Kulturraum Europa – zwischen Einheit und Vielfalt. Strategien und Optionen für die Zukunft Europas

Kulturraum Europa – zwischen Einheit und Vielfalt. Strategien und Optionen für die Zukunft Europas

Zielvorgabe des Projektes war es, für anstehende Probleme in den unterschiedlichen Politikbereichen rationale Lösungsvorschläge mit Blick auf die langfristigen Perspektiven zu entwerfen und eine richtungweisende Aussage zur Europäischen Integration zu erarbeiten.

Description

Neue Herausforderungen im europäischen wie im globalen Rahmen verlangen von den Europäern engere Kooperation, effizientere Politik und schnellere Evolution der gesellschaftlichen Strukturen. Das Kernproblem der Europapolitik liegt in der Steigerung europäischer Entscheidungskapazität, die nur durch Fortschritte der Europäischen Integration zu erreichen sein wird. Dabei gilt es, sowohl das aus der europäischen Tradition erwachsene freiheitliche Gesellschaftsbild zu wahren als auch die Identität der unterschiedlichen nationalen und regionalen Kulturen zu respektieren. In diesem Grundverständnis hat die Bertelsmann Stiftung das Projekt "Strategien und Optionen für die Zukunft Europas" initiiert. Die 1987 gegründete Forschungsgruppe Europa hat die wissenschaftlichen Aufgaben in Entwicklung, Durchführung und Vermittlung des Projektanliegens übernommen.

Zielvorgabe des Projektes ist es, für anstehende Probleme in den unterschiedlichen Politikbereichen rationale Lösungsvorschläge mit Blick auf die langfristigen Perspektiven zu entwerfen und eine richtungweisende Aussage zur Europäischen Integration zu erarbeiten. Das Hauptanliegen ist, nach dem politisch Notwendigen zu fragen und sich nicht am politisch machbar Erscheinenden zu orientieren. Der Nachweis solcher Lösungsmöglichkeiten soll den Prozess der Europäischen Integration ermutigen und zum anderen die Notwendigkeit der Formulierung einer europäischen Gesamtstrategie aufzeigen. Das Projekt ist somit strikt problemorientiert konzipiert und versteht sich auch als Beitrag zur Politikberatung.

Im Unterschied zu anderen integrationswissenschaftlichen Forschungsansätzen stehen weder die Fortschreibung von Integrationstheorien noch die zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Europäischen Integration im Vordergrund. Auch spezifische Raumbilder oder Institutionen spielen eine sekundäre Rolle, wenngleich aus sachlichen Gründen ein erstes Schwergewicht auf der Europäischen Integration als dem Bereich liegt, in dem die Verflechtungs- und Entscheidungsstrukturen am dichtesten ausgeprägt sind.

Die Leitfragen des Projektes.

 

  • Wo liegen die Probleme, die Stärken und Schwächen der aktuellen Struktur Europas?
  • Wie lauten die zentralen Herausforderungen an die Zukunft Europas? - Welche Probleme werden das Europa von morgen bestimmen?
  • Wie lautet das Ergebnis der Reformbilanz?
  • Was erwarten die Bürger Europas?
  • Wie denken die Europäer die Zukunft des Kontinents; zu welchen Leistungen und Opfern sind sie bereit?
  • Wie denken die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten?
  • Wie ist der Befund zur Identität Europas?
  • Wie tragfähig ist der europapolitische Konsens?

Das Projekt "Strategien und Optionen für die Zukunft Europas" ist in vier Phasen gegliedert, die jeweils durch eine spezifische Fragestellung gekennzeichnet sind:

 

  1. Inventarisierung und Analyse der zu bewältigenden Problemstellungen auf europäischer Ebene
  2. Identifizierung und Formulierung des politischen Handlungsbedarfs
  3. Selektion von Handlungsoptionen und Verknüpfung verschiedener Problemlösungsoptionen zu komplexeren Strategien
  4. Behandlung von Akzeptanz- und Umsetzungsfragen im Dialog mit politischen Entscheidungsträgern, Experten und der öffentlichkeit.

Charakteristisch für die Projektanlage ist mithin die Verknüpfung von substantieller wissenschaftlicher Forschung, dem Angebot von Strategien einer europäischen Politik und der Sensibilisierung der öffentlichkeit für die Zukunftsfragen Europas.

