Lega-Chef Matteo Salvini steht während einer Debatte im Europäischen Parlament an einem Saalmikrofon und spricht.

Das erste europäische Land in der Hand von Populisten?

Alle haben vorausgesagt, dass die politische und parlamentarische Landschaft Italiens nach der Wahl 2018 komplexer werden würde - nicht jedoch, dass der Urnengang einem politischen Erdbeben gleichkommt.  Von Maurizio Cotta.

Die klaren Gewinner dieser Wahl sind die Protestbewegung Fünf Sterne (Movimento 5 Stelle) und die Lega. Genauso leicht lassen sich die Verlierer ausmachen: die Demokratische Partei (Partito Democratico), zusammen mit ihrer linken Abspaltung, einer Liste namens "Freie und Gleiche" (Liberi e uguali), sowie Silvio Berlusconis Forza Italia. Mit über 32 Prozent der Stimmen sind die Fünf Sterne nun die stärkste Partei Italiens. Vergleichbar hohe Ergebnisse erzielten in der Nachkriegsgeschichte nur die Democrazia Cristiana und die Kommunistische Partei Italiens sowie später die Forza Italia und die Demokratische Partei.

Im rechten politischen Spektrum ist Forza Italia, die Partei, die seit 1994 jede Mitte-rechts-Koalition dominierte, deutlich von der Lega überholt worden. Deren Chef Matteo Salvini gelang die nationale Ausrichtung seiner Partei, indem er das "Nord" im Namen fallen ließ und so auch südlich des Apennins Erfolge verbuchte. Zwar schnitt das Mitte-rechts-Bündnis insgesamt in der Wahl gut ab und legte, verglichen mit den Wahlen von 2013, sieben Prozentpunkte zu. Berlusconi jedoch, der über Jahre die rechte Kraft der bipolaren sogenannten Zweiten Republik verkörperte, erlitt eine deutliche Schlappe. 

Bemerkenswert ist, dass beide Wahlgewinner sowohl die nationale wie auch die europäische Politik lautstark kritisierten. Zusammen erhielten sie knapp über 50 Prozent der Stimmen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass zum ersten Mal die Mehrheit eines großen europäischen Landes populistischen Parteien ihre Stimme gab.

Regierungsferne und harsche Kritik an der EU werden belohnt

Eine Mischung von kontextuellen und eher politischen Faktoren kann diese Ergebnisse erklären. Nach den Sustainable Governance Indicators (SGI) 2017 der Bertelsmann Stiftung hat unter den sozialdemokratischen Regierungen von Matteo Renzi und Paolo Gentiloni eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt, doch in der Wahrnehmung der Menschen ist das noch nicht angekommen. Prägend für die Bevölkerung sind weiterhin die Auswirkungen der zurückliegenden tiefen Rezession: die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor Unternehmensinsolvenzen und einer Verschärfung der Lebensbedingungen. In solchen Situationen erleiden zumeist die Regierungsparteien Einbrüche, während Oppositionsparteien, die als regierungsfern wahrgenommen werden, in der Gunst der Wähler zulegen. So lässt sich erklären, warum statt der Partei Forza Italia, die zwischen 1994 und 2008 dreimal die Regierung anführte, in erster Linie die Fünf Sterne und die Lega Zuwächse verzeichnen konnten.

Ein weiterer Grund für den Erfolg der beiden Parteien liegt im wachsenden Ärger großer Bevölkerungsschichten über das politische Handeln der EU. Auf der einen Seite fühlen sich viele Menschen von den regiden Sparmaßnahmen betroffen, auf der anderen vermissen sie Solidarität mit Italien bei der Bewältigung der Probleme der Zuwanderung. Sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung als auch die Lega haben im Wahlkampf eine sehr kritische Haltung gegenüber der EU propagiert - bis hin zur Forderung nach einem Referendum über den Euro.

Es gibt auch rein politische Gründe für den Erfolg der beiden Siegerparteien. Beide hatten unumstrittene Hoffnungsträger - Luigi Di Maio als Spitzenkandidat der Fünf Sterne und Salvini für die Lega - und beschränkten sich in ihren Wahlprogrammen auf wenige hervorstechende, populäre Themen: Die Fünf-Sterne-Bewegung warb mit der angestrebten Moralisierung des Politikbetriebs und einem sogenannten Bürgereinkommen, die Lega mit der Einführung eines einheitlichen Steuersatzes, der starken Beschränkung der Zuwanderung sowie einer Kampfansage an die EU.

