Wie Asiens Aufstieg die Welt verändert und was dies für Deutschland bedeutet

Der Aufstieg Asiens und die Ideen, die ihn beeinflussen, prägen das 21. Jahrhundert. Der Niedergang westlicher Hegemonie scheint eingeläutet und mit ihm das Ende der Dominanz westlicher Normen und politischer Ideale, die viele für selbstverständlich gehalten hatten. Diese Entwicklung stellt uns vor enorme Herausforderungen, bietet aber auch Chancen für die Herausbildung einer neuen und inklusiveren Perspektive auf die Welt, wie der renommierte Autor Pankaj Mishra in einem Vortrag am 20. Mai 2015 in Berlin darlegte.

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Auf Einladung der Bertelsmann Stiftung sprach Pankaj Mishra über “How Asia’s rise is changing the West and what it means for Germany“. Er konstatierte eine gigantische geopolitische Machtverschiebung, die eine neue Phase in den Beziehungen zwischen dem Westen und Asien eingeleitet hat. Allein schon die Frage, wie Asiens Aufstieg den Westen beeinflussen werde,  zeige einen grundlegenden Wandel im Denken, denn vor zehn Jahren sei noch niemand auf die Idee gekommen, diese Frage überhaupt zu stellen.

Mishra erinnerte daran, dass beide Begriffe, der „Westen“ und „Asien“, mehrdeutig und umstritten sind und sich einer einfachen Definition entziehen. Deutschland zum Beispiel betrachtete sich im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht als Teil des Westens. Seine politische und kulturelle Identität wurde – zumindest teilweise - in Abgrenzung von den westlichen Werten der Aufklärung und der Französischen Revolution geformt. Der Westen beschränkte sich im Wesentlichen auf Großbritannien, Frankreich und die USA. Deutschland lehnte ungezügelten Kapitalismus und Demokratie ab und stand für vermeintlich überlegene Werte einer nach innen gerichteten Kultur sowie einem starken Staat. Erst nach 1945 wurde die Bundesrepublik Deutschland zu einem eindeutigen Partner des Westens. Nach 1989 kam auch Osteuropa unter das Dach des Westens. Seit dem 11. September 2001, den Kriegen im Irak und in Afghanistan sowie Guantanamo gibt es jedoch Risse in von „westlichen Werte“ angetriebenen Allianz.

Die Vorstellungen vom Westens und Asien werden gegenwärtig neu definiert. An erster Stelle steht dabei die Erwartung, dass asiatische Länder einem bestimmten Entwicklungspfand nach westlichem Vorbild folgen müssen, um Wohlstand und Stabilität zu erlangen.

Laut Mishra passt dieses traditionelle westliche Verständnis von Modernisierung nicht zu den neuen Realitäten im heutigen Asien, das durch eine Vielzahl von beispiellosem politischen Formen und ökonomischen Entwicklungsmodellen gekennzeichnet ist, die die überkommene anglo-amerikanische Weltordnung in Frage stellen.

Das Ausfransen der anglo-amerikanischen Weltordnung wird zudem durch den globalen Kapitalismus beschleunigt. Die Vorstellung, die Durchsetzung des Kapitalismus führe notwendigerweise zu einem Wachstum der Mittelschichten, die dann mehr politische Verantwortung einfordern und so das demokratische System stärken würden, erweist sich immer häufiger als unzutreffend. Die Annahme, dass ein „rückständiges Asien“ sich auf ähnliche Weise wie der Westen entwickeln müsse, um eine kapitalistische Marktwirtschaft und liberale Demokratie aufzubauen, wird durch die Erfahrung in vielen Ländern erschüttert. Daher sind das Vertrauen in die Vorbildfunktion westlicher Entwicklungsmodelle für Wirtschaft und Politik und die Neigung, sie dem Rest der Welt als Heilmittel zu verschreiben, stark gesunken und werden wohl niemals wieder ihr früheres Niveau erlangen.

Deutschland hat historisch einen anderen Modernisierungspfad eingeschlagen als der Rest des Westens. Als Nachzügler der industriellen Revolution wollte es die Fehler der First Mover beim Übergang von der Landwirtschaft zur Industrie vermeiden. Aus diesem Grund entstand der Wohlfahrtsstaat, um eine zentrale Rolle in der Wirtschaft zu spielen und ein Sicherheitsnetz für die Bürger zu schaffen. Das amerikanische Progressive Movement verdankt seine intellektuellen Grundlagen dieser Denktradition ebenso wie das japanische Wirtschaftsdenken. Auch indische Intellektuelle studierten im 19. Jahrhundert die Werke von deutschen Denkern.

Was die historische Erfahrung der Deutschen dem zeitgenössischen Asien bietet, ist ein anderes Modell der wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung als es von der klassischen Modernisierungstheorie vorgeschlagen wird. Für den deutschen Weg in die Moderne war die zentrale Rolle des Staates bei der Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft prägend. Deutschland sollte sich daher mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, um seine Position innerhalb des Westens besser zu verstehen, und auf dieser Grundlage versuchen, die anglo-amerikanisch dominierte Weltordnung zu überwinden und  sich mit den aufsteigenden Ländern Asiens zu arrangieren.