausmachen, zeichnen sich alles andere als einfache Rahmenbedingungen für die Berufsbildungspolitik ab.

Die Angebots-Nachfrage-Relation von 95 % ist zwar im bundesweiten Vergleich noch relativ günstig, jedoch hat sie sich zwischen 2007 und 2016 mit nur ca. 6 Prozentpunkten verbessert, dies ist deutlich weniger, als man angesichts einer fast Halbierung der Nachfrage im gleichen Zeitraum hätte erwarten können. Zudem hat die Berufsbildungspolitik in Sachsen-Anhalt mit regionalen Ungleichgewichten und vor allem Schwankungen im Angebot innerhalb kurzer Zeiträume zu kämpfen. Aufgrund der demografischen Entwicklung bei einem nahezu ausgeglichenen Verhältnis von jüngeren und mittleren Kohorten ist zunächst nicht mit einer (weiteren) Entlastung des Ausbildungsstellenmarktes zu rechnen. Angesichts des Rückzugs von Ausbildungsbetrieben, der sich vornehmlich an der Abnahme der Ausbildungsbetriebsquote von Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben zwischen 1999 und 2015 bemerkbar macht, bleibt zu befürchten, dass Ausbildungsinfrastruktur und Ausbildungsangebote verloren gehen und sich die Engpässe am Ausbildungsmarkt in den nächsten Jahren noch verstärken können. Ob der leichte Zuwachs in der Ausbildungsbetriebsquote bei den mittleren Unternehmen mit zwischen 50 bis 249 Beschäftigten in der Zeit von 1999 bis 2015 in Sachsen-Anhalt den Rückbau an Ausbildungsinfrastruktur bei den Kleinst- und Kleinbetrieben kompensieren kann, muss vorerst offenbleiben (Bass, Baethge 2017: 28). Insofern bleibt die Sicherstellung des Fachkräftebedarfs auf der mittleren Qualifikationsebene über die Bereitstellung entsprechender Ausbildungsangebote ein zentrales Thema für die Berufsausbildungspolitik im Land.

Ein zweiter Punkt fällt bei der Betrachtung der Ausbildungssituation in Sachsen-Anhalt auf, der die Leistungs- und Chancengerechtigkeitsseite gleichermaßen trifft. Die Einmündungen in das Schulberufssystem betreffen vor allem den Bereich Gesundheit, Soziales und Erziehung. Ein Problem ist dabei die Etablierung einer beruflichen Monostruktur im Schulberufssystem, die überwiegend Frauen anspricht, während sich Männer für diesen Bereich deutlich weniger interessieren und damit im Schulberufssystem auch keine Ausbildungsalternativen sehen. Entsprechend höher fällt ihr Anteil im Übergangssektor aus. Ein weiteres Problem betrifft in diesem Zusammenhang den im Bundesländervergleich höheren Anteil an Personen mit Hauptschulabschluss im Schulberufssystem, der mit knapp 18 % den dritthöchsten Wert darstellt: Was sich zunächst für Personen mit maximal Hauptschulabschluss, insbesondere Frauen (ca. 30 % der Frauen mit maximal Hauptschulabschluss münden in das Schulberufssystem), als Chance auf Ausbildung offenbart, nämlich in einen der Helferberufe des Gesundheits- und Erziehungsbereichs oder in die Sozial- und Kinderpflege einzumünden, kann am Arbeitsmarkt zum Nachteil gereichen, denn die Berufstätigen in Helferberufe, z. B. gut belegt für die Altenpflegehelfer (vgl. Fuchs 2016), sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen mit qualifizierten Berufsabschlüssen. Hier ist die Berufsbildungspolitik des Landes gefragt und herausgefordert, bei ein- und zweijährigen Ausbildungsberufen auch Anschlüsse an qualifiziertere mittlere Berufsabschlüsse zu schaffen, sei es über gestufte Modelle oder auch aufbauende Fort- und Weiterbildungsangebote mit anerkanntem Berufsabschluss, damit diese (niedrigschwelligeren) Ausbildungschancen keine beruflichen Sackgassen werden.

Unter der Perspektive der Chancengerechtigkeit zeichnen sich – trotz der im Vergleich zum Bundesdurchschnitt günstigeren Situation in Sachsen-Anhalt – beträchtliche Hürden für Personen mit maximal Hauptschulabschluss beim Übergang in eine vollqualifizierende Ausbildung ab, besonders schlecht stehen die Chancen dabei für Personen ohne Hauptschulabschluss, deren Anteil in Sachsen-Anhalt im bundesdeutschen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist. Übergangshürden verstärken sich zudem bei der Gruppe ausländischer Neuzugänge, die vor allem seit 2013 einen Anstieg im Übergangssektor verzeichnet. Dies stellt ein strukturschwaches Bundesland wie Sachsen-Anhalt mit eher wenig Ausbildungsangeboten für (männliche) Jugendliche mit niedriger schulischer Vorbildung und bislang wenig Erfahrung in der Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration von zugewanderten Personen vor neue Herausforderungen.

Bereits jetzt deuten sich Schwierigkeiten einer sozialen Exklusion an, die man an den geringen Chancen in der Einmündung in vollqualifizierende Ausbildung ausländischer Neuzugänge und noch deutlicher an der schlechteren Arbeitsmarktintegration ausländischer Ausbildungsabsolventen festmachen kann. Wie weit die berufsschulischen Angebote des Landes, die aktuell das Hauptgewicht bei der Ausbildungsvorbereitung Schutz- und Asylsuchender tragen, den damit einhergehenden Folgen für die soziale Kohäsion im Bundesland und den absehbaren Konsequenzen der langfristigen Sicherung des Fachkräftenachwuchses entgegenwirken kann, muss zu diesem Zeitpunkt noch offenbleiben. Abzuwarten bleibt zudem, inwieweit das Land es schafft, die berufsschulischen Angebote weiter für die Neuankömmlinge zu öffnen, da bislang nur ein sehr geringer Teil der Gruppe Schutz- und Asylsuchender die berufsvorbereitenden Angebote erreicht hat.

 

Autoren: Prof. Dr. Martin Baethge, Dr. Maria Richter (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, SOFI); Prof. Dr. Susan Seeber, Dr. Meike Baas, Dr. Christian Michaelis, Robin Busse (Universität Göttingen).