Runder Tisch zur Asylpolitik in Berlin am 22.03.2017
Thomas Kunsch

Runder Tisch: Europäische Flüchtlingshilfe zwischen Krisenmanagement und Wertekonflikten

Wie kann die Asylpolitik trotz vielfältiger Differenzen in Europa zukünftig effektiv und nachhaltig gestaltet werden? Bestimmen vor allem die unterschiedlichen Interessen die Politik, kann nur die Union gemeinsam die Herausforderungen bewältigen oder vielleicht sogar einen Mehrwert gegenüber den Nationalstaaten bieten? Trotz der schwierigen Fragen herrscht unter Experten und zuständigen Politikern ein hohes Maß an Übereinstimmung, was zu tun ist, wie eine Fachkonferenz der Bertelsmann Stiftung in Berlin zeigte.

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Die migrationspolitischen Konzepte und Realitäten der EU sind den Ansprüchen und Herausforderungen im Angesicht der unerwarteten Anzahl von Flüchtlingen in jüngster Zeit einfach nicht gerecht geworden. Zu dieser nüchternen Einschätzung aus deutscher Perspektive kommt Michael Tetzlaff, Unterabteilungsleiter für Migration, Flüchtlinge und Europäische Harmonisierung im Bundesinnenministerium am Runden Tisch der Bertelsmann Stiftung, der Nachfolgekonferenz zum Vision Summit 2016 in Lissabon. Die Ursachen sind nach seiner Meinung vielfältige Interessenunterschiede zwischen den europäischen Staaten und auch normative Zielkonflikte. So gäbe es hohen Konsens bei der Einigung auf einen gemeinsamen und verbesserten Grenzschutz Europas. Doch gleichzeitig ebenso großen Dissens bei der Frage der Verteilung der Lasten innerhalb der Gemeinschaft. Wenn es nicht gelinge, Migration effektiv zu steuern – so warnte er – dann stünde der Zusammenhalt der EU ernsthaft auf dem Spiel, ebenso wie auch das Vertrauen der Bürger in die Union. Er hoffe dennoch zumindest auf Kompromisse über gemeinsame Eckpunkte – schon in den nächsten Monaten.

Wie diese Eckpunkte gestaltet sein sollten, darüber herrschte in den Diskussionsbeiträgen der Teilnehmer in vielen Punkten Einigkeit. Weitere Impulse setzten dafür ebenfalls ausgewiesene Experten und verantwortliche Entscheider: Matthias Ruete, Generaldirektor der EU-Kommission für Migration und Inneres, Katharina Lumpp, die Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland und Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

„Wir müssen weg von der reinen Abschottungsdiskussion der jüngeren Vergangenheit und zu einem ganzheitlichen Ansatz der Flüchtlingspolitik.“ Ausführlich erläuterte Thomas Oppermann noch einmal seinen 5-Punkte-Vorschlag, der kurz zuvor in der Öffentlichkeit für kontroverse Diskussion gesorgt hatte. Im Zentrum stehe dabei die Fluchtursachenbekämpfung und Rückgewinnung der Kontrolle über Migrationsströme. Wichtige Pfeiler sieht Oppermann in der Sicherung der EU-Außengrenze, der Bekämpfung des Schlepperwesens, in der Kooperation mit den nordafrikanischen Anrainerstaaten und der Schaffung von sicheren Orten für Flüchtlinge schon jenseits des Mittelmeeres. Es gehe nicht um zentrale Sammelstationen als One-Stop-Agency, die die besten Wege nach Europa aufzeigen. Sondern um Schutzzonen, in denen die Flüchtlinge sich zunächst den Schleppern entziehen könnten, wo sie medizinische Hilfe, Schutz vor Ausbeutung oder auch Rückkehrhilfe fänden, bevor sie auf den gefährlichen Weg in die Boote getrieben werden, erläuterte der SPD-Fraktionsvorsitzende seinen viel diskutierten Vorschlag.

