Blick auf die Burg der slowakische Hauptstadt Bratislava. Links daneben wehen slowakische und europäische Fahnen.

Slowakische EU-Ratspräsidentschaft: Der Bock als Gärtner?

Am 1. Juli übernahm die Slowakei die EU-Ratspräsidentschaft. Die Regierung Fico war bislang nicht bereit, in der Flüchtlingssituation ihren Teil der europäischen Verantwortung zu tragen und fiel durch islamfeindliche und populistische Töne mehrfach negativ auf. Kann ausgerechnet sie nun Moderator und Mittler in der EU sein?

Infos zum Text

Text von Hauke Hartmann. Der Autor ist Senior Expert in unserem Projekt "Transformationsindex BTI". 

Wie ist es dieser Tage um den europäischen Wertekonsens bestellt? Nicht sonderlich gut, wenn man einen Blick auf die EU-Mitglieder in Ostmitteleuropa und die Beitrittskandidaten in Südosteuropa wirft. Standen die vier Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn bei ihrem EU-Beitritt 2004 noch für eine perspektivreiche Erweiterung der Europäischen Union, so symbolisieren sie heute eher Euroskepsis und Abschottung. Schon die tagespolitische Debatte, inwieweit unsere östlichen Nachbarn bereit und in der Lage sind, Flüchtlinge allgemein und muslimische Schutzsuchende im Speziellen aufzunehmen, spricht für ein gänzlich anderes Gesellschaftsverständnis, das die Homogenität im ethnischen und vor allem religiösen Sinne betont.

Freund-Feind-Denken und Majoritanismus prägen Politik in Ostmittel- und Südosteuropa

Abgrenzung nach außen, Ausgrenzung nach innen: Bereits bevor die ersten Flüchtlingsgruppen Europa erreichten, stand es in Ostmittel- und Südosteuropa nicht gut um Minderheiten. Kaum ein Gutachten unseres Transformationsindex BTI zu Ländern mit einer nennenswerten Roma-Minderheit im ostmittel- und südosteuropäischen Raum, das im Bereich der Bürgerrechte nicht eine systematische Diskriminierung verzeichnet – von sozialer Diskriminierung bis hin zu willkürlicher Polizeigewalt, auch in der Slowakei. Als die slowakische Ombudsfrau für Menschrechtsfragen Jana Dubovcová der Regierung von Premier Robert Fico und dem Parlament einen Bericht über polizeiliche Übergriffe gegen Roma vorlegen wollte, bezeichnete der Innenminister sie als Lügnerin, die den Vorfall politisieren wolle.

Aber dies ist nur die deutlichste Spitze gesellschaftlicher Illiberalität. Ein polarisierendes Freund-Feind-Denken und eine ausgeprägte Machterhaltungsparanoia haben sich in Ostmittel- und Südosteuropa ausgebreitet. Zahlreiche Regierungen wie in Polen, Serbien oder Ungarn wurden mit einem klaren Wählermandat ausgestattet – nach einem erfolgreichen Anti-Establishment-Wahlkampf, der sich in populistischer Weise gegen Korruption, anhaltende soziale Ungleichheit und gebrochene Wohlstandsversprechen der EU richtete. Die neu Gewählten interpretieren ihren Wahlerfolg als elektorale Revolution und damit als Auftrag, ihre Politik kompromisslos gegen die Opposition und ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft durchzusetzen und nach Möglichkeit weit in die Zukunft fortzuschreiben.

Dieses majoritanistische, das heißt mehrheitsbezogene "Durchregieren" nimmt autoritäre Züge an. So wird an einer Beseitigung von institutionellen Kontrollinstanzen gearbeitet, insbesondere die Gewaltenteilung ausgehöhlt und wie in Ungarn oder Polen die Eigenständigkeit von Verwaltungs- und Justizbehörden gezielt untergraben. Zudem sollen unabhängige und regierungskritische Stimmen unterdrückt werden, als erster Schritt in den staatlichen Medien. Es folgen Angriffe auf kritische Vertreter der Zivilgesellschaft und unabhängige Journalisten, besonders ausgeprägt in Mazedonien, das im BTI 2016 nur noch 4 von 10 Punkten für Pressefreiheit erhielt und so auf einer Stufe mit Ägypten oder Russland steht. Die BTI-Daten spiegeln diesen Trend: So sank die Gewaltenteilung in den letzten zehn Jahren im regionalen Durchschnitt um 0,8 Punkte auf der 10er-Skala (am stärksten in Ungarn mit -5) und büßte die Pressefreiheit gar regional um durchschnittlich 1,7 Punkte ein.

