Text von Hilja Müller für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 2/2015 (gekürzte Fassung).
Aufbruch in ein neues Leben
Seeleute, Haushaltshilfen, Hotelpersonal, Bauarbeiter … Rund zehn Prozent der Filipinos leben im Ausland und schicken ihr Geld nach Hause zu ihren Familien. Eine Entwicklung, die vielen hilft: den Arbeitskräften, ihrem Gastland und den Philippinen – die aber auch großes Unglück bringen kann.
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Demi Salvacion strahlt, als hätte er einen Sechser im Lotto gewonnen. Adrett schaut er aus, das dunkle Haar ist sauber gescheitelt, die dezent blaue Strickjacke passt zum Oberhemd. Es scheint, als versuche der Filipino, sein Aussehen dem künftigen Gastland anzupassen. Denn Mitte Mai soll der 27-Jährige nach Deutschland ziehen, um dort als Krankenpfleger zu arbeiten. "Ich bin total happy, dass ich diese Chance bekomme", freut er sich. Finanziell ist der Job in Deutschland tatsächlich so etwas wie ein Hauptgewinn, wird er künftig doch das Zehnfache von dem verdienen, was er bisher im Schichtdienst auf der Intensivstation einer philippinischen Klinik erhalten hat.
Triple Win Project
Nicht umsonst heißt das Programm, bei dem Demi Salvacion zu den Ausgewählten gehört, "Triple Win Project". Vor zwei Jahren vereinbarten Deutschland und die Philippinen, dass insgesamt 500 Krankenpfleger aus dem südostasiatischen Inselstaat an deutsche Kliniken vermittelt werden sollen. "Damit ist sowohl Deutschland gedient, wo es nicht ausreichend Krankenschwestern und Pfleger gibt, als auch den Philippinen, die in diesem Bereich ein Überangebot haben. Und natürlich gewinnt jeder einzelne Teilnehmer unseres Programms, weil er einen festen Arbeitsplatz mit einem guten Gehalt bekommt", erklärt Björn Gruber, der bei der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Eschborn verantwortlich für das Projekt ist.
"Der Andrang war riesig", erinnert er sich, "mehr als 5.000 Filipinos haben sich beworben." Arbeitserfahrung und Fachwissen (und deutsche Sprachkenntnisse) entschieden darüber, wer den Zuschlag erhielt. Von den bisher 40 über das Projekt in Deutschland arbeitenden Filipinos haben einige bereits ihre volle Anerkennung durch deutsche Behörden erhalten. Sie können fest in Deutschland bleiben und sogar ihre Familie nachholen – ein großer Unterschied zur üblichen internationalen Praxis, bei der philippinische Gastarbeiter nach Belieben geholt und wieder heimgeschickt werden.
Kein Wunder also, dass Demi Salvacion sich als Gewinner sieht. Mehrere Monate lang hat er beim Goethe-Institut in Manila Deutsch gebüffelt, um das verlangte Sprachzeugnis zu erhalten. "Eine schwere Sprache ist es, aber auch eine spannende", urteilt der junge Mann, "mir macht es Spaß, sie zu lernen." In der kleinen Bibliothek des Institutes blättert er gerne in deutschen Reiseführern, oder er schaut sich Filme an. "Ich muss doch wissen, wo ich hinkomme", lacht er.
Die Kursgebühr übernimmt sein künftiger Arbeitgeber, eine Privatklinik in Bad Salzhausen. Auch die Flugkosten, die Betreuung durch die GIZ, Visagebühren und ein Eingliederungsseminar zahlt das Krankenhaus. "Insgesamt summiert sich das auf 3.700 Euro", weiß Jörg Gruber. Kein Pappenstiel, doch für die deutschen Kliniken offenbar ein Ausweg aus der Personalknappheit. "Und Filipinos haben unbezahlbare Vorteile", betont Nimfa de Guzman, die bei der Auswanderungsbehörde POEA (Philippine Overseas Employment Administration) für das Triple-Win-Projekt zuständig ist: "Sie sind herzlich, freundlich und geduldig."
