Erste Allianztagung: Kurzzusammenfassung der Referentenbeiträge

Unsere Referenten berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit der neuen Vielfalt der Demokratie. Lesen Sie eine inhaltliche Kurzzusammenfassung der jeweiligen Beiträge.

Wählen, Mitmachen, Entscheiden - Was aus der neuen Vielfalt der Demokratie entstehen kann

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Christa Goetsch, Senatorin a. D. für Schule und Berufsbildung sowie zweite Bürgermeisterin a. D. der Freien und Hansestadt Hamburg:

Am Beispiel der Hamburger Schulreform beschrieb Christa Goetsch ihre Erfahrungen mit direkter Demokratie. Volksabstimmungen seien nicht dazu geeignet, Politik-verdrossenheit zu bekämpfen und Wahlbeteiligung zu erhöhen. Auch bei direktdemokratischen Abstimmungen zeigt sich, dass sich Bürger aus sozial benachteiligten Stadtvierteln zunehmend aus demokratischen Prozessen verabschieden. Die Beteiligung aller Schichten sei damit nicht eine Frage von repräsentativer oder direkter Demokratie, sondern eine bildungs- und sozialpolitische Frage. „Demokratie muss immer wieder trainiert werden, weil sie nicht angeboren ist.“ Sie müsse daher schon in Kindergärten und Grundschulen ihren Raum bekommen.

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Gerald Häfner, Publizist, ehemaliger MdB und MdEP:

In seinem Beitrag problematisierte Gerald Häfner die zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft. Deshalb sei die Einführung von direktdemokratischer Entscheidungen auf allen politischen Ebenen so wichtig. „Bei mehr Demokratie oder Volksabstimmungen geht es darum, dass aus der Mitte der Gesellschaft das Gespräch miteinander begonnen werden kann über die Kernfragen des Zusammenlebens.“ Unser Land wird sich verändern, wenn Menschen stärker als bisher ernst genommen und gehört würden. Es ist jedoch noch ein weiter Weg bis dahin: „Ich glaube, dass die Menschen heute sehr viel weiter sind als die politischen Strukturen und Entscheidungen, in und mit denen wir leben.“

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Michael Sack, Bürgermeister Stadt Loitz:

Aus eigener Erfahrung verdeutlichte Michael Sack, wie Bürgerbeteiligung helfen kann, dem demographischen Wandel in einer stark betroffenen Region zu begegnen. Der „heilsame Schock“ einer erschreckend negativen Bevölkerungsprognose habe geholfen, eine Gegenbewegung einzuleiten. Politik, Verwaltung und Bürger haben einen intensiven Dialog über die Zukunft in ihrer Stadt begonnen. Nach den ersten Erfolgen wurde klar: „Wir können etwas bewegen, wenn wir auch wollen.“ Doch seien dem Bürgersinn durch viele Gesetze des Bundes und des Landes auch Grenzen gesetzt. Politik und Verwaltung müssten hier lernen, umzudenken: „Schafft Experimentierräume, damit wir sehen, ob neue Ideen auch funktionieren!“

Entweder oder? Sowohl als auch? - Die repräsentative Demokratie trifft auf die direkte Demokratie

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Dr. Jörg Dräger, Mitglied des Vorstandes, Bertelsmann Stiftung:

Am Beispiel der Privatisierung der hamburgischen Krankenhäuser erläutert Dr. Jörg Dräger, dass komplexe Themen umfassende Abwägungsprozesse erfordern und direktdemokratische „Ja-Nein“-Entscheidungen dem oft nicht gerecht werden können. Vertrauen in Bürgerkompetenz auch bei komplizierten Themen sei dennoch angebracht. Positive Beispiele aus Dialogverfahren, wie die Erarbeitung eines neuen Wahlrechts in British Columbia (Kanada) durch zufällig ausgewählte Bürger zeigen, dass in einem deliberativen Prozess qualitativ hochwertige Lösungen erarbeitet werden können. Für den Erfolg ist entscheidend, dass die Akteure nicht gegeneinander sondern miteinander arbeiten und Partizipation in die repräsentative Demokratie integriert wird.

Wählen, Mitmachen, Entscheiden - Was aus der neuen Vielfalt der Demokratie entstehen kann

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Fabian Reidinger, Stellv. Stabsstellenleiter, Staatsministerium Baden-Württemberg:

Fabian Reidinger stellte die Erfahrungen aus vier Jahren „Politik des Gehörtwerdens“ der Landesregierung von Baden-Württemberg dar. Am Beispiel der Suche nach einem Gefängnisstandort verdeutlichte er, dass Spannungen zwischen Gemeinwohl und hoheitlichen Aufgaben einerseits und den Interessen vor Ort anderseits durch Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie unter Umständen verstärkt werden können. Gleichzeitig aber zeige die Entscheidung der Bürger in Rottweil für eine JVA, dass Bürger in der Lage seien, mit diesem Konflikt umzugehen. Auch eine dauerhaft akzeptierte Unterbringung von Flüchtlingen könne mit Bürgerbeteiligung gelingen.