Von wesentlicher Bedeutung für die Qualität des Projektes ist eine international und interdisziplinär besetzte Studiengruppe, die sich aus 19 Mitgliedern aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft zusammensetzt. Die Hauptaufgabe dieses Beirates besteht in der kritischen Begleitung aller Stationen des Projektes. Seine regelmäßigen Sitzungen stellen die Knotenpunkte eines Netzwerkes aus Kritik, Information, Anregungen und Hilfestellungen dar, ohne das ein derart breit angelegtes Projekt in der hochspezialisierten Forschungslandschaft nicht mehr gedeihen kann.

Mitglieder des Beirates:

Professor Dr. Kurt H. Biedenkopf MdB, Professor Dr. Dieter Biehl

Professor Dr. Reinhold Biskup

Professor Dr. Karl Dietrich Bracher

Dr. Etienne Vicomte Davignon

Professor Luigi Vittorio Graf Ferraris

Professor Dr. Curt Gasteyger

Professor Dr. Hermann Lübbe

Professor Dr. Werner Maihofer

Professor Dr. Roger Morgan

Dr. Karl-Heinz Narjes

Jordi Pujol

Professor Dr. Joseph Rovan

Dr. Walther Stützte

Horst M. Teltschik

Dr. Hans-Dieter Weger

Professor Dr. Werner Weidenfeld (Vorsitzender)

Dr. Ulrich Weinstock Dr. Wolfgang Wessels

Im März 1988 wurde das Projekt in der Redoute Bonn-Bad Godesberg einem hochrangigen Publikum vorgestellt. Als Hauptredner unterstrichen Valentin M. Falin und Henry A. Kissinger Anspruch und internationale Bedeutung des Vorhabens. Eine Expertenkonferenz zur Fortentwicklung des Europäischen Währungssystems, bei der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Dr. Alfred Herrhausen die einführenden Referate hielten, fand im Mai 1989 in Gütersloh statt. Im Zentrum standen der Abschlussbericht des Delors-Ausschusses über die Etappen zur Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie das Gutachten über die Ausgestaltung einer Europäischen Zentralbank von Professor Dr. Rolf H. Hasse. Für den Oktober 1990 wird eine große Konferenz zum Thema "Die Zukunft Europas - Kultur und Verfassung des Kontinents" vorbereitet. Ein internationaler Teilnehmerkreis ist nach Rom eingeladen. Im Mittelpunkt des Gedankenaustausches wird ein Memorandum zur künftigen politischen und kulturellen Verfassung Europas stehen. Seit der Entwicklung der Projektkonzeption hat sich die politische Lage Europas entscheidend gewandelt.

In den letzten Monaten haben diese Veränderungen in Ost- und Mitteleuropa revolutionären Charakter angenommen und werden tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft des Kontinents haben. Diese Herausforderung wird durch die Fortführung des Projektes angenommen werden. Dazu sollen die Fragestellungen aus dem ersten Vorhaben, mit Blick auf die Folgefragen der 90er Jahre, fortgeschrieben und systematisch um die gesamteuropäische Perspektive ergänzt werden. Zentrale Problemkreise werden u.a. sein: die neuen Rahmenbedingungen Gesamteuropas; Modernisierung und Innovation in Europa; politischer Wandel und die Zukunft der Integration; die Rolle der Sicherheitsstrukturen; die Identität der Europäer.

Im September 1990 endete die erste Phase des Projektes. Zwei Konferenzen, mehrere Expertenrunden und Kolloquien sowie zahlreiche Publikationen dienten. In der Bilanz dieses Projektabschnittes konnte festgestellt werden: Es ist gelungen,

 

  • die europapolitische Fachdebatte über die neuen europäischen Gestaltungsaufgaben zu intensivieren,
  • die Debatte um konstruktive Lösungen mit neuen Impulsen zu bereichern,
  • einen effektiven Beitrag zu politischen Entscheidungen zu leisten und
  • eine breitere politische öffentlichkeit über „Strategien und Optionen für die Zukunft Europas" zu informieren.