Die Demokratische Partei hat dagegen versäumt, einen geeigneten Nachfolger für Parteichef Renzi aufzustellen, der seit dem Scheitern eines Referendums über eine von ihm auf den Weg gebrachte Verfassungsreform schwer angeschlagen ist. Trotz großer Beliebtheit war es dem amtierenden Premierminister Gentiloni nicht vergönnt, den Wahlkampf anzuführen und von den Erfolgen seiner Amtszeit zu profitieren.

Berlusconis Rückkehr auf die politische Bühne wurde zwar von Forza Italia unterstützt, doch als vorbestrafter Steuerbetrüger bremste ihn bei den Wahlen das noch gültige Verbot der Ausübung eines öffentlichen Amtes. Noch schwerer wog sein Versagen bei der Finanzkrise 2011. Die Ausrichtung auf Berlusconi verhinderte, dass ein jüngerer unbelasteter Politiker die Führung der Partei im Wahlkampf übernehmen konnte. Zudem bestand das Wahlprogramm aus unausgegorenen, unrealistischen Versprechen. Es war moderater als das der Lega, konnte jedoch die Aufmerksamkeit der Wähler nicht auf sich ziehen.

Was kommt jetzt? Ein besonders antieuropäisches Kabinett oder doch eine gemäßigtere Lösung?

Wie wird die Regierung aussehen, die Italien in einer Zeit lenkt, in der es nach dem SGI 2017 Länderbericht der Bertelsmann Stiftung vor allem um die Konsolidierung des wirtschaftlichen Aufschwungs geht sowie um die Bearbeitung wichtiger nationaler Themen, wie dem Abbau der Staatsverschuldung, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Steigerung der Produktivität und einer Reformierung der öffentlichen Verwaltung? Neben den innenpolitischen Themen verlangt eine andere wichtige Frage nach einer Antwort: Welche Rolle wird die kommende italienische Regierung im europäischen Kontext spielen, wo doch gerade eine EU-Reform ansteht?

Weil die Mehrheit der Sitze im italienischen Wahlsystem proportional zum Stimmenanteil vergeben werden und die politischen Kräfte in drei Lager zerfallen, führten die Wahlen nicht zu einer klaren parlamentarischen Mehrheit. Noch ist ungewiss, welche Koalition die künftige Regierung bilden wird. Verstärkt wird diese Unsicherheit noch durch eine Führungskrise innerhalb der Demokratischen Partei, nachdem Renzi infolge des schlechten Wahlergebnisses seinen Rücktritt erklärt hat, sowie durch aufkeimenden Zweifel an Berlusconis Führungsanspruch in der Forza Italia und mögliche Spannungen im Mitte-rechts-Bündnis.

Ist eine antieuropäische Koalition der beiden Wahlsieger denkbar? Dieses von einigen Beobachtern gefürchtete Szenario, das Italien auf Kollisionskurs mit den europäischen Führungsmächten Frankreich und Deutschland bringen würde, ist aus mindestens zwei Gründen momentan nicht sehr wahrscheinlich. Erstens wäre die Koexistenz zweier siegreicher (und stolzer) Spitzenkandidaten in derselben Regierung schwierig und zweitens hoffen sowohl Di Maio als auch Salvini, ihre Parteien auf Kosten der kriselnden Wahlverlierer, der Demokratischen Partei und Forza Italia, weiter voranzubringen. Stellten die Demokratische Partei und Forza Italia in Zukunft die Opposition, wäre das sehr viel schwieriger.

Wenn die Wahlsieger kein Bündnis in Erwägung ziehen, bleibt ihnen nur, in der Mitte nach Partnern zu suchen, mit denen sie eine Mehrheit bilden können. Beide zeigen erste Schritte in diese Richtung. Das bedeutet aber auch, dass sie einige ihrer radikalsten Vorhaben abmildern müssen. Insbesondere bleiben ihnen als Verhandlungspartner nur europafreundlichere Kräfte. Aus diesem Grund können wir eine Regierung erwarten, die zwar ihre Zweifel in Brüssel formuliert, aber die Kooperation nicht verweigert. Den EU-Behörden und europäischen Führungspersönlichkeiten lässt sich nur raten, diesen Regierungsbildungsprozess zu unterstützen, indem man die Probleme der Italiener endlich ernst nimmt - das gilt umso mehr, als einige davon sich durch Maßnahmen der EU, die alles andere als optimal waren, verschärft haben.

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.

Maurizio Cotta ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Siena. Er ist Co-Autor des Italien Länderberichtes der SGI 2017.