Matthias Ruete, zuständiger Generaldirektor der EU-Kommission, verwies darauf, dass auf europäischer Ebene und nur auf Brüsseler Initiative in jüngerer Zeit viel bewirkt worden sei. Viele Konzepte in der Flüchtlings- und Asylpolitik könnten auch nur europaweit und nicht nationalstaatlich erfolgreich sein. So sei etwa ein freizügiger Schengenraum nur mit gesicherten europäischen Außengrenzen zu gewährleisten.

Großer Konsens herrschte darüber hinaus sowohl aus europäischer wie deutscher Perspektive über weitere Eckpunkte: Unbedingter Schutz für Flüchtlinge, aber auch kontrollierte Prozesse mit gesicherten Außengrenzen, legale Zuwanderungsmöglichkeiten und geordnete Resettlement-Programme für besonders Schutzbedürftige. Wünschenswert seien auch gemeinsame europäische Kontingente und deren Aufteilung innerhalb Europas, sowie ein reformiertes Einwanderungsgesetz in Deutschland anstelle intransparenter Regelungen, die Menschen auf fatale Asylpfade locken. Weiterhin bestand unter den Teilnehmern auch Hoffnung auf eine Reform des europäischen Asylsystems mit einer Weiterentwicklung des Dublin-Abkommens und auf Programme zur Integration in den Nationalstaaten. Dabei standen auch in dieser Diskussion pragmatische Initiativen für sofortige Verbesserungen neben grundsätzlichen Ansprüchen und längerfristigen Orientierungen.

Als „Musterländle“ in Europa wollte sie Deutschland noch nicht bezeichnen. Aber die Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland bescheinigte dem Land eine Reihe vorbildlicher Leistungen. Dazu gehöre die Vernetzung von ehrenamtlichem und staatlichem Engagement oder die Koordination der verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden. Als lehrhafte Erfahrungen aus der jüngsten Krise sollten angesichts möglicher weiterer Flüchtlingsströme zukünftig in allen Staaten Notfallpläne erarbeitet werden, wie sie etwa für Naturkatastrophen üblich sind. Die Flüchtlingspolitik müsse darüber hinaus auf globaler Ebene vorausschauend koordiniert werden. Aktuell die größte Herausforderung sei die Finanzierung laufender Sofortprogramme wie etwa für Afrika. Die Unterfinanzierung durch die Geberländer sei beschämend.

Den aktuellen Forderungen aus den USA nach mehr Geldern für die Rüstung stellte Thomas Oppermann dabei eine enge Verknüpfung mit der Flüchtlingspolitik entgegen. Sicherheit könne man nicht allein durch Aufrüstung erreichen: „Für jeden Euro, der zusätzlich in die Verteidigung geht, sollte zusätzlich auch ein Euro mehr in die Entwicklungshilfe gesteckt werden.“

Die Fachkonferenz „Für eine effektive, proaktive und faire Asylpolitik – Deutschlands Rolle in Europa“ fand am 22. März in Berlin als Nachfolgekonferenz desVision Europe Summit 2016 in Lissabon statt. Der<link de unsere-projekte vision-europe> Vision Europe ist eine Kooperation der Bertelsmann Stiftung und sieben führender europäischer Think Tanks und Stiftungen, um durch evidenzbasierte Politikgestaltung langfristige Veränderungen im Interesse der europäischen Bürger mitzugestalten. Thema des Summit in Lissabon 2016zusammen mit UN-Generalsekretär António Guterres war die Frage der zukünftigen Flüchtlingspolitik.

Hintergrundinformation

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Auf Initiative der Bertelsmann Stiftung wurde 2015 Vision Europe gegründet – ein Zusammenschluss von acht europäischen Think Tanks und Stiftungen. Durch Forschung, Veröffentlichungen und eine jährlich stattfindende Konferenz möchte das Netzwerk ein Forum für Diskussionen und Empfehlungen zur Zukunft Europas bilden. Vision Europe gehören an: die Bertelsmann Stiftung (Deutschland), Bruegel (Belgien), die Calouste Gulbenkian Foundation (Portugal), CASE – Center for Social and Economic Research (Warschau), Chatham House (Großbritannien), die Compagnia di San Paolo (Italien), der Finnish Innovation Fund Sitra (Finnland) und das Jacques Delors Institute (Frankreich).