Wie können Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland künftig aussehen? Eine Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung hat sich rund zwei Jahre mit diesen Fragen beschäftigt und versucht, Antworten zu geben.
Ein Blick in die Zukunft
Flexibel, vernetzt, vielfältig: So sieht eine Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung die Arbeitswelt der näheren Zukunft. Ob die sich abzeichnenden Trends eine Chance für innovative, inspirierende Arbeits- und Lebensformen bieten oder das Risiko sozialer Spaltung und einer überforderten Gesellschaft in sich bergen, hängt von den Weichenstellungen ab, die heute gesetzt werden. Welche das sein könnten, hat die Expertenkommission in drei Pfaden der Veränderung beschrieben.
Flexibilität ist das Schlüsselwort. Sie sollte gefördert werden: Durch neue Arbeitsmodelle wie Teilzeit und Jobsharing, durch leichtere Integration von Berufsrückkehrern, durch Fortbildungen während der Babypause et cetera sowie durch eine Umstellung des Rentensystems, das in seiner gegenwärtigen Form mit Brüchen in der Erwerbsbiographie kaum zurechtkommt. Da eine zeitlich und örtlich hochflexible Berufstätigkeit sich nur schwer mit den stabileren Bereichen des Lebens wie Familie, Kindererziehung, Freundeskreis vereinbaren lässt, werden zwei Lösungsansätze denkbar: Einerseits eine Professionalisierung dieser Tätigkeiten (etwa den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten), andererseits eine gesellschaftliche Anerkennung von solchen Tätigkeiten unabhängig davon, ob sie in Erwerbsarbeit geschehen oder nicht. Denkbar ist auch die Einführung eines Lebensarbeitszeitkontos, das auch gesellschaftliches Engagement berücksichtigt: Wir benötigen eine auf einzelne Lebensphasen orientierte Betrachtung, die jede Form von Arbeit und Engagement mit einbezieht – unabhängig von der individuellen Erwerbsperspektive.
Die gegenwärtigen Sozialversicherungssysteme reichen nicht aus, um auch in Zukunft allen Bürgern ein Leben in Würde zu ermöglichen. Der Generationenvertrag funktioniert nicht, wenn es genauso viele Rentner wie Erwerbstätige gibt; ein Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen führt zu Ungerechtigkeiten; die Arbeitslosenversicherung ist auf die zunehmend fraktionierten Erwerbsbiografien nicht eingestellt. Kleine Korrekturen und Reformen werden nicht ausreichen – es braucht grundsätzlich „neue Formen der Daseinsvorsorge“. Dazu bedarf es einer gestärkten Eigenverantwortung der Zivilgesellschaft, im Sinn individueller Vorsorge, aber auch im Sinn von genossenschaftlicher Solidarität. Selbstorganisierte Unterstützungsnetzwerke, wie zum Beispiel Seniorengenossenschaften, können beispielsweise durch nicht-monetäre, kreative Lösungen einen Teil der zu erwartenden Versorgungslücke im Alter auffangen.
Der Arbeitsmarkt der Zukunft ist geprägt durch einen immer schnelleren Wechsel von Tätigkeitsfeldern. Berufsbilder verschwinden und entstehen schneller, als Ausbildung die Menschen dafür qualifizieren kann. Die Konsequenz daraus ist: Menschen müssen viel stärker befähigt werden, Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen eigenständig zu erwerben, es zu reflektieren und auch anzuwenden.Diese Befähigung zum eigenständigen Wissens- und Fähigkeitserwerb sollte ein Grundziel schulischer und späterer Bildung sein; Theorie und Praxis sollten sich im Unterricht stärker miteinander verbinden. Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortung, unternehmerisches Denken und Innovationskraft sollten durch die Bildungseinrichtungen gefördert werden.
Von November 2012 bis Februar 2015 beschäftigte sich die Expertenkommission mit dem Thema "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland". Die Kommission bestand aus 20 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Sozialwesen. Ihre Arbeit wurde inhaltlich und methodisch durch Z_punkt The Foresight Company, ein Beratungsunternehmen für strategische Zukunftsfragen, begleitet. Die Mitgliederliste der Expertenkommission finden Sie hier.
Auch wenn sie sich in vielen Gedanken einig waren, hatte doch jedes Kommissionsmitglied seine eigenen Standpunkte. Einige werden werden im Folgenden vorgestellt.
"Es wird sehr wichtig sein, die Arbeitsautonomie, die Arbeitsintensität und eine nachhaltige Balance von Arbeits- und Lebenswelt, die sich immer mehr 'verflüssigen', für die Beschäftigten positiv zu gestalten."
"Der autoritäre Führungsstil hat in der modernen geschlechterdemokratischen Welt der Arbeit, der Familie, der Freizeit und der Kultur nichts mehr zu suchen."
Fazit
Wenn Politik und Gesellschaft die geschilderten Herausforderungen sinnvoll angehen, dann kann in zehn Jahren eine lebenswerte Gesellschaft entstehen. Das ist die Überzeugung der Expertenkommission.
Die ausführlichen Ergebnisse der Kommissionarbeit finden Sie zusammengefasst in einer Publikation in der rechten Spalte.