Europa zu Gast bei Freunden und Kritikern
Gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin haben wir zu einem Bürgerdialog in Frankfurt (Oder) eingeladen. Politiker, Studierende und Bürger aus Polen und Deutschland waren gefragt, ihre Visionen für die Europäische Union zu diskutieren.
"Europa muss zu den Bürgern gehen, nicht umgekehrt, sonst kann es nicht funktionieren": Das Eingangsstatement unseres Vorstandsvorsitzenden Aart De Geus setzte den passenden Rahmen für den europäischen Bürgerdialog, den wir gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin am 24. Mai in Frankfurt (Oder) organisiert haben. So kamen im Kulturbahnhof Frankfurt (Oder) nicht nur Europa-, Regional- und Kommunalpolitiker mit deutschen und polnischen Bürgern zusammen. Zusätzlich waren Studierende aus beiden Ländern eingeladen, um ihre Sichtweisen und Stimmen einzubringen.
Was hält Europa zusammen? Was erwarten die Menschen von der EU? Brauchen wir mehr oder weniger Europa? Diese Fragen standen im Zentrum des Bürgerdialogs. Doch bevor die Gäste gemeinsam mit Frans Timmermans, EU-Kommissar für Migration, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, Elżbieta Polak, Marschallin der Woiwodschaft Lebus aus Polen und Stefan Ludwig, Europaminister des Landes Brandenburg, diskutieren konnten, stand für die eingeladenen deutsch-polnischen Studierenden am Nachmittag ein interaktiver Workshop auf dem Programm. Dort wurden gemeinsam Fragen und Lösungen für drängende Herausforderungen der EU formuliert, die den Politikern während des Bürgerdialogs zur Diskussion vorgetragen wurden. Dabei interessierten sich die Studierenden vor allem für Themen wie gemeinsame Datenschutzregeln, den sozialen Zusammenhalt Europas oder die Einrichtung eines europäischen Arbeitslosenfonds.
Gibt es zu wenig Europabefürworter oder sind sie nur zu leise?
Am Abend stand der Bürgerdialog im großen Plenum im Vordergrund. Unter großem Andrang von Journalisten und vielen Teilnehmern aus beiden Ländern ging es schnell zur Sache. Diskutiert wurde, ganz im Sinne eines europäischen Dialoges, mehrsprachig: In Polnisch, Deutsch, aber auch Englisch gab es schnell unzählige Wortmeldungen aus dem Publikum. In "Murmelrunden" oder in offenen Debatten beteiligten sich viele Gäste an der lebhaften Diskussion.
Dabei gab es Lob für die EU, aber auch kritische Stimmen: Warum will die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten und wieso hat das EU-Parlament so wenig Rechte? Frans Timmermans verwies dabei immer wieder auf die besonders herausfordernden Umstände für die EU: "Wir erleben einen Schicksalsmoment", so Timmermans. "In einer Zeit, da unsere vertrauten Bündnispartner immer öfter eigene Wege gehen und Staaten wie China und Russland versuchen, einzelne Staaten an sich zu binden, dürfen wir Europäer uns nicht auseinanderdividieren lassen." Gerade Herausforderungen wie Migration, Sozialrechte der Europäer oder gemeinsame Datenschutzbestimmungen lassen sich nicht allein auf nationalstaatlicher Ebene lösen, sondern nur, wenn wir mit einer Stimme sprechen, so Timmermans.
Auch die Frage nach der Fremdbestimmung durch Brüssel wurde thematisiert. Brandenburgs Europaminister Ludwig verwies dabei auf das Prinzip der Subsidiarität, wonach jeder genau die Aufgaben lösen sollte, für die er die meisten Kompetenzen einbringe. Das heißt, dass Europa vieles, aber nicht alles besser kann als die Nationalstaaten. Der niederländische Kommissar Timmermans warf mit Verweis auf die Erinnerung an den "Eisernen Vorhang" ein, dass die Polen, ebenso wie die ehemaligen Bürger der DDR, heute unzählige Freiheiten nutzen könnten, die lange Zeit undenkbar gewesen seien und der Begriff der Fremdbestimmung daher nicht angebracht sei.
Warum es so wenige Pro-Europäer gebe, wurde Frans Timmermans am Ende von einem polnischen Zuschauer gefragt. Er glaube nicht, dass die Pro-Europäer in der Minderheit seien, so Timmermans, aber sie seien definitiv zu leise. Der darauffolgende Beifall machte klar, dass er an diesem Abend in Frankfurt (Oder) den richtigen Ton gefunden hatte.