Einen vorläufigen Höhepunkt bildete die von der Stiftung organisierte Konferenz „Die Zukunft Europas - Kultur und Verfassung des Kontinents" im Oktober 1990 in Rom. Die Arbeitsgruppe „Europäische Verfassung" hatte als Diskussionsgrundlage einen Entwurf für die Weiterentwicklung Europas formuliert, der die grundlegenden normativen, funktionalen und materiellen Kriterien einer Verfassung enthielt. „Für die übernahme neuer Aufgaben ist die Europäische Gemeinschaft nicht gerüstet. Die Politische Union muss handlungsfähige und effiziente Institutionen aufweisen und nach den Prinzipien des Parlamentarismus und der Subsidiarität konstruiert werden. Das Scheitern zentralistischer Herrschaft in Osteuropa unterstreicht die Bedeutung des Föderalismus als den Kitt der Politischen Union." Mit diesen Worten skizzierte die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Professor Dr. Rita Süssmuth, den Problemkreis der Tagung, die unter der Schirmherrschaft des italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga und des Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäcker stand. Mehr als 150 Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien nutzten unter der Gesprächsleitung von Professor Dr. Werner Weidenfeld die Gelegenheit, unmittelbar vor Beginn der europäischen Gipfelkonferenzen über die künftige Gestalt der Europäischen Gemeinschaft zu diskutieren. Mit Senatspräsident Giovanni Spadolini, Ministerpräsident Giulio Andreotti und Außenminister Gianni De Michelis waren die Spitzen der italienischen Politik als Referenten vertreten.

Das zweite große Thema der Tagung war die Zukunft der Europäischen Kultur als der ungeschriebenen Verfassung Europas. Die Konferenzteilnehmer befassten sich mit dem Zusammenhang von politisch-sozialem Wandel und kultureller Identitätswahrung, mit dem Entstehen eines „kulturellen Binnenmarktes" und mit den praktischen Erfordernissen einer europäischen Kulturpolitik. Auch zu dieser Fragestellung hatte die Stiftung eine von den Professoren Hermann Lübbe, Werner Maihofer und Joseph Rovan erstellte Diskussionsgrundlage vorgelegt.

Seit der Entwicklung der Projektkonzeption hat sich die politische Lage Europas entscheidend gewandelt. Die Veränderungen in Ost- und Mitteleuropa haben revolutionären Charakter angenommen und werden tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft des Kontinents haben. Die Vollendung des Binnenmarktes bis zum Jahr 1993 wird Westeuropa darüber hinaus einen erhöhten Modernisierungsschub bringen. Der Bedarf an problem- und entscheidungsorientierter Forschung wird in demselben Maße wachsen, wie die Ansprüche an die politische Handlungsfähigkeit und die über Europa hinausreichende Verantwortlichkeit europäischer Politik zunehmen.

Diese Herausforderungen sind im Oktober 1990 durch die Fortführung des Projektes angenommen worden. Als Konsequenz der bisherigen Untersuchungsergebnisse wie als Antwort auf die Erfordernisse der sich anbahnenden Entwicklungen wurden fünf Schlüsselfragen für die zukünftige Projektarbeit formuliert:

 

  • Welche Konsequenzen wird die Vollendung des Binnenmarktes haben? - Welches ist die politische Entwicklungsperspektive der Europäischen Gemeinschaft?
  • Welche Rolle wird Europa in der Weltpolitik spielen?
  • Wie werden sich die Europäer zu der notwendigen Neugestaltung ihres Kontinents verhalten?
  • Welche kulturelle Dimension hat die Europäische Einigung?

Damit werden die Fragestellungen aus dem ersten Projektabschnitt fortgeschrieben und systematisch um die gesamteuropäische wie die globale Perspektive der 90er Jahre ergänzt. Die Ablaufstruktur soll flexibel sein und drei Untersuchungsblöcke enthalten, deren Fragestellungen und Ergebnisse ineinandergreifen:

 

  1. Die Folgefragen des Binnenmarktes und die politische Integration Westeuropas - hier sind die weiteren Untersuchungen aus dem ersten Projektabschnitt angesiedelt.
  2. Probleme und Perspektiven der Politik in Ost- und Mitteleuropa - Problemstand und Handlungsbedarf für diese Staaten werden entsprechend dem methodischen Verfahren des ersten Projektabschnittes aufgearbeitet.
  3. Strategien und Optionen für Gesamteuropa - Parallel zu 1 und 2 wird der gesamteuropäische Kontext der Fragestellungen und Ergebnisse aufgegriffen werden.

 

     

Ziel ist die Verknüpfung der entwickelten Strategien und Optionen zum Entwurf einer neuen Ordnung Europas. Ebenfalls im Zusammenhang mit der neuen Projektphase steht die Arbeitsgruppe „Europas Rolle in der Welt", die im Juni 1990 in Gütersloh zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammenkam. Ihre Aufgabe ist es, strategische Schlussfolgerungen für eine europäische Rolle in der Weltpolitik zu formulieren. Der Arbeitsgruppe gehören Experten aus West- und Osteuropa, der Sowjetunion, den USA und Israel an.