Geschätzte Arbeitskräfte
Eigenschaften, die auch in anderen Ländern hoch im Kurs stehen und für die die Bewohner der Philippinen seit Jahrzehnten bekannt und begehrt sind. Da Englisch neben Tagalog die Hauptsprache der Filipinos ist, sind sie global einsetzbar. Ob als Haushaltshilfe oder Hotelkraft, als Bauarbeiter oder Seemann – mehr als zehn Millionen Filipinos arbeiten offiziell im Ausland, zusammen mit ungezählten illegalen Gastarbeitern sind es mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Damit gehört der Inselstaat weltweit zu den Spitzenreitern. Von Arbeitsbedingungen, wie Demi Salvacion sie erwarten kann, können die meisten Gastarbeiter nur träumen. Der Großteil der OFW (Overseas Filipinos Workers), wie sie zu Hause offiziell genannt werden, arbeitet unter miesen Bedingungen und für lausige Bezahlung. Besonders harsche Fälle werden immer wieder aus dem Nahen Osten bekannt, wie jüngst die in Verruf gekommenen Baustellen zur Fußball-WM in Katar.
Viele OFW werden für sogenannte "3D-Jobs" angeheuert: dirty, difficult and dangerous. Zu Deutsch: dreckig, schwer und gefährlich. Aber viele Filipinos haben keine Wahl, der Drang ins Ausland entspringt keiner Abenteuerlust, sondern ist aus der Not geboren. Auch wenn die Philippinen seit Jahren gute Wirtschaftszahlen vorlegen, bleiben die Geburten- und die Armutsrate hoch. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Arm sein bedeutet in dem oft von Taifunen und Vulkanausbrüchen gebeutelten Land, mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auszukommen.
Licht und Schatten
Familien, die Verwandte mit einem Job im Ausland haben, können sich daher glücklich schätzen. Denn Filipinos, die in der Ferne schuften, sparen meist jeden Cent, um das Geld nach Hause zu schicken. Die Summen, die OFW nach Hause transferieren, sind unglaublich: Knapp 27 Milliarden US-Dollar waren es laut der philippinischen Zentralbank im Jahr 2014, ein Anstieg von 6,2 Prozent zu 2013. Im Idealfall wird das Geld für die Ausbildung der Kinder oder den Ausbau des Hauses ausgegeben, allzu oft versickert es indes in kurzlebigen Anschaffungen wie Handys oder Fernsehern. Selten wird Geld fürs Alter gespart.
Die Regierung in Manila unterstützt seit den Zeiten von Diktator Ferdinand Marcos den Exodus Arbeit suchender Filipinos, kurbelt das Geld doch die Konsumfreude zu Hause und somit die Wirtschaft an. Die Schattenseite dieser Entwicklung ist unübersehbar: Kinder leiden unter der jahrelangen Abwesenheit des Vaters, der Mutter oder gar beider Elternteile. Oft gehen auch die ältesten Geschwister ins Ausland, um für die jüngeren daheim zu sorgen. Es ist ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist.
Das gelobte Land?
Und wie wird es für Demi Salvacion weitergehen? Ist für ihn Deutschland das gelobte Land? Demi Salvacion glaubt fest daran. Er kann vor Freude kaum ruhig sitzen, wenn er an seine Zukunft in Deutschland denkt. "Ich habe mir alles im Internet angeschaut, es sieht toll aus", schwärmt er. Sogar Reisepläne habe er schon gemacht, die Mauer in Berlin gehört ebenso dazu wie die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt. Besonders freut er sich auf München: "Ich will die Surfer im Eisbach sehen und unbedingt in die Allianz-Arena gehen", sagt er mit glänzenden Augen, "denn ich bin ein großer Fußballfan." Eine gute Voraussetzung, um ein Leben in Deutschland zu beginnen.