"Der Islam gehört einfach nicht in die Slowakei"

Auch der slowakische Regierungschef Fico war bereits dem majoritanistischen Lockruf erlegen. Der aktuelle BTI-Länderbericht für die Slowakei bezieht sich noch auf die Zeit vor den Wahlen am 5. März, als die linkspopulistische Smer-SD alleine regieren konnte, die Gewaltenteilung geschwächt wurde und aus Regierungskreisen verlautbarte: "Wir haben die Wahlen gewonnen, deshalb brauchen wir keine Opposition."

Mittlerweile hat sich dies geändert. Nach einem beispiellos fremdenfeindlich und populistisch geführten Wahlkampf, in dessen Verlauf sich Fico gegen die angeblich von der EU aufgezwungene Aufnahme "Zehntausender" Flüchtlinge verwahrte (der EU-Verteilungsschlüssel sieht die Aufnahme von 802 Personen vor) und vor einer "abgeschotteten muslimischen Gemeinschaft" warnte, verlor seine Smer-SD die Mandatsmehrheit und kam nur noch auf 49 Sitze (zuvor 83) – auch, weil die Wähler lieber das Original wählten und sowohl der rechtsnationalistischen SNS (15 Sitze) wie auch der rechtsextremen Kotleba-L'SNS (14 Sitze) zum Einzug in das Parlament verhalfen. Auch nach der Wahl, als Regierungschef einer extrem heterogenen Koalition aus Sozialdemokraten, Nationalisten, Christdemokraten und Vertretern der ungarischen Minderheit, blieb er bei seiner Linie und erklärte: "Es mag ja komisch erscheinen, aber tut mir leid – der Islam gehört einfach nicht in die Slowakei."

Wird mit der EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei nun der Bock zum Gärtner gemacht, soll ausgerechnet die Regierung Fico die von Populismus und Flüchtlingssituation erschütterte EU in ruhigeres Fahrwasser lenken? Im Bemühen um diplomatische Mäßigung wird gerne daran erinnert, dass dem Ratsvorsitz seit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags Ende 2009 mit der Schaffung eines ständiges Präsidenten des Europäischen Rates (derzeit Donald Tusk) nun geringere Bedeutung zukomme, dass die Slowakei in die Absprache der Trio-Präsidentschaft (gemeinsam mit den Niederlanden und Malta) eingebunden sei, und dass der parteilose slowakische Außenminister Miroslav Lajčák ein angesehener und erfahrener Diplomat ist.

Slowakei muss beweisen, dass sie sich mit europäischen Werten identifiziert

Und doch bleibt die Frage, wie glaubwürdig eine Regierung als Mittler und Moderator auftreten kann, die bislang in der Flüchtlingsfrage so bewusst halsstarrig aufgetreten ist, Mehrheitsentscheidungen nicht akzeptiert und aus ihrem Widerstand gegen die Aufnahme von 802 Flüchtlingen eine solche Grundsatzfrage gemacht hat, dass sie auch den Kompromiss einer Ausgleichzahlung (anstelle einer Aufnahme von Geflüchteten) zurückgewiesen hat. Der luxemburgische Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn gab Anfang Juli beim EU-Innenministertreffen in Bratislava seiner Hoffnung Ausdruck, dass die slowakische Regierung sich in neuer Verantwortung nun europäischer verhalten werde und kritisierte die ungarische Regierung von Viktor Orbán, die zusätzlich zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof auch ein Referendum gegen die EU-Flüchtlingsquote abhalten will. Asselborn wurde in diesem Zusammenhang grundsätzlich: "Aber stellen wir uns vor, jedes Land in Europa würde dasselbe tun, dann können wir den Laden zumachen, was die Werte angeht, dann verkennen wir die Genfer Konvention und wir sind zwar noch ein Verein, aber ein wertloser Verein." Die Slowakei hat nun sechs Monate in exponierter Stellung, um überzeugend zu verkörpern, dass sie nicht nur die Vereinsstatuten kennt, sondern sich auch mit europäischen Werten von Solidarität und Menschenrechten identifizieren kann.

Über unsere Serie

Unsere BTI-Sommerserie widmet sich in regelmäßigen Abständen Transformationsstaaten und Entwicklungsländern. Teil eins untersuchte die aktuelle Situation in Bangladesch. Im Fokus der zweiten Analyse stand der Südsudan. In Kürze folgt eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Lage in Brasilien.