     

Noch im Frühsommer 1991 wird ein weiteres Gremium dieser Art, die Arbeitsgruppe „Osteuropa", seine Tätigkeit aufnehmen, um sich speziell den Konsequenzen aus der demokratischen und marktwirtschaftlichen Umstrukturierung zu widmen. Im Vordergrund stehen die Analyse der zentralen politischen und ökonomischen Probleme in Osteuropa und der Sowjetunion sowie die Diskussion westeuropäischer Strategien. Anerkannte Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur aus Ost und West sollen hier zusammenfinden.

     

Im Juli 1991 konstituierte sich in Gütersloh die Arbeitsgruppe "Mittel- und Osteuropa". Ihre Aufgabe ist es, sich speziell den Konsequenzen der demokratischen und marktwirtschaftlichen Umstrukturierung zu widmen. Im Vordergrund steht dabei die Analyse der zentralen politischen und ökonomischen Probleme in Mittel- und Osteuropa sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die Diskussion westeuropäischer Strategien. Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter aus Ost und West haben sich hier zu einem Dialog zusammengefunden. Bei einem zweiten Treffen in Prag im Dezember 1991 konnten bereits wesentliche Arbeitsergebnisse festgehalten und eine erste Publikation konzipiert werden, die im Sommer 1992 erscheinen soll. Besondere Bedeutung erhielt die zweite Sitzung dadurch, dass ein intensiver Meinungsaustausch mit tschechoslowakischen Spitzenpolitikern möglich war, unter anderem mit Staatspräsident Vaclav Havel, Außenminister Jfri Dienstbier und dem tschechischen Wirtschaftsminister Vladimir Dlouhy.

     

Das zentrale Ereignis im Rahmen des Projektes "Strategien und Optionen für die Zukunft Europas" war die Konferenz "Herausforderung Mittelmeer - die europäische Antwort", die auf Einladung und in Zusammenwirken mit dem katalanischen Ministerpräsidenten Dr. Jordi Pujol i Soley am 7. Oktober 1991 in Barcelona stattfand. Etwa 120 geladene Teilnehmer aus fast allen europäischen und außereuropäischen Anrainerstaaten des Mittelmeeres, dem übrigen Europa, Rußland und den USA nahmen an der Veranstaltung teil. Als Redner konnten unter anderem gewonnen werden: der italienische Außenminister Gianni De Michelis, der Staatssekretär im niederländischen Außenministerium, Pieter Dankert, der ehemalige Außenminister der Türkei, Vahit Halefoglu, Prinz Mohamed Bin Talal von Jordanien und der Theologe Professor Hans Küng. Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker und Seine Majestät, Juan Carlos I., König von Spanien, haben durch die übernahme der Schirmherrschaft die Bedeutung der Konferenz unterstrichen.

     

Die drei Plenarsitzungen befassten sich mit dem Nachbarschaftsverhältnis zwischen Europa und den außereuropäischen Mittelmeerländern, den Perspektiven für eine Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und den Voraussetzungen für einen friedlichen Dialog zwischen den Kontinenten.

Als Reaktion auf die Diskussion um den Maastrichter Unionsvertrag wurde im Kontext des Projektes „Strategien und Optionen für die Zukunft Europas" eine „Europäische Strukturkommission" ins Leben gerufen. Sie knüpft inhaltlich an überlegungen an, die bereits im Rahmen der Arbeitsgruppe „Europäische Verfassung" (1989-1990) angestellt und in dem Memorandum „Wie Europa verfasst sein soll" (1991) dokumentiert wurden. Im Maastrichter Vertrag wird der Grundsatz der Subsidiarität zum Strukturprinzip einer Europäischen Union erhoben, ohne dass es fundierte Vorstellungen darüber gibt, wie eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung dieser Maxime aussehen könnte. Unabhängig davon, ob und in welcher Form die Maastrichter Beschlüsse schließlich umgesetzt werden, stellt sich die Frage einer optimalen Kompetenzverteilung in einem föderal gegliederten Europa: Wie können effiziente und gleichzeitig möglichst dezentrale Strukturen geschaffen werden, die die Akzeptanz der europäischen Bürger finden? Hierzu wird die Europäische Strukturkommission Vorschläge erarbeiten und diese in die Politikberatung einbringen.