Um fundierte finanzpolitische Entscheidungen treffen zu können, sind ein umfassendes Lagebild der fiskalischen Entwicklungen und Herausforderungen, eine Analyse der Rolle des Staates bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben, die Abschätzung öffentlicher Ausgabenbedarfe sowie ein Überblick über bestehende Finanzierungsoptionen notwendig. Dies bietet der neue Megatrend-Report #6. Bereichert wird der Report in diesem Jahr durch Einschätzungen von fünf renommierten Expertinnen und Experten.
Staatsfinanzen im Fokus – wie Megatrends, Kriege und Krisen den Fiskus herausfordern
Das jüngste Scheitern der Ampelkoalition an einer Einigung zu finanzpolitischen Fragen verdeutlicht, dass Deutschland vor einer großen Herausforderung steht: Wie lassen sich dringende Investitionen in die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, die Modernisierung des Standorts und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands realisieren, ohne die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden? Diese Frage dürfte die politische Debatte und die Öffentlichkeit auch in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen.
Inhalt
Der deutsche Staat investiert seit Jahrzehnten kaum
Ein Blick auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass die konsumtiven Staatsausgaben — dazu gehören Ausgaben für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Sozialausgaben etc. — deutlich stärker gewachsen sind als die Gesamtwirtschaft. Insbesondere die Ausgaben der Sozialversicherungen haben stark zugenommen, was auf eine gestiegene Zahl an Anspruchsberechtigten sowie erweiterte Leistungsansprüche zurückzuführen ist.
Gleichzeitig liegen die Nettoanlageinvestitionen des Staates seit 1997 nahe Null, was bedeutet, dass der Staat mit seinen Investitionen lediglich den Verschleiß der bestehenden Infrastruktur kompensiert. Deutschland weist im Vergleich der G7-Staaten eine sehr hohe Einnahmen- (etwa 46 % des BIP) und Ausgabenquote (etwa 48 % des BIP) auf. Mit 63 Prozent ist die Staatschuldenquote entsprechend gering – unter den G7-Staaten ist sie sogar die niedrigste (vgl. Abbildung 1).
Öffentliche Mehr- und Nachholbedarfe summieren sich insgesamt auf deutlich mehr als 100 Milliarden Euro jährlich
Die Dekarbonisierung und Modernisierung der deutschen Volkswirtschaft wird erhebliche Finanzbedarfe nach sich ziehen. Die ökologische Transformation wird bis 2030 zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Euro erfordern. Ein großer Teil dieser Mittel wird benötigt, um die Emissionen im Gebäudesektor zu reduzieren, bestehende Verpflichtungen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu finanzieren sowie klimaneutrale Mobilität und Verkehrsinfrastruktur zu fördern. Darüber hinaus verursacht der fortschreitende Klimawandel zunehmend stärkere und häufiger auftretende Extremwetterereignisse, die enorme Zusatzkosten für die öffentlichen Haushalte bedeuten. Nicht zu vernachlässigen sind daher Investitionen in Klimaanpassung.
Neben der ökologischen Transformation steht Deutschland auch vor anderen gravierenden finanzpolitischen Herausforderungen: Um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken und das 2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen, bedarf es nach Auslaufen des Sondervermögens ab 2027 einer Erhöhung des Verteidigungsetats um etwa 30 Milliarden Euro jährlich. Zusätzliche öffentliche Investitionen sind außerdem notwendig, um die Cybersicherheit und den Zivilschutz zu stärken.
Auch der demografische Wandel bringt steigende Finanzbedarfe mit sich. Bei gleichbleibendem Leistungsniveau und unveränderter Beitragshöhe könnte der Bundeszuschuss zu den Sozialversicherungen bis 2060 auf rund 450 Milliarden Euro anwachsen, was in etwa dem Umfang des gesamten aktuellen Bundeshaushalts entspricht. Die finanzielle Tragfähigkeit des Sozialversicherungssystems ist ohne grundlegende Strukturreformen durch den Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge akut gefährdet.
Die Digitalisierung in Deutschland erfordert ebenfalls mehr Investitionen, insbesondere in den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur und die Digitalisierung der Verwaltung. Allein für den flächendeckenden Ausbau der Glasfasernetze wird ein öffentlicher Finanzbedarf von rund 10 Milliarden Euro veranschlagt.
Auch im Bildungssektor besteht erheblicher Handlungsbedarf. Zur Schließung der Betreuungslücke im frühkindlichen Bereich muss der Staat mehr Erzieher:innen beschäftigen, wofür zusätzlich 4 bis 13 Milliarden Euro jährlich aufgewendet werden müssen. In den allgemeinbildenden Schulen melden Kommunen einen Investitionsrückstand von etwa 55 Milliarden Euro. Wesentliche Finanzbedarfe entstehen durch den Ausbau und Betrieb von Ganztagsschulen, den Digitalpakt 2.0 sowie den demografisch bedingten Mehrbedarf an Lehrkräften.
Um die angestrebte Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsquote (FuE-Quote) auf 3,5 Prozent des BIP bis 2025 zu erreichen, ist ebenfalls ein erheblicher öffentlicher Mittelzuwachs erforderlich. Gegenüber dem Jahr 2022 müssen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung dafür um rund 8 Milliarden Euro erhöht werden. Auf EU-Ebene wird bis 2030 außerdem eine Steigerung der öffentlichen FuE-Ausgaben auf 1,25 Prozent des BIP angestrebt, was für Deutschland zusätzliche jährliche Finanzbedarfe von etwa 25 bis 30 Milliarden Euro erfordert. Dies entspricht fast einer Verdopplung des aktuellen FuE-Etats.
Angesichts der niedrigen Schuldenquote und der weiterhin günstigen Zinssätze für deutsche Staatsanleihen empfiehlt sich eine Kreditfinanzierung für viele dieser erforderlichen Investitionen. Pauschale Steuererhöhungen scheinen angesichts des ohnehin hohen Abgabenniveaus und der schwachen Wachstumsdynamik hingegen wenig sinnvoll. Einsparpotenziale bestehen etwa bei klimaschädlichen Subventionen, doch ist die Reform dieser Subventionen bei Weitem nicht ausreichend, um die großen Finanzbedarfe zu decken. Eine maßvolle Reform der Schuldenregel im Grundgesetz scheint daher unausweichlich, um die notwendigen Investitionsbedarfe stemmen zu können.