Ein Mann und eine Frau sitzen vor einem Monitor und verfolgen die Zoom-Konferenz

"Wir brauchen einen langen Atem"

Unter dem Titel "Neue Wege der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Afrika? Möglichkeiten und Grenzen der aktuellen EU-Vorschläge zum Asyl- und Migrationspakt" trafen sich bei einer digitalen Mittagsdiskussion des Projekts "Migration fair gestalten" am 18.11.2020 knapp 50 Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und afrikanischen Diaspora-Organisationen zu den dringlichen Fragen der aktuellen Migrations- und Afrikapolitik Deutschlands und der Europäischen Union.

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Foto Susanne U. Schultz
Dr. Susanne U. Schultz
Senior Expert

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Beschleunigt durch den Brand im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, hatte die Europäische Kommission am 23. September einen Vorschlag für einen „Neuen Asyl- und Migrationspakt“ vorgelegt, der neben einer Bandbreite an Gesetzesvorschlägen als Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU) und afrikanischen Staaten dienen soll, wichtigen Herkunfts- und Transitstaaten von Migrant:innen und Geflüchteten. Im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft kommt Deutschland bei den aktuellen Verhandlungen eine zentrale Rolle zu und ist bemüht Schwerpunkte zu setzen, die auch über dieses Jahr hinaus reichen. Zugleich bietet die Verschiebung des Gipfels der EU und AU auf Frühjahr 2021 notwendigen Raum, um Fragen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit aufzugreifen und weiter zu diskutieren.

Zwischen europäischem Pragmatismus und der Verfehlung afrikanischer Realitäten

Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gab mit einem Impuls zum Thema einen gehaltvollen Überblick und pragmatische Auswertung des Gesetzesvorschlags für einen neuen Asyl- und Migrationspakt, der versucht einen Kompromiss und Kohärenz im Asyl- und Migrationsbereich zwischen den europäischen Staaten zu schaffen, die in ihren Ansätzen teilweise massiv auseinanderklaffen. Viele Punkte blieben in dem Gesetzesvorschlag allerdings noch unklar und vage, insbesondere was den Bereich der externen Beziehungen sowie das Thema legale Migration angingen.

Danach folgten zwei Repliken. Zunächst von Sylvie Nantcha, Bundesvorsitzende von TANG e.V. – The African Network for Germany, die einen Überblick über die afrikanische Perspektive anskizzierte. Frappierend insbesondere war, dass der Vorschlag für einen neuen Pakt ohne jegliche Reaktion aus dem afrikanischen Kontinent aufgenommen wurde. Einerseits schrieb Nantcha dies der Tatsache zu, dass in afrikanischen Staaten das Thema Binnenmigration von viel größerer Bedeutung sei als internationale Migration; andererseits, der Covid-19-Pandemie, die Staaten mit existentiellen Problemen in Griff hielt. Entscheidend sei außerdem, dass von Seiten der EU kaum Konsultationen mit afrikanischen Staaten und der AU in der Ausarbeitung des Paktvorschlages stattgefunden hatten. Aus afrikanischer Perspektive bedeuteten eine Reihe von Punkten Schwierigkeiten in der praktischen migrationspolitischen Umsetzung, wie dem Screening von Menschen an den europäischen Außengrenzen, die Bestimmung von sicheren Drittstaaten und insbesondere der starke Fokus auf Rückkehr, der überwiegend nicht im Sinne von afrikanischen Staaten sei, die auf die Rücküberweisungen ihrer Mitbürger:innen im Ausland angewiesen sind. Der Pakt müsse an afrikanische Realitäten angepasst werden.

Rietig wie Nantcha plädierten für gegenseitigen Respekt und ein miteinander Sprechen und Handeln auf Augenhöhe – auch wenn dies häufig leere Worthülsen schienen – um nachhaltig und effektiv migrationspolitisch zusammen zu arbeiten. Für die Umsetzung jeglicher migrationspolitischer Maßnahmen nämlich, sind beide Kontinente grundlegend aufeinander angewiesen.

Die zweite Replik erfolgte von Maximilian Popp, stellvertretendem Ressortleiter Ausland des Spiegels, der Einblicke aus der journalistischen Praxis in die Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen lieferte und das kritische Bild einer Politik der „Migrationsverhinderung“ von europäischer Seite malte, aber auch Wege für ein konstruktives Weiter aufzeigte.

Wege aus einer vertrackten Debatte?

Die folgende Diskussion war äußerst rege und ertragreich. Ungewöhnlich in einem solchen Format zu einem aktuell vieldiskutierten Thema wie dem Migrationspakt, wie es von Teilnehmer:innenseite hieß. Mit aktiven Gesprächsbeiträgen beteiligt waren namhafte Expert:innen wie Günther Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, Daniel Thym, Professor für öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht der Universität Konstanz, David Kipp von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Eduard Gnesa, ehemaliger Direktor des Schweizer Bundesamtes für Migration, Kamal Kassam vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und Bernward Ostrop vom Deutschen Caritasverband; außerdem einschlägige Referatsleiter:innen und Referent:innen das Auswärtigen Amts und des Bundesamtes für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Auch wenn es bisher keinen durchschlagenden Ansatz in einer vertrackten Debatte und Realität gibt, konnte die Veranstaltung einige wichtige, auch optimistische Anknüpfungspunkte markieren. Wichtig ist es, positive Beispiele der Zusammenarbeit aufzuzeigen, so wie die Schweiz, für die Ausgestaltung ausgewogenerer Migrationspartnerschaften. Eine bessere Zusammenarbeit sollte den Fokus Rückkehr hinsichtlich ihrer Vorbereitung, Einbettung und Reintegration umfassend ausbauen und v.a. legale Migrationsmöglichkeiten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen verankern. Insbesondere hervorgehoben wurde hier das Thema Ausbildungspartnerschaften als nachhaltiges Modell für alle Seiten; auch wenn dabei klar war, dass kleine Pilotinitiativen keineswegs ausreichten. Zudem wurde eine Erweiterung der bestehenden Partnerschaften vorgeschlagen, zum Beispiel im Austausch mit den Vereinigten Staaten unter der zukünftigen Biden-Regierung. Deutschland ist bei solchen Ansätzen ein wichtiger Akteur, der mit einer kritischen Öffentlichkeit durchaus offen ist für positive Anreize in der Asyl- und Migrationspolitik. Es bedarf eines „langen Atems“ im Prozess der Aushandlung eines neuen Asyl- und Migrationspakts, vielmehr noch einer partnerschaftlichen Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten. Zugleich könnte dieser langatmige Prozess genau den nötigen Raum für Austausch ermöglichen. Wir bleiben am Thema dran.

Die Redebeiträge stellen wir Ihnen hier als Video zur Verfügung.